Terracotten von S. Lanfranco. Kunsthistorisches Ergebnifs.
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Diese Terracotten von S. Lanfranco sind fest datirt.1) An der Mauer des Kreuz-
ganges zeigen die Gewölbeconsolen2) ebenfalls einen zierlichen Terracottaschmuck, ein
Puttokind zwischen Volutenstengeln, das von der gleichen Hand gebildet ist wie die
Putten an den Archivolten, und diese Consolcn tragen die Inschrift: „Hoc opus f. f. Lucas
abbas S. L. anno 1467.“ Das ist also die gleiche Zeit, in der die reifen Terracotten der
Certosahöfe gearbeitet wurden. Dieselben Consolen finden sich in Pavia auch im
Refectorium des Klosters der Pusterla.3)
Abb. 25. Certosa bei Pavia.
Console im „ kleinen11 Klosterhof.
* *
*
Zweifellos sind diese Terracotta-Arcaden nebst
den aus den gleichen Formen stammenden Fragmenten,
die besonders in die Museen von Pavia und Mailand
gelangten, nur noch die spärlichen Reste einer einst im
ganzen Gebiet von Pavia und Cremona weit verbreiteten
Denkmälerreihe. Aber auch diese kargen Beispiele ge-
nügen, um zu bezeugen, dafs die Terracotten der
Certosahöfe die glänzendste Leistung dieser der Lom-
bardei eigenen Kunstgattung bleiben.
Innerhalb der national-lombardischen Kunst-
geschichte füllen sie in hochwillkommener Weise ein
bisher fast leeres Blatt.
Die Wurzeln der hier vertretenen Kunst ruhen
in noch mittelalterlichem Boden. Nicht zufällig hat
sie sich gerade an klösterlicher Stätte entwickelt: Mönchskunst, die um Zeitaufwand
unbekümmert ist, und der solche Arbeit selbst als frommes Tagewerk gilt, möchte man
hier erblicken. Aber man vergesse nicht, dafs eine gleich liebevolle Einzelarbeit auch in
den Steinmetzhütten hergebracht war, welche die grofsen Kirchenbauten, vor allem den
Mailänder Dom, umgaben. Die gothisirenden Consolen und Knäufe der Mailänder Kathe-
drale sind auch hierin vorangegangen. In den Sacristeisculpturen eines Giovannino de
Grassi und Giacomo da Campione lernten wir die ersten bedeutungsvollen Werke dieser
an den Certosa-Arcaden herrschenden Kunstweise kennen: den lebenswahren Realismus,
den Genrecharakter, die sorgsame Miniaturarbeit und den plastischer Wucht baren, mehr
malerischen Zug der Formenbehandlung. Eine innere Verwandtschaft mit dem germanischen,
transalpinen Kunstempfinden ward in jenen Domsculpturcn fühlbar. Ganz leise klingt sie auch
in diesen Certosahöfen nach. Manche Gestalt mag an spätgothische Holzbildnereien des
noch Nordens oder an die knorrigen Männertypen altniederländischer Bilder erinnern. Allein
das italienische Schönheitsgefühl ist hier nun doch schon zum Siege gelangt und erreicht
besonders in den jugendlichen Frauen- und in den Mädchenfiguren der Engel sogar eine
ungewöhnlich zarte Anmuth. Gerade dies ist das Gebiet Omodeos, während seine Genossen,
die Mantegazza, schon hier eine herbere Auffassung zeigen, und die Meister vom Schlage
eines Cristoforo Luoni die Liebenswürdigkeit der Themata durch eine oft noch recht derbe
Formengebung schädigen.
1) Ueber den Künstler dieser Terracotten herrschen verschiedene Ansichten. . Nach Robolini,
Memorie appartenenti alla storia della sua patria. Pavia 1838. vol. VI. Part I. S. 179, sollen sie von
einem Deutschen Lucas, Luca de Alemannia, stammen, dem als „magister a fictilibus seu imaginibus
terrae“ 1455 die Steuern erlassen wurden, aber zweifellos war auch dies nur ein Techniker, ein vasajo.
Auf Omodeo wies schon Julius Meyer hin (Allg. Künstlerlexicon. Leipzig 1873. I. S. 576). Magenta
(Certosa S. 449) schlägt dagegen kritiklos den Meister der älteren Arcaden des kleinen Certosahofes vor.
2) Es sind hier nur acht erhalten. Der in der Inschrift genannte Luca Zanachi war von 1453
bis 1480 Abt. Die übrigen Arcaden des Kreuzganges wurden 1873 niedergerissen, um den Cimitero
Parrocchiale zu vergröfsern!
3) Vergl. Brambilla, a. a. O. S. 23. Nach Magenta auch in S. Salvatore (S. 449 Anm. 2).
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Diese Terracotten von S. Lanfranco sind fest datirt.1) An der Mauer des Kreuz-
ganges zeigen die Gewölbeconsolen2) ebenfalls einen zierlichen Terracottaschmuck, ein
Puttokind zwischen Volutenstengeln, das von der gleichen Hand gebildet ist wie die
Putten an den Archivolten, und diese Consolcn tragen die Inschrift: „Hoc opus f. f. Lucas
abbas S. L. anno 1467.“ Das ist also die gleiche Zeit, in der die reifen Terracotten der
Certosahöfe gearbeitet wurden. Dieselben Consolen finden sich in Pavia auch im
Refectorium des Klosters der Pusterla.3)
Abb. 25. Certosa bei Pavia.
Console im „ kleinen11 Klosterhof.
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Zweifellos sind diese Terracotta-Arcaden nebst
den aus den gleichen Formen stammenden Fragmenten,
die besonders in die Museen von Pavia und Mailand
gelangten, nur noch die spärlichen Reste einer einst im
ganzen Gebiet von Pavia und Cremona weit verbreiteten
Denkmälerreihe. Aber auch diese kargen Beispiele ge-
nügen, um zu bezeugen, dafs die Terracotten der
Certosahöfe die glänzendste Leistung dieser der Lom-
bardei eigenen Kunstgattung bleiben.
Innerhalb der national-lombardischen Kunst-
geschichte füllen sie in hochwillkommener Weise ein
bisher fast leeres Blatt.
Die Wurzeln der hier vertretenen Kunst ruhen
in noch mittelalterlichem Boden. Nicht zufällig hat
sie sich gerade an klösterlicher Stätte entwickelt: Mönchskunst, die um Zeitaufwand
unbekümmert ist, und der solche Arbeit selbst als frommes Tagewerk gilt, möchte man
hier erblicken. Aber man vergesse nicht, dafs eine gleich liebevolle Einzelarbeit auch in
den Steinmetzhütten hergebracht war, welche die grofsen Kirchenbauten, vor allem den
Mailänder Dom, umgaben. Die gothisirenden Consolen und Knäufe der Mailänder Kathe-
drale sind auch hierin vorangegangen. In den Sacristeisculpturen eines Giovannino de
Grassi und Giacomo da Campione lernten wir die ersten bedeutungsvollen Werke dieser
an den Certosa-Arcaden herrschenden Kunstweise kennen: den lebenswahren Realismus,
den Genrecharakter, die sorgsame Miniaturarbeit und den plastischer Wucht baren, mehr
malerischen Zug der Formenbehandlung. Eine innere Verwandtschaft mit dem germanischen,
transalpinen Kunstempfinden ward in jenen Domsculpturcn fühlbar. Ganz leise klingt sie auch
in diesen Certosahöfen nach. Manche Gestalt mag an spätgothische Holzbildnereien des
noch Nordens oder an die knorrigen Männertypen altniederländischer Bilder erinnern. Allein
das italienische Schönheitsgefühl ist hier nun doch schon zum Siege gelangt und erreicht
besonders in den jugendlichen Frauen- und in den Mädchenfiguren der Engel sogar eine
ungewöhnlich zarte Anmuth. Gerade dies ist das Gebiet Omodeos, während seine Genossen,
die Mantegazza, schon hier eine herbere Auffassung zeigen, und die Meister vom Schlage
eines Cristoforo Luoni die Liebenswürdigkeit der Themata durch eine oft noch recht derbe
Formengebung schädigen.
1) Ueber den Künstler dieser Terracotten herrschen verschiedene Ansichten. . Nach Robolini,
Memorie appartenenti alla storia della sua patria. Pavia 1838. vol. VI. Part I. S. 179, sollen sie von
einem Deutschen Lucas, Luca de Alemannia, stammen, dem als „magister a fictilibus seu imaginibus
terrae“ 1455 die Steuern erlassen wurden, aber zweifellos war auch dies nur ein Techniker, ein vasajo.
Auf Omodeo wies schon Julius Meyer hin (Allg. Künstlerlexicon. Leipzig 1873. I. S. 576). Magenta
(Certosa S. 449) schlägt dagegen kritiklos den Meister der älteren Arcaden des kleinen Certosahofes vor.
2) Es sind hier nur acht erhalten. Der in der Inschrift genannte Luca Zanachi war von 1453
bis 1480 Abt. Die übrigen Arcaden des Kreuzganges wurden 1873 niedergerissen, um den Cimitero
Parrocchiale zu vergröfsern!
3) Vergl. Brambilla, a. a. O. S. 23. Nach Magenta auch in S. Salvatore (S. 449 Anm. 2).
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