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Regierungsbaumeister a. D. Hans Jessen, Berlin
Holzhäuser in Lichtenrade bei Berlin
BAUTEN VON REGIERUNGSBAUMEISTER a. D.
HANS JESSEN, BERLIN
Gar mannigfacher Art sind die Aufträge, die dem
Architekten zuteil werden. Das abgelegene
Eigenheim verlangt eine andere äussere wie innere
Gestaltung als das mehrstöckige Mietshaus in der
langen Strassenflucht einer Großstadt. Die Bau-
elemente einer Kirche taugen nicht zu einem Ge-
schäftsbau oder gar einer Fabrik. In der Aufgabe
selbst wurzeln zunächst die Gestaltungselemente
des Baues; sie herauszuarbeiten und mit dem per-
sönlichen Geiste des Künstlers und vielleicht auch
ein wenig des Auftraggebers zu erfüllen, fordert
eben einen Baumeister. Hieraus ergibt sich aber
schon, wo der Architekt mit Schöpferkraft wirklich
Neues schaffen kann und wo er schon oft gelöste
Aufgaben im Anschluss an bewährte alte Lösungen
mit seinem Zeitgeiste zu erfüllen und mit den
neuesten technischen Errungenschaften auszuführen
hat. Das mögen so manche von stürmischer Ge-
staltungskraft erfüllte Künstler nicht vergessen, wenn
sie in begreiflichem Originalitätstrieb z.B.aus einem
Kaffeehaus einen indischenTempel odereine kristall-
durchwachsene Felsengrotte machen wollen. Gerade
unsere Zeit bietet neue Aufgaben genug, die der
künstlerischen Lösung harren, aber auch ganze
Künstler verlangen.
Verschiedenartige Bauaufgaben sind es auch, die
an den Architekten Hans Jessen herangetreten sind:
Banken und Geschäftshäuser, öffentliche Gebäude
und Fabrikbauten, Villen und Siedelungen. Die
Werke, die in diesem Hefte abgebildet sind, zeigen,
wie Jessen seine Aufträge glücklich zu erfüllen
wußte. Sie lassen vor allem auch erkennen, wie er
mit der Zeit mitgegangen ist und nach der Bauweise
der Vorkriegszeit auch in der Gegenwart Eigenstes
zu bringen versteht. 1911/12 wurde der Innenumbau
der Zweigstelle der Deutschen Bank in Bremen
ausgeführt. Es galt,denWarteraum mit dem Kabinen-
raum in Verbindung zu bringen und außerdem ohne
Beseitigung der Decke freien Einblick in diesen
zu schaffen. Die Schwierigkeit lag darin, den Warte-
raum in seiner Geschlossenheit nicht zu zerstören
und etwa zum Treppenhaus werden zu lassen, son-
dern ihn als Raum zu erhalten. Das ist meisterhaft
gelungen. Die Treppe tritt in den Hintergrund, be-
hält aber doch als wesentlicher Faktor der Anlage
dadurch ihre Geltung, daß der Gang auf sie hin-
führt, Richtung gebend von den Arkaden begleitet
und betont. Die hellpolierte Ahornholzverkleidung
gibt den beiden Räumen ihre frohe Farbigkeit. Aus
demselben Geiste heraus schuf Jessen den Bau
der Deutschen Bank in Darmstadt (1914/15). Mag
auch hier, wie in dem Innenraum der Deutschen
Bank in Bremen, noch manche Anlehnung zu er-
kennen sein, so zeigt aber doch z. B. die schlichte
Portal- und Fenstergestaltung mit ihren wunder-
vollen Profilen die vornehme Zurückhaltung des
Künstlers in einer Zeit, die doch auf prunkende
Aufmachung so großen Wert legte. Vornehme Ein-
fachheit ist auch das charakteristische Kennzeichen
der beiden Villen in Dahlem bei Berlin (1914), zwei
Backsteinbauten ausgeflammtenRathenowerZiegeln,
wo besondersderRhythmusvon ruhigen Wandflächen,
MOD. BAUFORMEN 1922. II, 1.
Regierungsbaumeister a. D. Hans Jessen, Berlin
Holzhäuser in Lichtenrade bei Berlin
BAUTEN VON REGIERUNGSBAUMEISTER a. D.
HANS JESSEN, BERLIN
Gar mannigfacher Art sind die Aufträge, die dem
Architekten zuteil werden. Das abgelegene
Eigenheim verlangt eine andere äussere wie innere
Gestaltung als das mehrstöckige Mietshaus in der
langen Strassenflucht einer Großstadt. Die Bau-
elemente einer Kirche taugen nicht zu einem Ge-
schäftsbau oder gar einer Fabrik. In der Aufgabe
selbst wurzeln zunächst die Gestaltungselemente
des Baues; sie herauszuarbeiten und mit dem per-
sönlichen Geiste des Künstlers und vielleicht auch
ein wenig des Auftraggebers zu erfüllen, fordert
eben einen Baumeister. Hieraus ergibt sich aber
schon, wo der Architekt mit Schöpferkraft wirklich
Neues schaffen kann und wo er schon oft gelöste
Aufgaben im Anschluss an bewährte alte Lösungen
mit seinem Zeitgeiste zu erfüllen und mit den
neuesten technischen Errungenschaften auszuführen
hat. Das mögen so manche von stürmischer Ge-
staltungskraft erfüllte Künstler nicht vergessen, wenn
sie in begreiflichem Originalitätstrieb z.B.aus einem
Kaffeehaus einen indischenTempel odereine kristall-
durchwachsene Felsengrotte machen wollen. Gerade
unsere Zeit bietet neue Aufgaben genug, die der
künstlerischen Lösung harren, aber auch ganze
Künstler verlangen.
Verschiedenartige Bauaufgaben sind es auch, die
an den Architekten Hans Jessen herangetreten sind:
Banken und Geschäftshäuser, öffentliche Gebäude
und Fabrikbauten, Villen und Siedelungen. Die
Werke, die in diesem Hefte abgebildet sind, zeigen,
wie Jessen seine Aufträge glücklich zu erfüllen
wußte. Sie lassen vor allem auch erkennen, wie er
mit der Zeit mitgegangen ist und nach der Bauweise
der Vorkriegszeit auch in der Gegenwart Eigenstes
zu bringen versteht. 1911/12 wurde der Innenumbau
der Zweigstelle der Deutschen Bank in Bremen
ausgeführt. Es galt,denWarteraum mit dem Kabinen-
raum in Verbindung zu bringen und außerdem ohne
Beseitigung der Decke freien Einblick in diesen
zu schaffen. Die Schwierigkeit lag darin, den Warte-
raum in seiner Geschlossenheit nicht zu zerstören
und etwa zum Treppenhaus werden zu lassen, son-
dern ihn als Raum zu erhalten. Das ist meisterhaft
gelungen. Die Treppe tritt in den Hintergrund, be-
hält aber doch als wesentlicher Faktor der Anlage
dadurch ihre Geltung, daß der Gang auf sie hin-
führt, Richtung gebend von den Arkaden begleitet
und betont. Die hellpolierte Ahornholzverkleidung
gibt den beiden Räumen ihre frohe Farbigkeit. Aus
demselben Geiste heraus schuf Jessen den Bau
der Deutschen Bank in Darmstadt (1914/15). Mag
auch hier, wie in dem Innenraum der Deutschen
Bank in Bremen, noch manche Anlehnung zu er-
kennen sein, so zeigt aber doch z. B. die schlichte
Portal- und Fenstergestaltung mit ihren wunder-
vollen Profilen die vornehme Zurückhaltung des
Künstlers in einer Zeit, die doch auf prunkende
Aufmachung so großen Wert legte. Vornehme Ein-
fachheit ist auch das charakteristische Kennzeichen
der beiden Villen in Dahlem bei Berlin (1914), zwei
Backsteinbauten ausgeflammtenRathenowerZiegeln,
wo besondersderRhythmusvon ruhigen Wandflächen,
MOD. BAUFORMEN 1922. II, 1.