Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
S. Maria presso S. Satiro.

65

hier. Sie ist hier nicht mehr lediglich Füllung und decorativer Schmuck, sondern
bedeutet innerhalb der Harmonie des Ganzen einen unentbehrlichen, sehr kraftvollen
Grundton. Aber auch an sich betrachtet und aus der Nähe im Einzelnen studirt zeigen
diese Werke den Stempel einer aufs Grofse zielenden Kunstweise, einen Zug zum Monu-
mentalen, welcher der specifisch lombardischen Plastik fern ist. Die mächtigen Köpfe
(Abb. 50) von mehr als doppelter Lebensgröfse ragen aus dem Fond fast als Vollbilder heraus.
Ihren Hals umschliefst ein starker Fruchtkranz aus hellem Stucco, welchen ihre Umrisse
oben malerisch überschneiden. Die Muster boten offenbar meist antikrömische Köpfe von
Medaillen und Gemmen, aber dieselben sind durchaus frei verwerthet und selbständig ver-
ändert. Erregtes persönliches Leben durchpulst sie, und sie blicken stets — vielfach mit sehr
scharfer Wendung — aufwärts. Dabei ist die technische Behandlung von reifster Sicherheit,
flott und grofsartig, weitaus kraftvoller als bei den Medaillonköpfen der Hospitalfenster,
prächtiger selbst als bei den Medaillons des Palazzo Mediceo, die von sämtlichen bisher
genannten Sculpturen überhaupt allein mit ihnen allenfalls verglichen werden können. Jede
kleinlich strichelnde Detaillirung, zu welcher das Material so leicht verlockt, ist vermieden;
ruhige Flächen und grofse Formen bestimmen den Gesamteindruck. Von feinstem Schnitt
sind dabei die Lippen, überhaupt die Mundpartien, die in Verbindung mit den so lebhaft
blickenden Augen — ohne Pupillen! — diesen lockenumwallten Jünglingsgesichtern und
bärtigen Männerköpfen bald den Ausdruck feinsinniger Klugheit, bald thatkräftiger Energie
verleihen. Mehrere sind offenbar Porträts. Einer — der über der Eingangsthür befind-
liche — könnte als das Bildnifs Bramantes gelten. — Die gleiche Hand, aber wiederum auf
einem ganz anderen Schaffensgebiet, weisen dann die in starkem Hochrelief gehaltenen
Puttenfriese selbst auf. Auch hier mufs man aus der Nähe prüfen, um die Leistung
richtig zu würdigen, dann aber wird man kaum Bedenken tragen, manche dieser Puttenreliefs
selbst denen Donatellos an der Florentiner Orgelbalustrade und der Aufsenkanzel von Prato
an die Seite zu stellen. Wenigstens an allgemeinem künstlerischen Reiz sind sie den
letzteren vergleichbar. Sie stehen ihnen äufserlich noch näher als die Engel der Portinari-
Capelle, ja sie entstammen unmittelbar demselben vollkräftigen Geschlecht, nur dafs sich die
antike Stammes-Erbschaft in dieser Generation nicht mehr so sinnfällig erkennen läfst: das
naturalistische Element beginnt hier denEinflufs antiker Vorbilder bereits zurückzudrängen. —
Bald nackt, bald mit dem üblichen nur bis zum Oberschenkel reichenden Hemd-
chen bekleidet, treiben diese halb lebensgrofsen, drallen Buben, meist zu je dreien zusammen-
geordnet, die mannigfachste Kurzweil. Da schleppen sie nach Art antiker Bacchanten schwere
Fruchtbündel und Schalen herbei, oder Reiser, die entzündet werden und an deren Flammen
sich die Nachbargruppe erwärmt.1) Dort trägt der eine den Gespielen auf dem Rücken, während
der dritte diese zu einem neckischen Schlag verlockende Stellung seines Genossen fröhlich
benutzt. Hier weist ein Knabe seinen Nachbarn mit drastischer Handbewegung auf den
grofsen Cäsarenkopf des Medaillons hin, dort lauschen sie eifrig auf ein Lautenspiel, blasen
die Flöte, schlagen Trommeln und Tambourins, lesen dicht an einander gelehnt gemein-
sam in einem Buch, vergnügen sich mit einem Hündchen, tanzen, blicken erstaunt herauf
und herab, in echt kindlicher Lust sich ihres Daseins freuend. Sämtliche Gruppen, von
einer einzigen abgesehen, sind verschieden, selbst da, wo das gleiche Grundmotiv — das
Herbeitragen von Fruchtbündeln und Feuerscheiten und das Lesen — wiederholt ver-
wendet wird. Nur die Gruppe der drei dicht an einander geschmiegten Kinder, von denen
das mittlere die Viola in der Hand hält, ist zweimal angebracht,2) und bei dem Liebreiz
gerade dieser Erfindung ist das vollauf begreiflich. Auch die Einzelfiguren wechseln.
Frei und leicht sind die Bewegungen der drallen Glieder, die Köpfe mit dem kurzen Haar
und den sprechend geöffneten Lippen von drastischer Lebendigkeit. Oft findet sich eine eckige
Linie, im ganzen aber ist die Behandlung der Formen erstaunlich reif und sicher.
1) Vergl. die inhaltlich verwandten Reliefs am linken Säulensockel des Portales der Scuola di
S. Marco in Venedig; zum nächsten Motiv ferner die S. 42 Anm. 1 erwähnten Darstellungen. Hat Bra-
mante die Kinderdarstellungen in den Capellen des Tempio Malatestiano in Rimini (1450) gekannt?
Aehnliche Motive finden sich dort, aber sie sind weit zarter behandelt.
2) lieber dem Eingang und über der zweiten Nische links.
Meyer, Oberitalienische Frührenaissance, II. g
 
Annotationen