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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 8
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Schmidkunz, Hans: Biedermeier als Erzieher
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Pazaurek, Gustav Edmund: Rudolf Bitzan
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0426
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308

Rudolf Bitzan

mehr wie im Mittelalter lieber als Privatleute ein-
schränken, als dass wir die Wohnung des Ueber-
natürlichen ohne reiche Ausstattung lassen. Und
speziell der Protestantismus ist allzusehr eine mehr
„akustische“ als „optische“ Religion, als dass er
seine kirchliche Architektonik von sich selbst aus
genug fruchtbar machen könnte. Im Kirchenbau
wird allerdings der Gegensatz zwischen Einst und
Jetzt, zwischen Form und Form, besonders schwer
lösbar. Von Haus aus ist jedoch das Christentum,
wenigstens das katholische, nicht so beschaffen, dass
es die einen Stilformen vor den anderen entscheidend
bevorzugen müsste. Grundsätzlich lässt sich christ-
liche Kultur, katholische wie protestantische, auch
in unhistorischesten Gegenwartsbauten denken.
Doch noch liegen wenig ausgeführte Beispiele sol-
cher Art vor (einige protestantische in Sachsen).
Bei dem Wettbewerbe für eine (katholische) Kirche
in Milbertshofen bei München, über welche die
„Christliche Kunst“ 11/7, April 1906 Beilage, be-
richtet, gab es einen modernen Entwurf, der an-
scheinend trotz unbestreitbarer Vorzüge so von
vorherein beiseite gelegt wurde, dass eine Revision
des Prozesses gefordert werden kann. Der Entwurf
mit dem Motto „Orchideen“ sah von einem jeden
der historischen Stile ab und wollte „alle im Pro-
fanbau üblichen modernen Baumaterialien und da-
von bedingten Konstruktionsmöglichkeiten auf den
Kirchenbau anwenden.“ Geschlossenheit, Würde
und edle Einfachheit, sodann eine bewegte Gestal-
tung des Grundrisses und ein malerischer Eindruck
waren dem Projekte nicht abzusprechen. Etwas
Spielerisches, zumal in der Anordnung der Fenster,
hat sich allerdings auch hier gezeigt. V

RUDOLF

Dieser Name ist den Lesern der „Modernen Bau-
formen“ nicht mehr unbekannt. Schon vor zwei
Jahren hatten wir Gelegenheit, anlässlich des Wett-
bewerbs um das Bahnhofprojekt von Karlsruhe uns
gerade mit diesem jungen, tüchtig emporstrebenden
Künstler zu beschäftigen, der mit seinem gross-
zügigen, breiten Entwurf selbst einem H. Billing
nicht geringe Konkurrenz machte. Da wir heute
die drei neuesten Schöpfungen Bitzans im Bilde
vorzuführen haben, glauben wir ihm auch in einer
Würdigung seines Lebensganges und seiner Lei-
stungen gerecht werden zu müssen. V
V Rudolf Bitzan ist von Geburt ein Deutschböhme.

V Gerade jener Wettbewerb Hess deutlich erkennen,
welche gegenwärtigen Anforderungen an den Kirchen-
bau am ehesten für eine traditionstreue und doch
selbständige Formensprache zu benützen sind.
„Möglichst freie und grosse Gestaltung des Kirchen-
schiffes unter Zurückdrängung dessen, was den
Blick auf den Altar hemmt“ — darauf gingen fast
alle Projekte jenes Wettbewerbes aus. Ganz neu
ist dies nicht, doch lange noch nicht in alle seine
technischen und ästhetischen Vorteile hinein er-
schöpft. Und unter diesem wahrhaft schlichten
Zeichen stehen auch sonst einige jüngste Erzeug-
nisse des Kirchenbaues. V
V Anderswo hat Schreiber dieser Zeilen anzudeuten
gesucht, wieviel noch für den Kirchenbau aus der
Anlegung von Aussenarkaden zu gewinnen ist.
Welche Verkehrsbedeutung und Kunstbedeutung
Arkaden überhaupt besitzen, kann jeder Laie und
Künstler wissen. Es ist aber merkwürdig, wie
wenig sich die moderne Baukunst trotz ihres Jagens
nach allen erdenklichen Formen und Motiven die
Vorteile von Arkadenbauten zunutze macht. Reich-
lich könnten unsere Strassen Arkadengänge als
Vervollständigung der Gehwege vertragen. Und
gelangen wir erst, worüber sich Verfasser hier
ebenfalls nicht wiederholen kann, endlich einmal
zu dem Bau von Arkaden und verwandten Gebilden
in höherer Höhe als der des Strassenniveaus, dann
wird auch dem Probleme des Städteverkehres und
Städtebaues ein neues Erlösungsmoment eingefügt
sein, zugleich als ein neuer Quell für architekto-
nische Künstlerschaft. Ob nun rund oder recht-
eckig oder spitz, ist gewiss auch unserem Onkel
Biedermeier nicht von grossem Belang. V

BITZAN

In Wartenberg beim Jeschken 1872 als Sohn eines
Bürgerschullehrers zur Welt gekommen, erhielt er
doch seine ganze Schulbildung in der deutsch-
böhmischen Hauptindustriestadt Reichenberg, wo
sein Vater heute noch wirkt. Die Reichenberger
Staatsgewerbeschule geniesst mit Recht einen guten
Ruf und hat sich auch hier wieder gut bewährt,
indem sie unserem Baumeister eine tüchtige Grund-
lage beibrachte, die er in den Jahren 1890-1896
in der Praxis noch zu befestigen nicht unterliess.
Von grosser Bedeutung wurde sodann ein mehr-
jähriger Münchener Aufenthalt, wo ein Seidl,
Hocheder und Dülfer den nachhaltigsten Eindruck
 
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