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Professor Otto Prutscher, Wien
Kaffeeservice. Ausführung-: WienerWerkstätten
ZWEI WIENER ARCHITEKTEN
von A. S. Levetus
PROFESSOR OTTO PRUTSCHER
P)rofessor Otto Prutscher ist, wie bekannt,
feiner der originellsten Wiener Architekten. Er
gehört und gehörte keiner Schule an, sondern
ist seinen Weg ganz unabhängig gegangen. Im
Gegensatz zu der sonst üblichen Ausbildung der
Architekten und dekorativen Künstler machte
er vor Beginn der eigentlichen Kunststudien eine
Lehre als Tischler durch. So gewann er zugleich
mit einem feinen Verständnis für die Natur der
Hölzer und anderer Materialien auch technisch
die sicheren Grundlagen für seine späteren künst-
lerischen Erfolge. Vor allem aber ist es der an-
geborene Sinn für Reinheit und Schönheit der
Form, auf dem die hohe Qualität seiner Arbeiten
beruht. Wohl hat Otto Prutscher auch Villen
und Häuser gebaut, in erster Linie müssen wir
ihn aber doch als dekorativen Architekten be-
urteilen und werten, als den Schöpfer von Innen-
räumen und aller jener Gegenstände, die dazu
gehören, um ein Heim wohnlich und schön zu
machen. Seine Proportionen sind stets ausser-
ordentlich gut, seine Farbenzusammenstellungen
geschmackvoll. Zwar hat er eine ausgesprochene
Vorliebe für reiches Ornament, aber er über-
treibt nie, sondern wendet es stets mit Verständ-
nis an. Alle Einzelheiten sind sorgfältig überlegt,
so dass sie für sich wirksam werden, ohne den
Eindruck des Ganzen zu beeinträchtigen. So ver-
wirklicht er den Gedanken, den Ruskin in seinen
„Sieben Leuchten der Architektur“ ausgesprochen
hat, ohne dieses Werk vielleicht zu kennen:
„Echte Schönheit muss in den Formen gesucht
werden, die wir vernünftigerweise mit dem täg-
lichen Leben verbinden, und an Orten, wo sie
mit Ruhe gesehen werden kann — im Zimmer
in den Wohnmöbeln.“ Der Eindruck, den ein
Wohnzimmer, ein Speisezimmer, ein Schlafraum
oder ein Salon vermittelt, ist wesentlich bedingt
durch die Art und den Charakter seiner Aus-
stattung, durch die Harmonie der Formen, ihre
konstruktive Güte und ihre besondere Farbigkeit.
Nur ein so kultivierter Geschmack, wie ihn Pro-
MOD. BAUFORMEN 1922. VIII, 1.
Professor Otto Prutscher, Wien
Kaffeeservice. Ausführung-: WienerWerkstätten
ZWEI WIENER ARCHITEKTEN
von A. S. Levetus
PROFESSOR OTTO PRUTSCHER
P)rofessor Otto Prutscher ist, wie bekannt,
feiner der originellsten Wiener Architekten. Er
gehört und gehörte keiner Schule an, sondern
ist seinen Weg ganz unabhängig gegangen. Im
Gegensatz zu der sonst üblichen Ausbildung der
Architekten und dekorativen Künstler machte
er vor Beginn der eigentlichen Kunststudien eine
Lehre als Tischler durch. So gewann er zugleich
mit einem feinen Verständnis für die Natur der
Hölzer und anderer Materialien auch technisch
die sicheren Grundlagen für seine späteren künst-
lerischen Erfolge. Vor allem aber ist es der an-
geborene Sinn für Reinheit und Schönheit der
Form, auf dem die hohe Qualität seiner Arbeiten
beruht. Wohl hat Otto Prutscher auch Villen
und Häuser gebaut, in erster Linie müssen wir
ihn aber doch als dekorativen Architekten be-
urteilen und werten, als den Schöpfer von Innen-
räumen und aller jener Gegenstände, die dazu
gehören, um ein Heim wohnlich und schön zu
machen. Seine Proportionen sind stets ausser-
ordentlich gut, seine Farbenzusammenstellungen
geschmackvoll. Zwar hat er eine ausgesprochene
Vorliebe für reiches Ornament, aber er über-
treibt nie, sondern wendet es stets mit Verständ-
nis an. Alle Einzelheiten sind sorgfältig überlegt,
so dass sie für sich wirksam werden, ohne den
Eindruck des Ganzen zu beeinträchtigen. So ver-
wirklicht er den Gedanken, den Ruskin in seinen
„Sieben Leuchten der Architektur“ ausgesprochen
hat, ohne dieses Werk vielleicht zu kennen:
„Echte Schönheit muss in den Formen gesucht
werden, die wir vernünftigerweise mit dem täg-
lichen Leben verbinden, und an Orten, wo sie
mit Ruhe gesehen werden kann — im Zimmer
in den Wohnmöbeln.“ Der Eindruck, den ein
Wohnzimmer, ein Speisezimmer, ein Schlafraum
oder ein Salon vermittelt, ist wesentlich bedingt
durch die Art und den Charakter seiner Aus-
stattung, durch die Harmonie der Formen, ihre
konstruktive Güte und ihre besondere Farbigkeit.
Nur ein so kultivierter Geschmack, wie ihn Pro-
MOD. BAUFORMEN 1922. VIII, 1.