Vergleich mit dem Uebergangsstil Toscanas und Venedigs.
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nisse machen, und seine lombardischen Genossen und Nachfolger lassen wenigstens bis zur
Hochrenaissance die innere Verwandtschaft mit den Meistern des Uebergangsstiles nicht
verkennen.
Alles dies gilt zunächst von dem unmittelbaren Arbeitsgebiet der Decoration,
besonders von der Ornamentik. Für die figürliche Plastik der hier erörterten Epoche
ist vor allem charakteristisch, dafs auch sie vollständig im Zeichen einer nur deco-
rativen Kunst bleibt, nicht nur äufserlich — das theilt sie ja mit den gröfsten Meister-
werken der toscanischen Bildnerei — sondern auch der Bedeutung und dem künst-
lerischen Werthe nach. Wie bei den Sculpturen der grofsen gothischen Kathedralen des
Mittelalters jenseits der Alpen herrscht im Bildschmuck des Mailänder Domes die Masse
über das einzelne Werk. Zum ersten Male ist in diesem Buch versucht worden, diese
Gestaltenfülle stilkritisch im Sinne eines Schulzusammenhanges, ja selbst einer Künstler-
geschichte, zu sichten, und es ergab sich dabei eine ganze Reihe stilistisch geeinter
Gruppen von Sculpturen, die sich mit einzelnen Künstlerpersönlichkeiten und Schulen in
Verbindung bringen liefsen. Meister wie Giovannino de’ Grassi, Hans von Fernach, Giacomo
und Matteo da Campione, dann besonders Paolino da Montorfano, Matteo Raverti und
Jacopino da Tradate, wird man künftig in der Geschichte der italienischen Plastik wohl
unter den Bildhauern des Uebergangsstiles zu nennen haben. Allein sie halten sich noch
innerhalb der Grenze, welche im Sinne welthistorischer Betrachtung die Kunstgeschichte
von der Künstlergeschichte trennt. Sie wissen ihren Gestalten noch nicht jenes Sonder-
dasein zu verleihen, ihnen noch nicht das mit jener persönlichen Sprache begabte Leben
einzuhauchen, die uns zwingen, in den Werken die Kraft einer scharf ausgeprägten Künstler-
individualität anzuerkennen; und die Theilung der Arbeit unter zahlreiche nur ausführende
Hände ist nur allzu geeignet, den persönlichen Charakter noch mehr zu verwischen. In
dieser Hinsicht ist es nicht zulässig, die genannten Meister mit den bekannten Vertretern
des Uebergangsstiles der toscanischen Sculptur unmittelbar auf gleiche Stufe zu stellen, so
wesentlich die stilistischen Analogieen zu deren Werken sein mögen. Zählt doch selbst
auch der einzige Toscancr, der auch innerhalb seiner persönlichen Leistungsfähigkeit ihnen
nah verwandt bleibt, Niccolö d’Arezzo, keineswegs zu den toscanischen Grofsmeistern
vom Range eines Quercia, Ghiberti und vollends eines Donatello. Ja selbst ein Nanni di
Banco bleibt ihm als entschlossenerer Vorkämpfer der Antike überlegen!
Von diesem „Vorläufer und Nebenbuhler Donatellos“, ist sehr richtig gesagt
worden,1) er kennzeichne das normale Verhältnifs, in dem ein Florentiner der Ueber-
gangszeit zur Gothik und Renaissance steht. Nun vergleiche man mit dessen Statuen,
mit seinem S. Lucas im Dom, seinem S. Philipp, den vier Heiligen und dem S. Eligius
an Orsanmichele, die reifsten unter den geschilderten Figuren des Mailänder Domes!
Bei solcher Gegenüberstellung rücken diese lombardischen Künstler fast völlig in den
Kreis der Gothiker zurück, denn der Einflufs der Antike scheidet aus den für ihre Kunst-
weise bezeichnenden Elementen vollständig aus, und nirgends empfängt man von ihnen
den Eindruck jener geschmeidigen Bewegungsfähigkeit oder aber jener fast trotzig stand-
haften Muskelstärke, auf der die neue Lebenswahrheit der florentiner Plastik im Kreis
Donatellos vor allem beruht. Das einzige bedeutende Werk in der Lombardei, von welchem
dieser frische Hauch der Frührenaissance ausgeht, der Engelreigen in der Portinari-Capelle,
wird gerade dadurch am bestimmtesten der florentiner Kunst zugewiesen und steht zeitlich
völlig jenseits der durch jene Domsculpturen gekennzeichneten Grenze. —
Und trotzdem war es berechtigt, auch den geschilderten Bildschmuck der Mailänder
Kathedrale bereits im Zeichen der Uebergangskunst von der Gothik zur Renaissance zu
behandeln. Wenn man die stilkritische Sonde tiefer senkt, fühlt man gerade bei einem
Vergleich mit der florentiner Plastik, besonders soweit dieselbe der Richtung Andrea Pisanos
angehört, eine innere Verschiedenheit des Kunstcharakters.
Auch Andrea selbst ist dem Wesen seiner Kunst nach noch Gothiker. In‘seinen
Gestalten lebt noch das zarte, aus der mittelalterlichen Empfindungsweise geborene Körper-
1) Cornelius, Jacopo della Quercia. Halle. 1896. S. 178.
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nisse machen, und seine lombardischen Genossen und Nachfolger lassen wenigstens bis zur
Hochrenaissance die innere Verwandtschaft mit den Meistern des Uebergangsstiles nicht
verkennen.
Alles dies gilt zunächst von dem unmittelbaren Arbeitsgebiet der Decoration,
besonders von der Ornamentik. Für die figürliche Plastik der hier erörterten Epoche
ist vor allem charakteristisch, dafs auch sie vollständig im Zeichen einer nur deco-
rativen Kunst bleibt, nicht nur äufserlich — das theilt sie ja mit den gröfsten Meister-
werken der toscanischen Bildnerei — sondern auch der Bedeutung und dem künst-
lerischen Werthe nach. Wie bei den Sculpturen der grofsen gothischen Kathedralen des
Mittelalters jenseits der Alpen herrscht im Bildschmuck des Mailänder Domes die Masse
über das einzelne Werk. Zum ersten Male ist in diesem Buch versucht worden, diese
Gestaltenfülle stilkritisch im Sinne eines Schulzusammenhanges, ja selbst einer Künstler-
geschichte, zu sichten, und es ergab sich dabei eine ganze Reihe stilistisch geeinter
Gruppen von Sculpturen, die sich mit einzelnen Künstlerpersönlichkeiten und Schulen in
Verbindung bringen liefsen. Meister wie Giovannino de’ Grassi, Hans von Fernach, Giacomo
und Matteo da Campione, dann besonders Paolino da Montorfano, Matteo Raverti und
Jacopino da Tradate, wird man künftig in der Geschichte der italienischen Plastik wohl
unter den Bildhauern des Uebergangsstiles zu nennen haben. Allein sie halten sich noch
innerhalb der Grenze, welche im Sinne welthistorischer Betrachtung die Kunstgeschichte
von der Künstlergeschichte trennt. Sie wissen ihren Gestalten noch nicht jenes Sonder-
dasein zu verleihen, ihnen noch nicht das mit jener persönlichen Sprache begabte Leben
einzuhauchen, die uns zwingen, in den Werken die Kraft einer scharf ausgeprägten Künstler-
individualität anzuerkennen; und die Theilung der Arbeit unter zahlreiche nur ausführende
Hände ist nur allzu geeignet, den persönlichen Charakter noch mehr zu verwischen. In
dieser Hinsicht ist es nicht zulässig, die genannten Meister mit den bekannten Vertretern
des Uebergangsstiles der toscanischen Sculptur unmittelbar auf gleiche Stufe zu stellen, so
wesentlich die stilistischen Analogieen zu deren Werken sein mögen. Zählt doch selbst
auch der einzige Toscancr, der auch innerhalb seiner persönlichen Leistungsfähigkeit ihnen
nah verwandt bleibt, Niccolö d’Arezzo, keineswegs zu den toscanischen Grofsmeistern
vom Range eines Quercia, Ghiberti und vollends eines Donatello. Ja selbst ein Nanni di
Banco bleibt ihm als entschlossenerer Vorkämpfer der Antike überlegen!
Von diesem „Vorläufer und Nebenbuhler Donatellos“, ist sehr richtig gesagt
worden,1) er kennzeichne das normale Verhältnifs, in dem ein Florentiner der Ueber-
gangszeit zur Gothik und Renaissance steht. Nun vergleiche man mit dessen Statuen,
mit seinem S. Lucas im Dom, seinem S. Philipp, den vier Heiligen und dem S. Eligius
an Orsanmichele, die reifsten unter den geschilderten Figuren des Mailänder Domes!
Bei solcher Gegenüberstellung rücken diese lombardischen Künstler fast völlig in den
Kreis der Gothiker zurück, denn der Einflufs der Antike scheidet aus den für ihre Kunst-
weise bezeichnenden Elementen vollständig aus, und nirgends empfängt man von ihnen
den Eindruck jener geschmeidigen Bewegungsfähigkeit oder aber jener fast trotzig stand-
haften Muskelstärke, auf der die neue Lebenswahrheit der florentiner Plastik im Kreis
Donatellos vor allem beruht. Das einzige bedeutende Werk in der Lombardei, von welchem
dieser frische Hauch der Frührenaissance ausgeht, der Engelreigen in der Portinari-Capelle,
wird gerade dadurch am bestimmtesten der florentiner Kunst zugewiesen und steht zeitlich
völlig jenseits der durch jene Domsculpturen gekennzeichneten Grenze. —
Und trotzdem war es berechtigt, auch den geschilderten Bildschmuck der Mailänder
Kathedrale bereits im Zeichen der Uebergangskunst von der Gothik zur Renaissance zu
behandeln. Wenn man die stilkritische Sonde tiefer senkt, fühlt man gerade bei einem
Vergleich mit der florentiner Plastik, besonders soweit dieselbe der Richtung Andrea Pisanos
angehört, eine innere Verschiedenheit des Kunstcharakters.
Auch Andrea selbst ist dem Wesen seiner Kunst nach noch Gothiker. In‘seinen
Gestalten lebt noch das zarte, aus der mittelalterlichen Empfindungsweise geborene Körper-
1) Cornelius, Jacopo della Quercia. Halle. 1896. S. 178.
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