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VON DER BAUTÄTIGKEIT FRITZ SCHUMACHERS
IN HAMBURG
Wer in den letzten Jahren nach Hamburg kam
und dort die bauliche Entwicklung der Stadt
mit offenem Auge betrachtete, dem konnte die neue
große Gesinnung in der Bautätigkeit der Stadt nicht
verborgen bleiben. Klar treten uns im Hamburger
Stadtbilde neue leitende Gesichtspunkte entgegen.
In erster Linie stehen wohl die städtebaulichen
Prinzipien, die sich Geltung verschafft und ihre über-
ordnende Wirkung schon in kurzer Zeit ausgeübt
haben. Es ist merkwürdig, daß wir uns erst jetzt
wieder ganz bewußt auf die Stadtbaukunst besinnen
und sie als beherrschenden Faktor der Stadtanlage
anerkennen. Über ein Jahrhundert lang war sie für
unsere Architekten tot. Doch jetzt ist sie, die zuletzt
im 18.Jahrhundert so hoch geachtet und kultiviert
war, wieder zu ihrem Rechte gekommen, aber nicht
im unmittelbaren Anschluß an diese feudale Zeit sou-
veränen Fürstentums. Aus starkemZeitgefühl heraus
entdeckte man wesensverwandte Aufgaben in der
Stadt des ausgehenden Mittelalters, der das Bürger-
tum seinen beherrschenden Geist einprägte. Was
die alte Hansastadt Hamburg beachtet hatte, will nun
das neue schaffende Hamburg nicht vergessen.
Als wesentliches Element neuen Hamburger Bau-
betriebes tritt die Bodenständigkeit der Architektur
in Erscheinung. Die heimische Bauweise erhält ihren
Sondercharakter durch die Volks- und Landschafts-
eigenart. Sie gab den norddeutschen Hansestädten
ihr charakteristisches Gepräge kraftvollen Selbst-
bewußtseins und herber Schönheit. Die bewußte Er-
fassung der heimischen Bauelemente — aber nicht
in ihren äußerlichen Motiven, sondern ihrem Wesen
nach — gibt sich auch in den Hamburger Neubauten
zu erkennen.
Dieser Aufschwung des Bauwesens der freien
Hansastadt ist nicht allein mit dem Hinweis auf die
allgemeine moderne Geistesentwicklung seiner Ur-
sache und Richtung nach erklärt und begründet.
Dazu ist die künstlerische Einheit der neuen Bau-
werke doch zu groß. Sie sind nicht nur Typen einer
neuen Epoche, sondern lassen das Wirken einer
Persönlichkeit erkennen. Es ist der künstlerische
Geist Professor Fritz Schumachers, der Hamburgs
modernes Stadtbild neu gestaltet.Vom Bau der Kunst-
gewerbeschule wurde bereits in dieser Zeitschrift
berichtet (Moderne Bauformen 1914, Nov.). Einige
weitere Beispiele mögen hier das Bild von Schu-
machers Bautätigkeit in Hamburg erweitern.
Wie individuell die architektonische Gestaltungs-
kraft Schumachers ist, zeigen besonders deutlich
seine Schulbauten. Von Grund auf wurde jeder Ent-
wurf seinen besonderen Bedingungen und seinem
Sondercharaktergemäß durchgearbeitet. Das ist über-
haupt von vornherein zu betonen: die klare, sach-
liche Lösung der Bauaufgabe ist das a priori Schu-
macherscher Baukunst, ist gewissermaßen der Mar-
morblock, der zur plastischen Bearbeitung dem
Künstler übergeben ward. Aus ihm das Kunstwerk
herauszuholen, war die Aufgabe des Künstlers. Und
Schumacher ist durchaus Künstler.
Die Gelehrtenschule des alten Hamburger Klosters
St. Johannes erhielt 1912—14 eine neue Behausung.
Um den Straßenlärm von den Unterrichtsräumen
fernzuhalten, wurden die Gebäude um einen Binnen-
hof mit einer Halle zur Straße hin gruppiert und
so gleichzeitig die Tradition der historischen Anlage
in ihren Grundzügen gewahrt. Die klare Anordnung
des Gebäudekomplexes mit seiner ruhigen Massen-
aufteilung, die im breit zusammenfassenden Dache
des Hauptgebäudes seinen feierlich verhaltenden Ak-
zent erhält, wahrt den Eindruck frohen Ernstes, der
auch in dem Rhythmus der schlichten Mauerflächen
und lichten Fenstergruppen weiterklingt. Die nie-
drigen Seitenflügel mit den Klassenzimmern binden
sich leicht dem höheren, festlicheren Hauptbau ein,
der in den ansteigenden Fenstern der Treppen das
Moment der Zusammmenfassung noch besonders
betont. Dieprägnante Klarheit der Anlage im Ganzen,
als auch besonders der Formensprache im Einzelnen
offenbart sich im Innern in gleich charakteristischer
Weise. In geradezu klassisch schlichter Zeichnung
erstreckt sich die Wandelhalle vor der Aula hin und
vereint sich mit der halbrunden Nische des Vor-
baues und den Treppenanlagen zu einem festlichen
Vorraum. Besonders schön sind die Betonpfeiler
gegliedert, die straff und organisch das Stützmotiv
verkörpern.
Ein unvorteilhafter Bauplatz bot sich für den Bau
der Realschule an der Uferstraße (1914—15): ein
schmaler Geländestreifen, der sich tief in das Innere
des Baublockes erstreckte. Trotz der schmalen Tiefen-
erstreckung wurde nach der Straße hin eine bedeu-
tende architektonische Wirkung durch einen schlich-
ten Kopfbau mit kleinem Vorhof erreicht, der ledig-
lich durch die klare,harmonische Aufteilungseiner
geraden Wandfläche wirkt. Nur das dreigeteilte Por-
tal springt leicht hervor. Die Strenge des ganzen
Aufbaues aber wird durch die weich geschwungene,
seitlich tief herabgezogene Dachlinie gemildert. Und
wieder eine andere baukünstlerische Gestaltung
erfuhr der Entwurf zum Bau der Mädchenschule
zu Fuhlsbüttel bei Hamburg, der mehr dem Charak-
ter der ländlichen Bauweise angepaßt wurde, wäh-
rend der Entwurf für das Lyzeum am Lübecker Tor
zu Hamburg mit seinerbreitgelagerten Fassade offen-
sichtlich der Platzgestaltung als imposanter Abschluß
MOD. BAUFORMEN 1922. III, 1.
VON DER BAUTÄTIGKEIT FRITZ SCHUMACHERS
IN HAMBURG
Wer in den letzten Jahren nach Hamburg kam
und dort die bauliche Entwicklung der Stadt
mit offenem Auge betrachtete, dem konnte die neue
große Gesinnung in der Bautätigkeit der Stadt nicht
verborgen bleiben. Klar treten uns im Hamburger
Stadtbilde neue leitende Gesichtspunkte entgegen.
In erster Linie stehen wohl die städtebaulichen
Prinzipien, die sich Geltung verschafft und ihre über-
ordnende Wirkung schon in kurzer Zeit ausgeübt
haben. Es ist merkwürdig, daß wir uns erst jetzt
wieder ganz bewußt auf die Stadtbaukunst besinnen
und sie als beherrschenden Faktor der Stadtanlage
anerkennen. Über ein Jahrhundert lang war sie für
unsere Architekten tot. Doch jetzt ist sie, die zuletzt
im 18.Jahrhundert so hoch geachtet und kultiviert
war, wieder zu ihrem Rechte gekommen, aber nicht
im unmittelbaren Anschluß an diese feudale Zeit sou-
veränen Fürstentums. Aus starkemZeitgefühl heraus
entdeckte man wesensverwandte Aufgaben in der
Stadt des ausgehenden Mittelalters, der das Bürger-
tum seinen beherrschenden Geist einprägte. Was
die alte Hansastadt Hamburg beachtet hatte, will nun
das neue schaffende Hamburg nicht vergessen.
Als wesentliches Element neuen Hamburger Bau-
betriebes tritt die Bodenständigkeit der Architektur
in Erscheinung. Die heimische Bauweise erhält ihren
Sondercharakter durch die Volks- und Landschafts-
eigenart. Sie gab den norddeutschen Hansestädten
ihr charakteristisches Gepräge kraftvollen Selbst-
bewußtseins und herber Schönheit. Die bewußte Er-
fassung der heimischen Bauelemente — aber nicht
in ihren äußerlichen Motiven, sondern ihrem Wesen
nach — gibt sich auch in den Hamburger Neubauten
zu erkennen.
Dieser Aufschwung des Bauwesens der freien
Hansastadt ist nicht allein mit dem Hinweis auf die
allgemeine moderne Geistesentwicklung seiner Ur-
sache und Richtung nach erklärt und begründet.
Dazu ist die künstlerische Einheit der neuen Bau-
werke doch zu groß. Sie sind nicht nur Typen einer
neuen Epoche, sondern lassen das Wirken einer
Persönlichkeit erkennen. Es ist der künstlerische
Geist Professor Fritz Schumachers, der Hamburgs
modernes Stadtbild neu gestaltet.Vom Bau der Kunst-
gewerbeschule wurde bereits in dieser Zeitschrift
berichtet (Moderne Bauformen 1914, Nov.). Einige
weitere Beispiele mögen hier das Bild von Schu-
machers Bautätigkeit in Hamburg erweitern.
Wie individuell die architektonische Gestaltungs-
kraft Schumachers ist, zeigen besonders deutlich
seine Schulbauten. Von Grund auf wurde jeder Ent-
wurf seinen besonderen Bedingungen und seinem
Sondercharaktergemäß durchgearbeitet. Das ist über-
haupt von vornherein zu betonen: die klare, sach-
liche Lösung der Bauaufgabe ist das a priori Schu-
macherscher Baukunst, ist gewissermaßen der Mar-
morblock, der zur plastischen Bearbeitung dem
Künstler übergeben ward. Aus ihm das Kunstwerk
herauszuholen, war die Aufgabe des Künstlers. Und
Schumacher ist durchaus Künstler.
Die Gelehrtenschule des alten Hamburger Klosters
St. Johannes erhielt 1912—14 eine neue Behausung.
Um den Straßenlärm von den Unterrichtsräumen
fernzuhalten, wurden die Gebäude um einen Binnen-
hof mit einer Halle zur Straße hin gruppiert und
so gleichzeitig die Tradition der historischen Anlage
in ihren Grundzügen gewahrt. Die klare Anordnung
des Gebäudekomplexes mit seiner ruhigen Massen-
aufteilung, die im breit zusammenfassenden Dache
des Hauptgebäudes seinen feierlich verhaltenden Ak-
zent erhält, wahrt den Eindruck frohen Ernstes, der
auch in dem Rhythmus der schlichten Mauerflächen
und lichten Fenstergruppen weiterklingt. Die nie-
drigen Seitenflügel mit den Klassenzimmern binden
sich leicht dem höheren, festlicheren Hauptbau ein,
der in den ansteigenden Fenstern der Treppen das
Moment der Zusammmenfassung noch besonders
betont. Dieprägnante Klarheit der Anlage im Ganzen,
als auch besonders der Formensprache im Einzelnen
offenbart sich im Innern in gleich charakteristischer
Weise. In geradezu klassisch schlichter Zeichnung
erstreckt sich die Wandelhalle vor der Aula hin und
vereint sich mit der halbrunden Nische des Vor-
baues und den Treppenanlagen zu einem festlichen
Vorraum. Besonders schön sind die Betonpfeiler
gegliedert, die straff und organisch das Stützmotiv
verkörpern.
Ein unvorteilhafter Bauplatz bot sich für den Bau
der Realschule an der Uferstraße (1914—15): ein
schmaler Geländestreifen, der sich tief in das Innere
des Baublockes erstreckte. Trotz der schmalen Tiefen-
erstreckung wurde nach der Straße hin eine bedeu-
tende architektonische Wirkung durch einen schlich-
ten Kopfbau mit kleinem Vorhof erreicht, der ledig-
lich durch die klare,harmonische Aufteilungseiner
geraden Wandfläche wirkt. Nur das dreigeteilte Por-
tal springt leicht hervor. Die Strenge des ganzen
Aufbaues aber wird durch die weich geschwungene,
seitlich tief herabgezogene Dachlinie gemildert. Und
wieder eine andere baukünstlerische Gestaltung
erfuhr der Entwurf zum Bau der Mädchenschule
zu Fuhlsbüttel bei Hamburg, der mehr dem Charak-
ter der ländlichen Bauweise angepaßt wurde, wäh-
rend der Entwurf für das Lyzeum am Lübecker Tor
zu Hamburg mit seinerbreitgelagerten Fassade offen-
sichtlich der Platzgestaltung als imposanter Abschluß
MOD. BAUFORMEN 1922. III, 1.