Die Visconti und die Baukunst.
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bestimmt waren, sondern auch da, wo sie der Sicherung und dem wahren Nutzen seines
Landes dienten. Seine Damm- und Canalbauten bieten an Umfang und Aufwand ein
Gegenstück zu der Certosa. Von seiner vielfach gerühmten kirchlichen Gesinnung besitzt
auch Pavia selbst noch monumentale Zeugen, deren Schönheit und kunstgeschichtliche Be-
deutung im Widerschein der Certosa meist ztr wenig beachtet werden: die zwischen 1384
und 1395 von ihm begonnene Kirche S. Spirito ist freilich gleich dem zugehörigen Kloster
zerstört, noch aber besitzt Pavia in Sa. Maria del Carmine, deren unter Galeazzo II.
begonnener Bau von Giangaleazzo thatkräftig unterstützt wurde, ein Kleinod lombar-
discher Gothik.
Giangaleazzo starb gänzlich unerwartet 1402. Seine politische Macht, im Hinblick
auf welche Magenta von ihm sagt: „seit Karl dem Grofsen bis zu Napoleon I. sei kein
Fürst in Italien gröfser gewesen“, zerfiel in kaum zwei Jahren, seine politischen Pläne zer-
flatterten als Traumgebilde einer glänzenden Vergangenheit: jedoch was er auf künst-
lerischem Gebiet geschaffen und gefördert, blieb zumeist bestehen und begann unter den
neuen Verhältnissen ein selbständiges Leben. Fürstennamen hatten an demselben fortan
zunächst aber nur äufserlichen, mittelbaren Antheil. Giangaleazzos ältestem Sohn Gian-
ni aria, dem Nachfolger in der Herzogswürde, gebührt dieser Name nur im Sinne Nero-
nischer Grausamkeit; er betrat die zum Cäsarenwahnsinn führende Bahn Bernabös, auf
welcher ihn 1412 verdientermafsen die Dolche der Verschworenen trafen. Mit seinem
jüngeren Bruder und Erben Filippo Maria endet das Dynastengeschlecht der Visconti
in politischer Ohnmacht, in rückhaltloser und dennoch kleinlicher Selbstsucht, in lähmen-
dem Argwohn, in „wollüstiger Behaglichkeit“, die launenhaft bisweilen wohl auch zu
geistigen Genüssen greift. Aber während seiner langen, politisch so wechsel- und
unglücksreichen Regierungszeit (1412—47) gingen viele der unter seinem grofsen Vater
begonnenen Bauten — vor allem der Mailänder Dom — trotz aller äufseren Mifsstände
langsam ihrer Vollendung entgegen, und andere wahren trotz der politischen Stürme dem
Namen der Visconti wenigstens noch äufserlich fürstlichen Glanz. Das gilt besonders von
dem Castell zu Pavia, welches, obschon nicht mehr Hoflager, zu Repräsentationszwecken,
vor allem als Absteigequartier hoher Gäste dienend, einen Weltruf erlangt; das gilt auch
von dem Castell an der Porta Giovia zu Mailand, welches, um 1368 von Galeazzo II.
mehr als Zwingburg denn als Schlofs errichtet, nunmehr das Treiben des letzten der Vis-
conti jedem unwillkommenen Auge entzog: ein Sinnbild für die selbstsüchtige Geschäftig-
keit auf politischem Gebiet, in welchem die Dynastie der Visconti unterging. Bezeichnend,
dafs nach dem Tode Filippo Marias (1447) die neue Ambrosianische Republik, alle
anderen Schöpfungen der Visconti schonend, nur dieses Castell bei Porta Giovia von
Grund aus zerstörte — bezeichnend freilich auch, dafs der kraftvollere Erbe der Visconti,
Francesco Sforza, sofort an seinen Wiederaufbau ging.
Genau um die Mitte des Jahrhunderts, 1450, beginnt die Herrschaft der Sforza.
Francesco, durch Verdienst der nächste Verwandte, durch Verdienst und Glück der Erbe
Filippo Marias, war als Krieger und Condottiere grofs geworden, „der feineren Bildung
aber und der Musen“ — wie selbst seine Lobredner zugestehen — „völlig unkundig“.
Auch zur bildenden Kunst hatte er kein persönliches Verhältnifs, wie etwa Giangaleazzo
Visconti. Will man dem letzteren in der Reihe der Sforza denjenigen Fürstennamen ent-
gegenstellen, welcher eine grofse Epoche der lombardischen Kunstgeschichte deckt, so
überstrahlt Ludovico Moro weitaus alle übrigen und weitaus auch Giangaleazzo selbst.
Aber die lombardische Renaissance unter Ludovico Moro ist nur der leuchtende Gipfel-
punkt eines stetig aufsteigenden Pfades, welchen die künstlerische Entwicklung selbst,
unabhängig von den politischen Verhältnissen und zum Theil auch von den dieselben
leitenden Persönlichkeiten, verfolgte, und für die Zeit, in welcher dieser Pfad für die kunst-
historische Betrachtung in helles Licht tritt, darf das Jahr 1450, vermöge seiner Bedeutung
in der politischen Geschichte der Lombardei, wenigstens als äufserer Anhalt gelten.
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bestimmt waren, sondern auch da, wo sie der Sicherung und dem wahren Nutzen seines
Landes dienten. Seine Damm- und Canalbauten bieten an Umfang und Aufwand ein
Gegenstück zu der Certosa. Von seiner vielfach gerühmten kirchlichen Gesinnung besitzt
auch Pavia selbst noch monumentale Zeugen, deren Schönheit und kunstgeschichtliche Be-
deutung im Widerschein der Certosa meist ztr wenig beachtet werden: die zwischen 1384
und 1395 von ihm begonnene Kirche S. Spirito ist freilich gleich dem zugehörigen Kloster
zerstört, noch aber besitzt Pavia in Sa. Maria del Carmine, deren unter Galeazzo II.
begonnener Bau von Giangaleazzo thatkräftig unterstützt wurde, ein Kleinod lombar-
discher Gothik.
Giangaleazzo starb gänzlich unerwartet 1402. Seine politische Macht, im Hinblick
auf welche Magenta von ihm sagt: „seit Karl dem Grofsen bis zu Napoleon I. sei kein
Fürst in Italien gröfser gewesen“, zerfiel in kaum zwei Jahren, seine politischen Pläne zer-
flatterten als Traumgebilde einer glänzenden Vergangenheit: jedoch was er auf künst-
lerischem Gebiet geschaffen und gefördert, blieb zumeist bestehen und begann unter den
neuen Verhältnissen ein selbständiges Leben. Fürstennamen hatten an demselben fortan
zunächst aber nur äufserlichen, mittelbaren Antheil. Giangaleazzos ältestem Sohn Gian-
ni aria, dem Nachfolger in der Herzogswürde, gebührt dieser Name nur im Sinne Nero-
nischer Grausamkeit; er betrat die zum Cäsarenwahnsinn führende Bahn Bernabös, auf
welcher ihn 1412 verdientermafsen die Dolche der Verschworenen trafen. Mit seinem
jüngeren Bruder und Erben Filippo Maria endet das Dynastengeschlecht der Visconti
in politischer Ohnmacht, in rückhaltloser und dennoch kleinlicher Selbstsucht, in lähmen-
dem Argwohn, in „wollüstiger Behaglichkeit“, die launenhaft bisweilen wohl auch zu
geistigen Genüssen greift. Aber während seiner langen, politisch so wechsel- und
unglücksreichen Regierungszeit (1412—47) gingen viele der unter seinem grofsen Vater
begonnenen Bauten — vor allem der Mailänder Dom — trotz aller äufseren Mifsstände
langsam ihrer Vollendung entgegen, und andere wahren trotz der politischen Stürme dem
Namen der Visconti wenigstens noch äufserlich fürstlichen Glanz. Das gilt besonders von
dem Castell zu Pavia, welches, obschon nicht mehr Hoflager, zu Repräsentationszwecken,
vor allem als Absteigequartier hoher Gäste dienend, einen Weltruf erlangt; das gilt auch
von dem Castell an der Porta Giovia zu Mailand, welches, um 1368 von Galeazzo II.
mehr als Zwingburg denn als Schlofs errichtet, nunmehr das Treiben des letzten der Vis-
conti jedem unwillkommenen Auge entzog: ein Sinnbild für die selbstsüchtige Geschäftig-
keit auf politischem Gebiet, in welchem die Dynastie der Visconti unterging. Bezeichnend,
dafs nach dem Tode Filippo Marias (1447) die neue Ambrosianische Republik, alle
anderen Schöpfungen der Visconti schonend, nur dieses Castell bei Porta Giovia von
Grund aus zerstörte — bezeichnend freilich auch, dafs der kraftvollere Erbe der Visconti,
Francesco Sforza, sofort an seinen Wiederaufbau ging.
Genau um die Mitte des Jahrhunderts, 1450, beginnt die Herrschaft der Sforza.
Francesco, durch Verdienst der nächste Verwandte, durch Verdienst und Glück der Erbe
Filippo Marias, war als Krieger und Condottiere grofs geworden, „der feineren Bildung
aber und der Musen“ — wie selbst seine Lobredner zugestehen — „völlig unkundig“.
Auch zur bildenden Kunst hatte er kein persönliches Verhältnifs, wie etwa Giangaleazzo
Visconti. Will man dem letzteren in der Reihe der Sforza denjenigen Fürstennamen ent-
gegenstellen, welcher eine grofse Epoche der lombardischen Kunstgeschichte deckt, so
überstrahlt Ludovico Moro weitaus alle übrigen und weitaus auch Giangaleazzo selbst.
Aber die lombardische Renaissance unter Ludovico Moro ist nur der leuchtende Gipfel-
punkt eines stetig aufsteigenden Pfades, welchen die künstlerische Entwicklung selbst,
unabhängig von den politischen Verhältnissen und zum Theil auch von den dieselben
leitenden Persönlichkeiten, verfolgte, und für die Zeit, in welcher dieser Pfad für die kunst-
historische Betrachtung in helles Licht tritt, darf das Jahr 1450, vermöge seiner Bedeutung
in der politischen Geschichte der Lombardei, wenigstens als äufserer Anhalt gelten.