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Manchen, 2$. Mai 1914.


Beiiage zar „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Prof. Ernst Berger.

I. Jahrg. Nr. 18.

Inhalt: Empirie oder Wissenschaft in der Mattechnik. Von Ernst Berger. (Schluss.) — Wiedererweckung des
Hotzschnittes. Von Dr. Heinrich Pudor. — Weisser Aetzgrund. — Farbenhören.

Empirie oder Wissenschatt in der Maltechnik?

Von Mater Ernst
Der oben erwähnte Vergleich mit Raffael,
Tizian oder Rubens und dem angestrichenen Holz
ist also nicht glücklich gewählt, ja es wäre viel-
leicht für die Erhaltung der Bilder besser, wenn
die Künstler die einfachere Methode eines Tüncher-
anstriches befolgen könnten. In vielen Fällen
wäre es für die Künstler nur von Nutzen, wenn
sie sich mit der handwerklichen Praxis ihrer
„Kollegen vom Farbtopf" mehr beschäftigen wür-
den, denn gerade in der Handwerkspraxis hat
sich manches traditionell erhalten, das für sie
von Wichtigkeit sein mag.
Vergleichen wir beispielsweise den technischen
Vorgang beim gewöhnlichen Türanstrich mit dem
technischen Vorgang beim Malen eines Gemäldes:
Der Anstreicher grundiert zumeist, nach Ent-
fernen der pechigen Stellen des Holzes mittels
Bimsstein oder Ausfüllen der Fugen mit dem
Filling up genannten Kitt (bestehend aus Sikkativ
mit Kreide), mit einer sehr mageren, dünn in
Terpentin nebst Oel oder Sikkativ geriebenen
Farbe, geht dann mit einer fetteren Farbe über
diesen, sehr bald trockenen Grund und firnisst mit
einem Oelhrnis, resp. mit in Oel gelöstem Lack;
bei besonders feiner Arbeit und dementsprechen-
der Bezahlung schleift er vor dem Lackieren
nochmals die Flächen durchwegs ab. Der „Kunst-
maler" hingegen malt auf einer mit Oelfarbe
grundierten Leinwand mit in Oel geriebener
fetter Farbe und in dick aufgesetzten Schichten;
-er wartet die Trocknung nicht ab, denn er fürchtet,
die „Inspiration" könnte vergehen, er beeilt sich mit
-der Uebermalung und setzt jetzt erst Sikkative
und selbst Bernsteinfirnis in übertriebener Menge
hinzu; kaum oberflächlich trocken, folgt schon
die letzte Firnislage von in ätherischen Oelen

Berger-München. (Schluss.)
gelösten Harzen (Mastixgemäldefirnis). Und die
Folge davon ist naturgemäss ein Reissen der
Farbschichte nach wenigen Monaten, während die
Türanstriche nach Jahren tadellos erscheinen.
Der technische Vorgang beim Anstrich war eben
dem Material entsprechend rationell, während er
beim Gemälde den einfachsten physikalischen Ge-
setzen zuwider ausgeführt ist. Wir sehen dem-
nach mit dem gleichen Material ganz ver-
schiedenen Erfolg erzielt. Bei lackierten Kutschen,
Eisenbahnwagen und ähnlichen Arbeiten, welche
in Sonne und Regen ungleich anderen atmosphä-
rischen Einflüssen ausgesetzt sind als Gemälde,
ist das verwendete Material schliesslich doch
kein anderes, als das in der Kunstmalerei ver-
wendete, nämlich Oelfarbe und Firnis. Es kommt
also nicht nur auf das verwendete Materal an,
sondern noch viel mehr auf die richtige Art
der Anwendung. Und erst die chinesischen und
japanischen Lackarbeiten, die gegen jedes Lösungs-
mittel, wie Aether, Chloroform oder Alkohol
ebenso unempfindlich sind, wie gegen Säuren,
und bei welchen weder ein Abspringen noch Ab-
blättern zu bemerken ist, sollten diese nicht auch
als Muster für ein rationelles technisches Ver-
fahren zu gelten haben? Hier haben wir un-
leugbare Erfolge der „rohen Empirie" vor uns,
denn niemand wird behaupten wollen, dass die
Chinesen oder Japaner eine „Wissenschaft der
Lackierung" begründet haben, ebensowenig wie
die „alten Meister" eine wissenschaftlich ausge-
bildete Maltechnik angestrebt hatten.
Der Punkt aber, in dem uns die alten Meister
so sehr überlegen waren, ist eben darin zu suchen,
dass sie die gründlichste Kenntnis ihrer Ma-
terialien und deren handwerklichen Anwendung
 
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