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Zweites Capitel. Die Colleoni-Capelle in Bergamo.

Mit voller Bestimmtheit anzugeben, welche dieser verschiedenen Veränderungen
die jetzige Form des Colleoni-Denkmales und der Aufsenansicht bewirkt hat, ist ohne
Actenmaterial kaum möglich, aber die Richtung, in der sich diese Umformungen bewegten,
und die Gründe, die sie veranlafsten, sind fast unverkennbar.
Der obere „Sarkophag“ ist offenbar erst später an seine unglückliche Stelle ge-
bracht worden. Erst bei dieser Gelegenheit wurden die drei Statuen der sitzenden „Helden“
in der heutigen unverantwortlichen Art angeordnet und gleichzeitig erhielten die Säulen
der Nischenarcade die häfslichen Sockelstücke aus .rothem Marmor. Da aber das Reiter-
bild in Omodeos Entwurf nicht vorgesehen war, so ist auch seine ganze Umrahmung
apokryph, und selbst gegen die Einheitlichkeit der tragenden Theile und des unteren
Sarkophages erheben sich gewichtige Bedenken.1)
Sicher bleibt nur, dafs die Umformungen vor allem eine wesentliche Erhöhung
des ganzen Aufbaues bezweckten.
Und das Gleiche meldet dem prüfenden Blick in überraschender Weise auch die
Front. Das bezeugen die Fensterbekrönungen, bei denen die ursprünglich zweifellos für
die Halbkreislünetten bestimmten durchbrochenen Füllungen — gleichsam die Marmorver-
gitterung des Oberlichtes — jetzt widersinnig genug als Aufsatz des Architraves dienen,
das bezeugen ferner die darüber gethürmten Tabernakel.2)
Man hat den ganzen Bau füglich erhöht, zuerst wahrscheinlich im Zusammenhang
mit der Anordnung des Reiterbildes, möglicherweise dann nochmals, als man diesem den
zweiten „Sarkophag“ zum Sockel gab.
Für die heutige Anordnung der decorativen Zierstücke also ist keinesfalls Omo-
deo verantwortlich zu machen. Seine Beurtheilung darf hier nur die einzelnen Theile
ins Auge fassen, die als Werkstücke meist wohl noch unter seiner eigenen Aufsicht voll-
endet, aber am Bau selbst erst angebracht wurden, nachdem er Bergamo bereits verlassen
hatte — sicherlich mit wesentlichen Abweichungen von seinem eigenen Entwurf.
War doch Omodeo schon 1475 zu einer weit gröfseren Aufgabe berufen worden,
zur neuen Mitarbeiterschaft am Bildschmuck des Werkes, mit dem sein Name schon früher
verbunden war und wo er nun zur glänzendsten Bedeutung emporsteigen sollte: der
Certosa bei Pavia. Dort war fortan seine Marmorwerkstatt, dort erst dürfte er jene
reiferen Bildwerke der Colleoni-Capelle geschaffen haben, die wir von den übrigen stil-
kritisch sonderten: vor allem einzelne Reliefs der Schöpfungsgeschichte und der Hercules-
thaten an der Front. Andererseits aber gewannen an den in Bergamo selbst oder in
Pavia noch für die Colleoni-Capelle fertig zu stellenden Sculpturen nun bei der gröfseren
Inanspruchnahme des Meisters auch Gehülfenhände mehr und mehr Antheil. Das gilt vor-
zugsweise von den manierirten „Helden“ und Frauenstatuen, und es wird sogar möglich,
auch die Sonderrichtung dieser Gehülfen näher zu bestimmen. Es ist — wie noch zu
zeigen — die Art des Giovanni Battaggio da Lodi, den wir auch sonst in der Gefolg-
schaft Omodeos finden.
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Als Bildhauer ging Omodeo an die Certosa, als Bildner im Sinne der Frührenais-
sance, die eine scharfe Scheidung zwischen decorativem und freiem Schaffen nicht kannte,
als Schöpfer reicher Reliefs und Figuren und doch gleichzeitig als Marmor-Ornamentist —
nicht aber als Architekt. So lehrt auch die Colleoni-Capelle in Bergamo nur den Bildner
und den Meister ornamentaler Decoration schätzen. Wie verderblich die Umgestaltungen
auch gewesen sein mögen, welche die Folgezeit mit Omodeos Entwurf vornahm: einen
höheren baulichen Werth hat der letztere zweifellos niemals gehabt. Omodeo trat auch an
diese architektonische Aufgabe nicht anders heran, als etwa an die Ausschmückung eines
Sarkophages oder einer Thür. In diesem Sinn hat seine decorative Phantasie einen Zug zur
1) Vergl.' Jahrb. d. Kgl. Preufs. Kunstsamml. a. a. O. S. 9.
2) Auch die abgestufte Form des Kuppeltambours weist auf eine Erhöhung.
 
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