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Wagner an Hess.
. Bern, den 1. November 1818.
Ihre Rosen von Jericho wandern bereits hier von Hand zu Hand. Sobald ich sie, und das mit vieler
Freude, gelesen hatte, so gab ich sie der Frau Rathsherrin Mutach (die sich Ihrem und Ihrer Frau
Gemahlin Andenken empfehlen lässt). Diese bat mich, das niedliche Büchelchen andern Damen ihrer
Bekanntschaft geben zu dürfen, so dass Gott weiss, wann ich es wieder zu Gesicht bekommen werde.
Verloren lasse ich es aber auf alle Fälle nicht gehen! Was mich nebst der Freude an dem Lesen des
Büchleins, bei Anlass Ihres Werkchens noch ergötzte, war, dass ich dadurch eine dürre Rose von Jericho
kennen lernte, die ich in meinem Naturalien-Kabinet besass, ohne recht zu wissen, was sie sei; ich hätte
also dem armen Jüngling auch aus der Notli helfen können, wenn der Panduren-Kapitän sein Testament
nicht hätte machen können.
Sie sind in Zürich ein allerliebstes Trio von kleinen Reisen- und Romanen-Dichtern; Sie, Herr Usteri
und Herr Hegner. Gerne möchte ich zuweilen auf einen Besenstiel sitzen, um einen Abeud in Ihrer
Gesellschaft zubringen zu können. Herr Usteri’s Thomann zur Linden, in den Alpenrosen, ist herrlich!
wie der Verfasser sich in die alten Zeiten zu versetzen und die alte Sprache so trefflich zu geben weiss;
beinahe möchte man die jetzige, trotz aller Schiller und Göthe, dagegen vertauschen.
Ich meinerseits lebe und webe seit einem Jahr in Excerpten-Macherei, ich durchlese nämlich alle
alten Berner Chroniken und Urkunden-Sammlungen, um Delicite oder wenigstens Memorabilia Urbis Bernse
zu schreiben. So klein aber auch das Nest ist, dessen Ste. Foix ich werden möchte, so gross ist dennoch
die Menge der Notizen, die ich sichten muss, um ex Stercore Ennii1), wie Herr Maro sagte, eine wohl-
riechende Essenz zu distilliren. Zudem kommen mir dabei so viele parties honteuses unter die Finger,
dass ich die Feder oft weglegen muss, wenn ich nicht eine Chronique scandaleuse de Mr. St. Ours
schreiben will. Haben Sie von Zürich kein solches Werk? Kennen Sie ein solches, so seien Sie so
gütig, es mir zu senden. Das Voyage de Zürich ä Zürich ist jedoch zu mager. Ein Werk, wie ich es
wünsche, müsste wenigstens 100 Mal reichhaltiger und 50 Mal pikanter sein. Sie sollten, theuerster
Freund, so was unternehmen. Zürich würde noch ergiebiger sein als Bern und Ihnen wäre auch schon
viel mehr vorgearbeitet oder wenigstens mehr Materialien her/Ai-gekarrenschieberet. Ueberlegen Sie das
Ding. Ihre Badensia wäre eine gute Vorbereitung gewesen.
Ganz der Ihrige 5. W.
Bern, den 19. Januar 1820.
Ich kann nicht anders, theuerster Freund, als Ihnen a so warm, wie man iu Bern sagt, für Ihre
treffliche Biographie des wackern sei. Obrist Landolt zu danken. Ich habe dieselbe gestern Abend mit
einem Vergnügen gelesen und zweimal gelesen, das ich Ihnen nicht ausdrücken kann; das erste Mal las
ich sie, um den braven alten militärischen Jäger und Maler leibhaftig wieder vor mir zu sehen, wie ich
ihn ehemals öfters in seinem ländlichen Sorgenfrei am Ufer der Sihl sah. Das zweite Mal dann las ich
sie, um Ihre Kunst, mit der Feder zu schildern, bis in die feinsten Nuancen recht zu geniessen. Sie
haben auf einem Dutzend Seiten hier wahrlich ein Meisterwerk geliefert, dessen der Verfasser Benevenuto
Cellinis und andere seinesgleichen, sich gerne als Vater erkennen würden. Auch werde ich es, so lange
ich lebe, jährlich wenigstens einmal wieder lesen und mir damit jedes Mal einen doppelten Festtag bereiten.

*) Aus dem Mist des Ennius (römischer Dichter vor der Zeit des Cicero. Enuiana = starke Ausdrücke).
 
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