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96 Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. I. Das Ospedale Maggiore.
Köpfe, die an der Nordwestfront allein mindestens zwölf verschiedene Typen zeigen, und
zwar schon hier bald an einen Bacchus, einen Hercules und einen römischen Kaiser, bald
an zeitgenössische Portraits erinnern, sind unter sich nicht völlig gleichartig gearbeitet,
im ganzen aber relativ so vortrefflich, dafs hier ein später noch zu erörternder Hinweis auf
andere, reifere, völlig rcnaissancemäfsige Schulung schon durch den Kunstwerth gerechtfertigt
erscheint. Weit befangener sind die kleineren Medaillons gearbeitet.1) Endlich seien noch
die seltsamen, flachen, hellen Todtenmasken erwähnt, welche sich noch an einzelnen Stellen
des Gurtgesimses in den tondi zwischen den Dreipässen finden — für ein Hospital freilich
ein wenig empfehlender Schmuck! —
Dem Plan unserer Studien gemäfs ist die stilkritische Erörterung des Hospitales
hier zunächst zu unterbrechen. Am 16. August 1465 trat der Toscaner vom Schauplatz
ab, und sein Nachfolger wurde, laut Beschlufs vom 22. November des Jahres,2) der Lom-
barde Giunifortc Solari, welcher dem von nun an des Geldmangels halber häufig unter-
brochenen Bau mindestens bis zum Jahre 1481 vorstand.3 4) Mit Giuniforte Solari beginnt
die Herrschaft der spccifisch lombardischen Stilweise. Der Wirksamkeit Filaretes gegen-
über bezeichnet dieselbe, wie noch zu betonen sein wird, gerade in der Art, wie sie
später Giuniforte und Pietro Solari und Lazzaro Palazzi handhaben, zweifellos oft
eine Vergröberung. Das gilt vorzugsweise von der Decoration und der Ornamentik. Allein
das gröfste Verdienst Filaretes liegt letzthin überhaupt weniger auf diesem Gebiet, als in
der architektonischen Leistung, soweit sich dieselbe in der Raumvertheilung und in
technischen Dingen äufsert: einen gleich grofsartigen, zweckmäfsigcn und einheitlichen
Profanbau hatte Mailand zuvor nicht aufzuweisen, und diese Bedeutung des Hospitales
übertrifft diejenige, welche sein Schmuck besitzt.
Jedoch auch der kunsthistorische Werth des letzteren ist nicht zu unterschätzen.
Die decorative Plastik Mailands hat auf ihrem Uebergang von der Gothik zur Renaissance
in den geschilderten Theilen des Hospitales, besonders in den Fenstern, zu der am Dom
durch Giovannino de Grassi, Matteo de Raverti und Jacopino da Tradatc ausgebildeten
Stilrichtung einen neuen, entwicklungsfähigen Beitrag erhalten, und sie hätte sich ohne
das Eingreifen energischerer Renaissancemeistcr wohl noch geraume Zeit — ähnlich wie
in Venedig — auf den gleichen Pfaden eines stark gothisirenden Mischstiles bewegen
können, dessen Reiz nur eine vorgefafste Meinung- verkannte. Das würde in besonderem
Grade wohl der Palazzo Marliani (Abb. 56) bezeugen, dessen Front der des Hospitales so
nah bleibt, und dessen spitzbogige Fenster mit ihrem Terracottafries — Putten im Ranken-
werk — und ihren Medaillonköpfen unmittelbare Gegenstücke zu denen Filaretes bieten.
Leider ist diese Front uns nur noch in Nachbildungen'1) überliefert. Dagegen ist von dem
damaligen Mailänder Profanbau wenigstens ein Fragment erhalten geblieben, welches stilistisch
der Decoration des Hospitales innig verwandt ist: das Portal der Casa Vimercati5)
(Abb. 57) in der Via Filodrammatici Nr. 1. Der Gesamtcharakter ist noch mittelalterlich,
den beiden Hauptgattungen echter Renaissanccportale, von denen die eine monumentale
Grofsartigkeit, die andere zierliche Feinheit erstrebt, glcichermafsen fern. Dieser breiten,
niedrigen Pforte haftet noch etwas von dem Ausdruck wehrhaften Trotzes an, der das
städtische Patrizierhaus des Mittelalters kennzeichnet, der ja auch noch dem im ersten Capitel
behandelten Borromco-Portal zu eigen ist. Auf verhältnifsmäfsig kurzen Pfeilern steigt
über niedrigem, flachem Blattgesims wuchtig die spitzbogige Thorwölbung auf, deren breite
Schildfläche reich ornamentirt ist, und seitlich von zwei quadratisch umrahmten Wappen-
zeichen6) flankirt, oben durch den von zwei grofsen Blättern cingefafsten Pinienzapfen der
1) Auch die grofsen Medaillonköpfe in jenen drei dem Naviglio zugewandten Fenstern sind
flüchtiger ausgeführt als die der Front.
2) Canetta, Cenni S. 12.
3) Canetta, Cenni S. 16.
4) Vergl. Müntz, La Renaissance en Italic et en France. Paris 1885. S. 239.
5) Vergl. Reminiscenze etc. II. S. 31t.
6) Rechts das Geschlechtswappen der Vimercati, und zwar des Gaspare Vimercati mit den Buch-
staben CO . GA (Comes Gaspar); links das Wappenschild der Secco von Aragon, mit denen die Vimer-
cati verwandt waren.
 
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