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I 12

Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. III. Die Portinari - Capelle.

höheren Tambours unter der Kuppel, welcher dieselbe schon an sich luftiger und leichter
erscheinen läfst als die Florentiner. Dieser relativen Selbständigkeit der baulichen Durch-
bildung eint sich eine in ihrem Gesamtcharakter wie in ihren Details vom Stil Brunelleschis
wesentlich verschiedene Decorationsweise. Nach Brunelleschis Ruhm, die schlichte Vor-
nehmheit der Antike mit möglichst geringem Aufwand wiederzugewinnen, hat der Meister der
Portinari-Capelle überhaupt nicht gestrebt. Die monumentale, aber .etwas kalte Wirkung
der Interieurs des Florentiners, welche nur an einzelnen Stellen durch die farbigen Terra-
cottcn der Robbia belebt wird, ersetzt er durch reichen Formenwcchsel und strahlende
Vielfarbigkeit. Ueber dem plastischen Reiz steht ihm der malerische. Die Wandflächen
sind keineswegs so plastisch-ernst und
grofs durch antikisirende Pilaster und
Nischen belebt wie in Florenz; ihr Schmuck
blieb vielmehr lediglich einer gemalten
Flächenmusterung1) Vorbehalten. Plastisch
treten nur die reliefirtcn Eingangspfeiler
zur Capelle und zur Altarnischc hervor.
An den Ecken des Quadrates befinden
sich nur ganz schmale, in der Mitte ge-
brochene Pilaster von flachstem Relief und
ohne Ornament, und an den Längsmauern
ist der plastische Schmuck auf wenige in
gleichen Abständen den Architrav stützende
Consolen und auf einen Fries von dicht
aneinandergereihten Cherubimköpfchen be-
schränkt. Schon an diesen Unterwänden
tritt also an Stelle der rein architekto-
nischen, monumentalen Kunstweise der
Pazzi-Capelle ein kleinlicherer Schmuck.
An den oberen Bautheilen vollends
wandelt sich das Bild gänzlich, und dort
gewinnt das Mailänder Werk dem Floren-
tiner gegenüber eine selbständige Eigenart
von hohem Reiz. Licht- und Farben-
pracht giebt ihnen ein festlich-heiteres Ge-
präge. Durch die beiden grofsen Fenster
der Langseiten, die acht kleinen, mit
ebcnsovielen nur gemalten Oeffnungen
abwechselnden Rundfenster des Tambours,
und die ebenfalls in gleicher Anzahl vor-
handenen runden Oeffnungen der Laterne,
endlich noch durch die drei Apsisfenster,
strömt die Tageshelle kräftig ein, auch
die lediglich gemalten Theile der Architektur und Decoration belebend (Taf. 8). Archi-
tektur, perspectivische Frescomalerei und Stuccoplastik klingen hier zu einem unver-
gleichlich harmonischen Accord zusammen, und nicht ohne Mühe kann man im einzelnen
entscheiden, ob ein Detail nur gemalt oder sculpirt sei. In den Zwickeln halten gemalte
Engel auf gemalten Consolen reliefirte Wappenschilde; überall wird der thatsächliche,
baulich gegebene Raum durch perspectivische Malerei fortgesetzt, so besonders an den
grofsen Medaillons der Zwickel, die, eingefafst von mächtigen, weifsen, reliefartig auf
rothem Grund gemalten Ranken, scheinbar röhrenartig vertieft werden, um den ge-
malten Gestalten der sitzenden Kirchenväter Aufnahme zu gewähren; ähnlich auch an

Abb. 67. Portinari-Capelle bei S. Eustorgio
in Mailand, nach dem für das South-Kensington-
Museum in London gearbeiteten Modell.


1) Die heutige Decoration der Seitenwände stammt von der modernen Restaurirung der Capelle
durch den Architekten Giov. Brocca.
 
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