Verwandte Werke in Mailand. Vimercati-Portal.
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Sforza gekrönt wird. Dieser Abschlufs vertritt hier über der Schnebbe des Spitzbogens
die gothische Kreuzblume,1) aber seine beiden grossen Blätter sind akanthusartig gebildet,
und die ganze Bekrönung wird von zwei nackten Putten gehalten.2) An den Contur des
Spitzbogens selbst legen sich Kriechblätter an, gothischen Krabben entsprechend, aber
auch sie, rissig und mit unruhigen Linien, ähneln dem Akanthus, und auch in ihnen
sitzen, klettern und ruhen nackte Putten. An der Innenseite endlich wird der reich pro-
filirte Bogenrand von einem gothischen Dreipafsfries begleitet, dessen Spitzen in malerisch -
naturalistische Knäufe ausgehen, und oben vollends zeigt die glatte Bogenfläche einen
Bildschmuck, welcher schon inhaltlich den Geist der Renaissance laut verkündet: drei vor-
trefflich ausgeführte Profilköpfe ohne jede Umrahmung, flach gehalten wie Münzreliefs, in
der Mitte Francesco Sforza (Inschrift: Fr. SF. DUX. MLI), ihm zur Seite links Cäsar
Abb. 56. Front-System des ehemal. Palazzo Marliani in Mailand.
(Inschrift: DIVVS IVLIVS), rechts Alexander der Grofse (Inschrift: ALE . XANDER. M.).
— Auch hier also gothische Nachblüthe und Frührenaissance ganz unmittelbar neben
einander, in einer sehr reizvollen Verbindung! Die geeignetste Folie für die Würdigung
dieses Portales unter den Werken gleicher Gattung in Mailand selbst bietet das Portal der
Casa Borromeo.3 *) Dort deutet auf das Nahen der Renaissance lediglich der kräftige
Naturalismus des Blattwerks hin; der wesentlich gedrungcnerc Aufbau aber und die soviel
schlichtere, ruhigere Decoration, die, vom Bogenrand abgesehen, auf die graden Linien
der Profilirungen beschränkt bleibt, tragen noch ausgesprochen mittelalterliches Gepräge.
Am Vimercati-Portal dagegen breitet sich über den schon in seinen Mafsverhältnissen ver-
änderten Kern mittelalterlichen Charakters bereits weit freigebiger jenes schmucke, zierliche
Gewand, das die Mitte des Quattrocento aus Elementen malerisch-naturalistischer Gothik
1) Es sei darauf hingewiesen, dafs sich das gleiche oder wenigstens ein sehr ähnliches Motiv
am Mailänder Dom und am Dom von Como findet. Vergl. S. 128.
2) Die Rundscheibe, aus welcher die Pinie herauswächst, trägt an der Vorderseite das Motto:
„Si te fata vocant“.
3) Reminiscenze II. Taf. 1. Vergl. S. 36.
Meyer, Oberitalienischc Frührenaissance.
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Sforza gekrönt wird. Dieser Abschlufs vertritt hier über der Schnebbe des Spitzbogens
die gothische Kreuzblume,1) aber seine beiden grossen Blätter sind akanthusartig gebildet,
und die ganze Bekrönung wird von zwei nackten Putten gehalten.2) An den Contur des
Spitzbogens selbst legen sich Kriechblätter an, gothischen Krabben entsprechend, aber
auch sie, rissig und mit unruhigen Linien, ähneln dem Akanthus, und auch in ihnen
sitzen, klettern und ruhen nackte Putten. An der Innenseite endlich wird der reich pro-
filirte Bogenrand von einem gothischen Dreipafsfries begleitet, dessen Spitzen in malerisch -
naturalistische Knäufe ausgehen, und oben vollends zeigt die glatte Bogenfläche einen
Bildschmuck, welcher schon inhaltlich den Geist der Renaissance laut verkündet: drei vor-
trefflich ausgeführte Profilköpfe ohne jede Umrahmung, flach gehalten wie Münzreliefs, in
der Mitte Francesco Sforza (Inschrift: Fr. SF. DUX. MLI), ihm zur Seite links Cäsar
Abb. 56. Front-System des ehemal. Palazzo Marliani in Mailand.
(Inschrift: DIVVS IVLIVS), rechts Alexander der Grofse (Inschrift: ALE . XANDER. M.).
— Auch hier also gothische Nachblüthe und Frührenaissance ganz unmittelbar neben
einander, in einer sehr reizvollen Verbindung! Die geeignetste Folie für die Würdigung
dieses Portales unter den Werken gleicher Gattung in Mailand selbst bietet das Portal der
Casa Borromeo.3 *) Dort deutet auf das Nahen der Renaissance lediglich der kräftige
Naturalismus des Blattwerks hin; der wesentlich gedrungcnerc Aufbau aber und die soviel
schlichtere, ruhigere Decoration, die, vom Bogenrand abgesehen, auf die graden Linien
der Profilirungen beschränkt bleibt, tragen noch ausgesprochen mittelalterliches Gepräge.
Am Vimercati-Portal dagegen breitet sich über den schon in seinen Mafsverhältnissen ver-
änderten Kern mittelalterlichen Charakters bereits weit freigebiger jenes schmucke, zierliche
Gewand, das die Mitte des Quattrocento aus Elementen malerisch-naturalistischer Gothik
1) Es sei darauf hingewiesen, dafs sich das gleiche oder wenigstens ein sehr ähnliches Motiv
am Mailänder Dom und am Dom von Como findet. Vergl. S. 128.
2) Die Rundscheibe, aus welcher die Pinie herauswächst, trägt an der Vorderseite das Motto:
„Si te fata vocant“.
3) Reminiscenze II. Taf. 1. Vergl. S. 36.
Meyer, Oberitalienischc Frührenaissance.