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Paolino da Montorfano. Beziehungen zur venizianischen Plastik.

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vielmehr breite Massen, rundlich geschlungene Linien, im Nackten sogar auffallend weiche
Formen. Das einzige, was hier noch als ein Widerhall an germanische Kunstweise
anmuthet, ist der malerische Zug, aber derselbe ist — wie sich ergab — im Trecento
in Oberitalien selbst hergebracht.
Und als Erzeugnisse echt oberitalienischer Kunst mufs man diese prächtigen
Arbeiten betrachten. Es zeigt sich hier die höchste Entwicklungsstufe derselben
Kunstweise, welche an jenen köstlichen Sockel-
figürchen der Sacristeiwände langsam hervortrat,
wie denn auch selbst im einzelnen jene dor-
tigen gebückten und schleichenden Männerge-
stalten fast wie Verkleinerungen einiger Giganten
anmuthen.
Aber die allgemeinen Charakterzüge dieser
Giganten führen hier über Mailand und selbst
über die Grenzen der Lombardei noch hinaus;
sie weisen unmittelbar zunächst auf die zweite
Centralstätte hin, an welcher diese realistisch-
malerische Uebergangskunst der ober-
italienischen Plastik vom Tre - zum Quattro-
cento ihre Hauptschöpfungen hinterlassen hat:
auf Venedig.
Schon bei der Erörterung der malerischen
Trecento-Ornamentik des Domes ist dieser Be-
ziehung hier gelegentlich gedacht worden. Be-
sonders die fast barock wirkenden Eselsrücken-
bogen mit ihren Blüthenansätzen am Pfeiler der
Guglia Carelli, die wuchtigen Baldachine über den
Statuen, die Reihe der lediglich ornamental ge-
haltenen Typen der Pfeilercapitäle im Kirchcn-
innern und in den Sacristeien, ferner jene natu-
ralistischen Blüthcnzweige in den Laibungen der
Querhausfenster1) — sie finden an der malerischen
Quattrocentogothik der Lagunenstadt ihre kunst-
geschichtlichen Parallelen. Und diese bestehen
auch für die figürliche Plastik decorativer Gattung.
Der Statuenschmuck für die gothischen Ziergiebel
der Marcuskirche und die decorative Plastik des
Dogenpalastes boten nahverwandte Aufgaben wie
die Mailänder Kathedrale, und auffallend verwandt
sind gelegentlich auch deren Lösungen. Das gilt
besonders für die zuletzt erörterte Gigantenreihe
und einige Sculpturen des Dogenpalastes, vor
allem für die bekannte „Noahgruppe“ an seiner
Südostecke (Abb. 33). Schon der Standort dieser
Figuren, die Abschrägung der Bodenplatte, be-
wirkt auch hier hinsichtlich der Stellung selbst Analogien zu den Mailänder Giganten.
Die Abschrägung kann hier wie dort lediglich aus der gleichen praktisch gegebenen
Forderung des Wasserablaufs erklärt werden, diese Anordnung bleibt aber denn doch
immerhin ungewöhnlich, und ihre Uebereinstimmung an beiden Bauten daher beachtens-
werth. Wichtiger aber ist die Verwandtschaft der Figuren selbst, in den Costümcn, in
den Typen und in der ganzen realistisch-malerischen Kunstweise. Man vergleiche den
Noah des Dogenpalastes mit den beiden einander unter sich so ähnlichen bärtigen „Giganten“

Abb. 31.
Gigant am Mailänder Dom.


1) Vergl. S. 32.

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