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I IO

Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. III. Die Portinari-Capelle.

wie die grofsen Medaillonköpfe der Hofarcaden, hat dieselbe bisher freilich selbst nicht an
den analogen Zierstücken des Hospitales aufzuweisen.
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Wenn somit das Endergebnifs unserer Erörterung hier wiederum die lombardi-
schen Meister in den Vordergrund stellt, so wird hierdurch die kunsthistorische Bedeutung
des Werkes keineswegs beeinträchtigt, vielmehr wohl in das richtigste Licht gerückt: bei
der Ausschmückung dieses Geschenkes für einen Florentiner hat die lombardische Sculptur
frei nach den Entwürfen eines Florentiner Meisters gearbeitet, und gerade so sind die
an sich schon taktvoll ausgewählten Errungenschaften der Florentiner Frührenaissance den
fördernden Elementen ihrer selbständigen Entwicklung in besonders günstiger, zukunfts-
voller Art einverleibt worden. Das ist kunstgeschichtlich nur ein weiterer unmittelbarer
Fortschritt auf dem Wege, dessen Beginn und ersten Verlauf wir bereits bei den Dom-
sculpturcn verfolgt haben. Dort zeigte sich eine parallele Richtung zum Florentiner Ucber-
gangsstil eines Piero Tedesco, eines Niccolö Arezzo, die nun folgerichtig auch in parallele
Bahnen zu denen eines Michelozzo ausgeht! — Es wäre fast auffällig, wenn sich dieselben
nicht ebenfalls auch an den Sculpturen des Domes selbst erkennen liefsen, und in der
That findet man sie dort unschwer wieder. Dazu bedarf es nur einer näheren Prüfung
der westlich auf die geschilderten Gruppen folgenden Giganten und Consolenfiguren. Am
Westpfeiler der südlichen Tribuna befindet sich an der Westecke ein Gigant, welcher die
Kriegerfiguren des Portales unmittelbar ins Gedächtnifs zurückruft (Abb. 64). In einer
Rüstung von ähnlichem Reichthum, aber barhäuptig, steht er auf seinem Posten, wie auf
der Wacht, die Rechte in die Hüfte gestützt, die Linke am Griff des langen, bis zum
Boden reichenden Krummschwertes. Achnliche Analogien weisen auch noch einige andere
in der Nähe befindliche Giganten auf, und unter den Consolen des Bogenfrieses am Sockel
finden sich unter dem vierten Fenster und an der Frontseite des fünften Pfeilers der Nordseite,
sowie unter dem dritten Fenster der Südseite vom Querschiff aus porträthafte Frauenköpfe,
welche denen der beiden Wappenträgerinnen des Portales durchaus verwandt sind, wie
denn auch die diesen als Consolen dienenden Puttenköpfe dort mehrfach wiederkehren.
So spinnt sich der rothe Faden, welchen die Decoration des Domes verbindend
durch die verschiedenartigen Muster der Mailänder Stilgeschichte zieht, auch in dieser
Periode stärksten fremden Einflusses fort. Hat doch diese Kunstrichtung Mailand gleich-
zeitig auch mit einem zweiten, selbständigen Kunstwerk beschenkt, welches in seiner
prächtigen Erhaltung noch heute seinen weitgehenden Einflufs auf die lombardische Kunst
verbürgt!

III. Die Portinari-Capelle.
Es ist ein glücklicher Zufall, dafs das zweite Renaissancewerk in Mailand, mit
welchem der Name Michelozzos verbunden werden mufs, schon durch seinen Zweck ein
kunsthistorisch ergänzendes Gegenstück zum banco Mediceo bildet; neben den Palast tritt,
wie in Toscana, ein kirchlicher Bau, und zwar von derselben Gattung, wie diejenige, an
welcher sich die toscanische Renaissance am frühesten und klarsten entwickelte, kein selb-
ständiger, vieltheiliger Kirchenraum zur Aufnahme der ganzen Gemeinde und des gesamten
Cultusapparates, sondern nur ein Anbau an einen solchen, eine Stiftung privater Frei-
gebigkeit, eine Haus- und Familiencapelle, und zwar ein Werk, das einen unvergleichlichen
Zauber selbst noch im köstlichen Kranz dieser Lieblingsschöpfungen der Rcnaissancedeco-
ration bewahrt: die Cappella di S. Pietro Martire in S. Eustorgio.1)
1) Vergl. zum Folgenden besonders den Aufsatz von Beltrami im Arch. Stör, dell’ Arte 1892
S. 267 ff. und die Abbildungen nebst kurzer Notiz in der Ztschr. Arte ital. decor. ed. Boito. 1895. (IV.)
Nr. 9. LVII. S. 75. Fig. 84. Tav. 45 —47.
 
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