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„Monumente sind Denkmäler von Culturprincipien,
sinnliche Darstellung des inneren Wesens, der leben-
digen Ideen, welche eine Zeit beherrscht haben.“
Gregoro vius.

ausendfältig verschieden, wie Triebe und Blüthen unter der Frühlingssonnc,
sind die Schöpfungen der Frührenaissance in Italien, aber sie schlicfsen sich
vor dem kunstgeschichtlichen Ueberblick bald zu landschaftlich umgrenzten
Gruppen zusammen. Das ist keine nur von aufsen, von anderen Stoffgebieten
her übertragene Anschauung, sondern eine unmittelbare Erkenntnifs, welche im italieni-
schen Kunstleben selbst begründet ist. Die politische und sociale Geschichte zweier Jahr-
tausende hat die künstlerische Ertragsfähigkeit des schon durch seine natürlichen Ver-
hältnisse so verschiedenen italienischen Bodens höchst mannigfaltig gestaltet, und diese
Bodenbeschaffenheit tritt in der Kunstgeschichte als nationale Geschmacksrichtung und
örtliche Ueberlieferung neben die persönlichen Kräfte bestimmend in den Vordergrund.
Allein wie alles geschichtliche Leben auf Wechselwirkung beruht, so herrscht auch zwischen
diesen landschaftlich getrennten Kreisen des künstlerischen Schaffens dauernd ein reger
Austausch, einem nimmer rastenden Strom vergleichbar, welcher, aus zahlreichen Quellen
gespeist, zwischen Landschaft und Landschaft fluthet, deren Wachsthum bald befruch-
tend, bald wandelnd, bald hemmend.
In der Frührenaissance tritt seine lebenspendende Kraft besonders erfolgreich her-
vor, aber sie gewinnt in ihr einen bestimmteren Mittelpunkt, von welchem aus sie zahl-
reich getheilt nach allen Richtungen ausströmt. Eine neue Quelle hat sich aufgethan,
machtvoller als alle anderen. Vor ihrer Gewalt scheinen diese zu versiegen. Ihre Sendlinge
führen aller Orten ein neues Wachsthum herbei, welches in seiner Einheitlichkeit die Ver-
schiedenheit des Nährbodens einen Augenblick vergessen lassen kann. Diese Quelle
entspringt in Florenz. Begreiflich, dafs sie auch die Forschung am stärksten anzog!
Die Florentiner Frührenaissance ist von unvergänglicher Schönheit, und sie hat zudem
den in der italienischen Kunst seltenen Reiz einer organisch in sich abgeschlossenen
Entwicklung, die von aufsen wenig empfängt, und sich freigebig spendend ausbreitet.
Allein wie die Naturwissenschaft mit allem Werden, so hat die Kunstgeschichte
mit allem Gewordenen zu rechnen; gleichviel ob in demselben eine einzige selbständig
emporwachsende Urkraft sie besonders lockt, oder ob es von Anbeginn einander entgegen-
gesetzte Elemente birgt, deren innerer Widerspruch ein völlig gleichmäfsiges Wachsthum
hemmt, sodafs die Entwicklung zuweilen ruht und oft sprungweis eilt; gleichviel endlich
auch, ob diese selbst gelegentlich durch äufsere, fremde Einflüsse bestimmt wird. Der
verwickelte Lebensprocefs, der hier an die Stelle des einfachen tritt, hat für die Forschung
sogar einen besonderen Reiz und verfeinert ihre Mittel. Es gilt, in einem buntschimmern-
den Gewebe Kette und Einschlag und alle verschiedenfarbigen Fäden zu sichten.
Meyer, Oberitalienische Frührenaissance. 1
 
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