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Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. IV. Der Dom von Como.
und in Sa. Anastasia zu Verona aus der Werkstatt Falconettos, kann sie nur die Gleichheit
von Material und Technik in Parallele bringen. — Etwas anders ist die Beziehung zur späteren
Renaissanceplastik in der Lombardei selbst. Ihre blühende Thonsculptur hat durch die
Stuccoarbeiten der Portinari-Capelle Anregungen empfangen, die wir besonders in den Kloster-
höfen der Certosa bei Pavia zu verfolgen haben werden. In dieser Hinsicht gesellt sich dieser
Bildschmuck der Portinari-Capelle dem des ersten völlig reifen, ebenfalls durch einen fremden
Meister geschaffenen Renaissance-Raumes Mailands: der Sacristei bei S. Satiro.
Das Werk Bramantes, das — wie später zu zeigen — auch unter vielen anderen
Gesichtspunkten durch Analogie und Gegensatz für die Würdigung der Portinari-Capelle
so lehrreich ist, stellt auch deren kunsthistorische Bedeutung innerhalb des Mailänder Uebcr-
gangsstiles in das richtigste Licht. Der Uebcrgangskunst, nicht schon der Renaissance,
gehört die Portinari-Capelle an: dem Uebergang von der Gothik zur Frührenaissance, von
der lombardischen Eigenart in die ,,Florentiner“ Stilweise! Noch immer stehen hier beide
Elemente nebeneinander, aber ihre Verbindung ist doch mehr ausgeglichen und har-
monischer als in den Arbeiten Filaretes. Man beachte da auch die allerdings stark restau-
rirte Aufsendecoration der Capelle in Backstein und Terracotta! (Abb. 70). Man mustere
ferner auch die reizvollen Architekturbilder im Hintergrund der grofsen Fresken, die — das
Werk eines Lombarden! —- den lebhaftesten Einblick in die Formensprache dieses Uebcr-
gangsstiles in ihrer Vermischung lombardischer und toscanischer Motive gewähren (Taf. 8).
So bezeichnet die Portinari-Capelle in Mailand selbst den letzten Schritt auf
jenem langen Pfad, auf welchem die heimische Weise unter Florentiner Führung der Früh-
renaissance entgegcngcht, — den letzten, denn hier ist die Grenze erreicht.1) Jenseits der-
selben beginnt die reine Frührenaissance selbst. Auch an ihrer Spitze steht dort zunächst
ein fremder Führer. Auf Filaretc und Michelozzo folgt Bramante; auf den lombardisch-
toscanischcn Uebergangsstil der ,,Stile Bramantesco“.
Bevor unsere Schilderung jedoch im folgenden Band dieses zweite Hauptthema
beginnt, gilt es, den Blick über die lombardische Hauptstadt hinauszurichten auf die beiden
wichtigsten Schöpfungen, welche dieser Uebergangsstil in der Lombardei aufscrhalb Mai-
lands als willkommene Zeugen seiner Lebenskraft und Vielseitigkeit hinterlassen hat, auf
die beiden Denkmäler, die auch zu Hauptträgern der späteren echt lombardischen Früh-
renaissance werden sollten: den Dom von Como und die Certosa bei Pavia.
IV. Der Uebergangsstil am Dom von Como und an der
Certosa bei Pavia.
„quod comunitas cumarum possit et valeat in alto et lato
edificari et reformari facere ecclesiam suam cathedralcin.“
Vertrag zwischen Mailand und Como.
I. Der Dom von Como.
Ueber die Baugeschichte2) des Domes von Como berichtet an der Aufsenwand seines
Chores eine der schönsten Inschrifttafeln Italiens. — Zwei nackte Putten halten die breite,
rechteckige Platte, und als deren Bekrönung dient die Gruppe zweier symmetrisch zu
Seiten des städtischen Wappenschildes angeordneter Sirenen. Phantasiereich sind sie
1) Paoletti hat (a. a. O. II. S. 141) darauf aufmerksam gemacht, dafs die Portinari-Capelle in
einigen Details Verwandtschaft mit dem ersten reinen Renaissancewerk Venedigs, mit dem Portal des
Arsenales (1460) hat. Die Mailänder Capelle steht aber, wie sich oben ergab, noch dem Uebergangsstil nahe.
2) Für dieselbe bietet das soeben in den Schriften der Societä storica comense Periodico vol. XI.
Como 1896 (veröffentlicht März 1897) erschienene Buch von Dr. Santo Monti, La cattedrale di Como,
eine neue documentarische Grundlage, die mit vielen Ergebnissen älterer Schriften aufräumt. Von älteren
Arbeiten vcrgl. neben den „Historiae“ des Benedictus Jovius (1625) und der „Geschichte Comos“
von Maurizio Monti (1829) und Cesare Cantü (1820 — 31) die Monographien: [C. F. Ciceri] Selva di
notizie autentiche risguardanti la fabbrica della Cattedrale di Como etc. Como 1811. Ceresola, Storia
Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. IV. Der Dom von Como.
und in Sa. Anastasia zu Verona aus der Werkstatt Falconettos, kann sie nur die Gleichheit
von Material und Technik in Parallele bringen. — Etwas anders ist die Beziehung zur späteren
Renaissanceplastik in der Lombardei selbst. Ihre blühende Thonsculptur hat durch die
Stuccoarbeiten der Portinari-Capelle Anregungen empfangen, die wir besonders in den Kloster-
höfen der Certosa bei Pavia zu verfolgen haben werden. In dieser Hinsicht gesellt sich dieser
Bildschmuck der Portinari-Capelle dem des ersten völlig reifen, ebenfalls durch einen fremden
Meister geschaffenen Renaissance-Raumes Mailands: der Sacristei bei S. Satiro.
Das Werk Bramantes, das — wie später zu zeigen — auch unter vielen anderen
Gesichtspunkten durch Analogie und Gegensatz für die Würdigung der Portinari-Capelle
so lehrreich ist, stellt auch deren kunsthistorische Bedeutung innerhalb des Mailänder Uebcr-
gangsstiles in das richtigste Licht. Der Uebcrgangskunst, nicht schon der Renaissance,
gehört die Portinari-Capelle an: dem Uebergang von der Gothik zur Frührenaissance, von
der lombardischen Eigenart in die ,,Florentiner“ Stilweise! Noch immer stehen hier beide
Elemente nebeneinander, aber ihre Verbindung ist doch mehr ausgeglichen und har-
monischer als in den Arbeiten Filaretes. Man beachte da auch die allerdings stark restau-
rirte Aufsendecoration der Capelle in Backstein und Terracotta! (Abb. 70). Man mustere
ferner auch die reizvollen Architekturbilder im Hintergrund der grofsen Fresken, die — das
Werk eines Lombarden! —- den lebhaftesten Einblick in die Formensprache dieses Uebcr-
gangsstiles in ihrer Vermischung lombardischer und toscanischer Motive gewähren (Taf. 8).
So bezeichnet die Portinari-Capelle in Mailand selbst den letzten Schritt auf
jenem langen Pfad, auf welchem die heimische Weise unter Florentiner Führung der Früh-
renaissance entgegcngcht, — den letzten, denn hier ist die Grenze erreicht.1) Jenseits der-
selben beginnt die reine Frührenaissance selbst. Auch an ihrer Spitze steht dort zunächst
ein fremder Führer. Auf Filaretc und Michelozzo folgt Bramante; auf den lombardisch-
toscanischcn Uebergangsstil der ,,Stile Bramantesco“.
Bevor unsere Schilderung jedoch im folgenden Band dieses zweite Hauptthema
beginnt, gilt es, den Blick über die lombardische Hauptstadt hinauszurichten auf die beiden
wichtigsten Schöpfungen, welche dieser Uebergangsstil in der Lombardei aufscrhalb Mai-
lands als willkommene Zeugen seiner Lebenskraft und Vielseitigkeit hinterlassen hat, auf
die beiden Denkmäler, die auch zu Hauptträgern der späteren echt lombardischen Früh-
renaissance werden sollten: den Dom von Como und die Certosa bei Pavia.
IV. Der Uebergangsstil am Dom von Como und an der
Certosa bei Pavia.
„quod comunitas cumarum possit et valeat in alto et lato
edificari et reformari facere ecclesiam suam cathedralcin.“
Vertrag zwischen Mailand und Como.
I. Der Dom von Como.
Ueber die Baugeschichte2) des Domes von Como berichtet an der Aufsenwand seines
Chores eine der schönsten Inschrifttafeln Italiens. — Zwei nackte Putten halten die breite,
rechteckige Platte, und als deren Bekrönung dient die Gruppe zweier symmetrisch zu
Seiten des städtischen Wappenschildes angeordneter Sirenen. Phantasiereich sind sie
1) Paoletti hat (a. a. O. II. S. 141) darauf aufmerksam gemacht, dafs die Portinari-Capelle in
einigen Details Verwandtschaft mit dem ersten reinen Renaissancewerk Venedigs, mit dem Portal des
Arsenales (1460) hat. Die Mailänder Capelle steht aber, wie sich oben ergab, noch dem Uebergangsstil nahe.
2) Für dieselbe bietet das soeben in den Schriften der Societä storica comense Periodico vol. XI.
Como 1896 (veröffentlicht März 1897) erschienene Buch von Dr. Santo Monti, La cattedrale di Como,
eine neue documentarische Grundlage, die mit vielen Ergebnissen älterer Schriften aufräumt. Von älteren
Arbeiten vcrgl. neben den „Historiae“ des Benedictus Jovius (1625) und der „Geschichte Comos“
von Maurizio Monti (1829) und Cesare Cantü (1820 — 31) die Monographien: [C. F. Ciceri] Selva di
notizie autentiche risguardanti la fabbrica della Cattedrale di Como etc. Como 1811. Ceresola, Storia