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Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. I. Das Ospedale Maggiore.

gefälliges Gewand über die Krankenhäuser gebreitet. Und mit ganz besonderem Recht,
denn unter ihren gemeinnützigen Schöpfungen hat keine Gattung ihre Segnungen bis auf
den heutigen Tag soweit in alle Classen der Bevölkerung getragen. Dabei haben Kunst
und Zweckmäfsigkeit hier einen ungewöhnlich harmonischen Bund geschlossen. Während
die Profanarchitektur der Renaissance in der Anlage und Verthcilung der Räume ihren
Sinn für monumentale Schönheit und Symmetrie sonst nicht selten auf Kosten der Brauch-
barkeit und Bequemlichkeit bethätigt, weifs sie hier oft die künstlerischen und die prak-
tischen Anforderungen in wahrhaft mustergültiger Weise zu verbinden. Ohne die Berück-
sichtigung dieser Bauten würde der Geschichte der Renaissancearchitektur ein besonders
inhaltsreiches Blatt fehlen, und nicht besser könnte man dasselbe ausfüllen, als durch eine
Beschreibung des einzigen Gebäudes, welches sich in Mailand noch heute an Popularität
wie an Gröfse mit dem Dome messen kann: des Ospedale Maggiore.
„Frons loci laetissima“ — beinahe festlich in der That wirkt die heutige Fagade
des Riesenbaues an der Via del Ospedale mit ihren schier endlosen Arcaden- und Fenster-
reihen, und wenn man den majestätischen Hof betritt, und von dort aus die Kranken-
räume durchschreitet, von Saal zu Saal, von Halle zu Halle, die Kirche, die Vcrwaltungs-
und die Nebengebäude bis zur Todtenkammcr, dann mufs man, selbst abgesehen von allem
Künstlerischen, die Gröfse und Zweckmäfsigkeit dieser Schöpfung immer von neuem be-
wundern.

Abb. 50. Aufrifs des Spitals von „Sforzinda“ in Filarates „Tractat“
(nach der Ausg. von Oettingen).


Allerdings ist die Ausführung dieses Riesenwerkes der Ruhm mehrerer Jahr-
hunderte. Erst 1801 ward cs vollendet, dank der reichen Stiftung Giuseppe Macchis (1797).
Auch die zweite Hauptepoche des Baues fällt erst in das 17. Jahrhundert und ist, wie
jene dritte, nur durch die Freigebigkeit eines Mailänders, Pietro Carcanos (^1624) ermög-
licht worden, und zu diesen beiden Hauptförderern des Baues seit der Renaissance gesellt
sich bis zum heutigen Tag eine sehr gröfse Schaar von Wohlthätern, welche stattlichere
oder geringere Mittel mit wahrhaft grofsartiger Freigebigkeit dem Institut zur Verfügung
stellen.1) Sie alle aber ergänzen, erweitern und vollenden letzthin doch nur, was die
Renaissance geschaffen, sic sind lediglich die würdigen Nachfolger des ersten fürstlichen
Stifterpaares, das mit der Gründung dieses Institutes sich vielleicht sein dauerndstes, volks-
tümlichstes Denkmal schuf: Francesco Sforzas und seiner Gattin Bianca Maria.

1) Vergl. besonders: Canetta, Cenni sulI’ Ospedale Maggiore di Milano. Milano 1880.
(III. Riccordi dei Benefattori. S. 105 ff.) Dieses Buch Canettas, sowie seine kleinere Veröffentlichung:
Cronologia dell’ Ospedale Maggiore di Milano. Milano 1884. bietet noch immer die Grundlage für die
Geschichte des Hospitales. Aus der übrigen Literatur über Filarete und das Hospital seien erwähnt:
L. Corio, Antonio Filarete da Firenze. Ztschr. II Politecnico. Milano. XXI. 1873. Nr. 12. S. 722 ff.
Jansens Artikel in Meyers Künstlerlexicon „Averulino Filarete. II. S. 471 ff. von Oettingen, Ueber
das Leben und die Werke des Antonio Averlino, gen. Filarete, Leipzig 1888, und die Einleitung zur Aus-
gabe der „Tractates“. Quellenschriften zur Kunstgesch. Neue Folge. III. Wien 1890. Dohme, Filaretes
Tractat von der Architektur; Jahrb. d. K. Preufs. Kunstsamml. 1880. I. S.225ff. Reminiscenze di
Milano etc. II. S. 27 f. und d. Abb. Taf. 17 f.
 
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