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Giganten.

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Nähere Bezeichnungen für die einzelnen Giganten sind in diesen Acten leider entweder
überhaupt nicht vorhanden — wie z. B. bei deren frühesten Erwähnung vom 24. December
1403, zweier Arbeiten des Nicolo da Venezia und des Alberto da Campione —, oder
sie sind so allgemein gehalten, dafs eine Identificirung der Stücke nirgends mit voller
Sicherheit erfolgen kann.
Dies gilt auch für alle in dieser Hinsicht im folgenden gemachten Versuche, da
ja hier überhaupt zunächst mehr die innere, künstlerische Entwicklungsgeschichte dieser
eigenartigen Werke, als die Persönlichkeit der an ihnen thätigen Steinmetzen interessirt.
Denn als künstlerischer Schöpfer dieser, sowie wohl auch der meisten übrigen gröfseren
Theile der figürlichen Decoration dieser Epoche mufs Paolino da Montorfano gelten.
Seine vielseitige Wirksamkeit als Zeichner und Maler —- nicht nur von Bildern, sondern
auch von Glasgemäldcn —, als vielgewandter Techniker und als erfindender Künstler ist
wieder so recht bezeichnend für den Kunstbetrieb in der Dombauhütte, für die Erhebung
der Arbeit von rein handwerklichem Boden — das „Vergolden“ spielt in den Nachrichten
vom Wirken Meister Paolinos eine grofse Rolle — zum selbständigen, künstlerischen
Schaffen. Wenn es sich darum handelt, den in der Decoration des Mailänder Domes aus-
gesprochenen Reichthum an decorativer Phantasie mit einem Künstlernamen zu bezeich-
nen, so steht in dieser Epoche unstreitig der des Montorfano, der ja auch in der späteren
lombardischen Kunstgeschichte einen so guten Klang bewahrt, an der Spitze. Er, der
Maler, liefert den Bildhauern die Vorlagen. Auch das ist höchst charakteristisch für
die Vorherrschaft des malerischen Elements in dieser ganzen decorativen Kunst! Aehn-
liches zeigt sich um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts auch in Florenz. Dort ent-
wirft beispielsweise 1380 der Maler Agnolo Gaddi die Tugendstatuen, welche die Loggia
dei Lanzi zieren, und 1387 liefern die Maler Lorenzo di Bicci, Agnolo Gaddi und Spinello
Spinelli Skizzen für den Bildhauer Piero di Giovanni Tedesco.1) Mit vollem Recht sagt
daher Hans Semper2) auch von der Florentiner Plastik dieser Zeit: „Das Vorherrschen
der Malerei ging so weit, dafs z. B. Statuen nicht nur nach ihrer Vollendung vom
Maler bemalt, sondern auch vor der plastischen Ausführung von Malern auf Cartons
entworfen wurden.“ Mit gleichem Recht betont er dann aber auch sofort die relative
Selbständigkeit der ausführenden Bildhauer: „Doch wurden die Bildhauer dadurch wenig
in ihrer Schaffensfreiheit und in ihrem Verdienst beschränkt. Vielmehr war es erst
recht eine Probe ihrer Tüchtigkeit, wenn sie innerhalb der enggestccktcn Grenzen dennoch
eigenes Leben auszudrücken vermochten. Und gewifs waren ihnen während der Arbeit
als nöthig befundene Abweichungen von der Zeichnung gestattet. Dadurch aber, dafs
ihnen ein Theil der Erfindung abgenommen war, konnten sie sich um so ungetheilter der
Ausarbeitung der Form und Köpfe hingeben.“
Das gilt Wort für Wort auch für die Sculpturen des Mailänder Domes, und daher
mögen diese im folgenden doch in Verbindung mit den Namen der einzelnen, meist Pao-
linos Entwürfe nur ausführenden Bildhauer behandelt werden.
Die ältesten „Giganten“ dürften diejenigen der „Guglia Carelli“ und dem ihr ent-
sprechenden Eckpfeiler der Südseite sein (Taf. 5), jedenfalls sind dieselben für alle oben
aufgeführten Gesichtspunkte am wenigsten gelungen und am derbsten gearbeitet. Gerade
hier finden sich die wildesten Gesellen vereint: Unholde, welche zu den über ihnen als
Speier dienenden Drachen trefflich passen. Dieselben ragen auch meist hart über ihren
Schultern heraus, bald von ihnen getragen, bald mühsam abgewehrt. Da entstehen Scenen
halb burlesken, halb phantastischen Charakters. Der eine packt das täppische Riesen-
ungethüm, das ihm auf den Rücken gesprungen ist, schreiend bei Kopf und Beinen; der
andere, ein Hornbläser, beugt sich, die Linke in die Hüfte gestemmt, tief zur Seite; und
der dritte, mit einer Keule bewaffnet, hält einen jungen Drachen triumphirend empor. —
Dieser Drache selbst ist eine Mifsgeburt: der Unterkörper eines Kindes, endigend in
eine Drachenfratzc, aus welcher dann wieder ein Kindeskopf herausblickt, das würdige

1) Vergl. Marcel Reymond, La sculpt. florent. S. 182.
2) Die Vorläufer Donatellos. I. Leipzig 1870. S. 8.
 
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