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Wagner an Hess.
Bern, den 30. März 1814.
Nach Empfang Ihres Letzten habe ich sogleich zum Katzen-Raphael, oder vielmehr zu Madame
Freudenberger, bei welcher derselbe seit Freudenberg’s Tod immer gearbeitet hat, geschickt, um alles
dasjenige einsehen zu können, was noch von Katzen, Kinderspielen und anderem von Mind’s Hand vor-
räthig sei, aber ich erhielt die traurige Antwort, dass gar nichts mehr vorhanden sei, dass einige Holländer
letzthin den ganzen Rest aufgekauft hätten und dass auch wenig Hoffnung sei, dass Mind je wieder Katzen
durch seinen Pinsel werde in’s Leben zaubern können, indem er von einer Brustwassersucht schon so sehr
in Besitz genommen sich befinde, dass unsere Herren Aeskulapen davor die Segel streichen. — Sie haben
Recht, den Verlust dieses originellen Kunstgenies zu bedauern, denn in der That verstund er einige Gegen-
stände mit einer Wahrheit darzustellen, dass selbst Rubens und Rembrandt vor ihm den Hut abgenommen
hätten. Bettelbuben, Katzen und Bären waren vorzüglich die Lieblingsgegenstände seiner Kunst. Indessen
besitze ich auch mehrere graziöse Sachen von ihm, die beweisen, dass sein Sinn auch für Schönheit nicht
verschlossen war. Komme ich wieder einmal nach Zürich, so bringe ich meine Sammlung von Mindianis
mit, welche Sie dann gewiss herrlich delektiren wird. Sein eigenes Bildniss wäre aber das merkwürdigste
Stück, das man von ihm haben könnte. Eine Vereinigung von einem Bären-, Löwen- und Menschengesicht
in dunkelvioletter Farbe kann Ihnen einen Begriff davon geben; ich habe Leute gesehen, die sich fürchteten,
mit ihm im gleichen Zimmer zu sein. Von Figur war er sehr klein und gebogen; gröbere und grössere
Hände und Finger als die seinen habe ich selten gesehen, und mit diesen brachte er die niedlichsten
Zeichnungen hervor. Seine Stimme glich zuweilen der Stimme eines asiatischen Löwen und erschreckte.
So wie er aber den Menschen oft Furcht einflösste, so sehr liebten und suchten ihn fast alle Thiere.
Gewöhnlich sass ihm eine Katze auf dem Nacken oder auf der Schulter, wenn er zeichnete; er ertrug sie
so Stunden lang, in der genirtesten Stellung, nur um sie nicht zu derangiren. Oft sass noch eine zweite
auf dem Tisch und sah zu, wie er arbeitete; zuweilen lagen einige Junge in seinem Schooss unter dem
Tisch. Laubfrösche in Gläsern stunden gewöhnlich neben seinem Reissbrett, und mit allen diesen Thieren
sprach er oft auf die liebkosendste Weise, alldieweil er oft die Menschen um ihn herum oder die, so zu
ihm kamen, angrunzte wie ein erzürnter Eber. Ich lud ihn ehmals oft an Wintersonntagen ein, zu mir
zu kommen, wo ich ihm dann meine Portefeuilles voll Kupferstiche zu durchsehen gab, alldieweil ich selbst
zeichnete, schrieb oder las. Da machte er dann seine Bemerkungen halblaut für sich über jedes Blatt,
gewöhnlich mit originellem Scharfsinn und ohne alle Gnade für berühmte Namen. Rafael, Rubens, Rembrandt
erhielten selbst oft dabei nicht unverdiente Wischer, wenn sie irgendwo ein quandoque dormitat Homerus
sich hatten zu Schulden kommen lassen; gewöhnlich trank er nachher mit mir Tliee, und da ich wusste,
dass er kein Verächter von Leckereien war, so liess ich zuweilen einen Kuchen oder etwas süsses Back-
werk dazu geben. Solche Nachmittage waren dann sein Himmel auf Erden; demungeachtet liess er mir
dann einmal sagen: er könne heute unmöglich kommen, sein Büsi (Katze) sei krank, er müsse bei ihr
bleiben. Einmal war seine Botschaft: das Büsi werde vermuthlich heute Junge bekommen und da könne
er es unmöglich verlassen.
Ich schreibe Ihnen alle diese Possen, weil ich weiss, dass jeder originelle Charakter Sie interessirt
und dass ein solcher Mensch, ungeachtet seiner Missgestalt und Verborgenheit, merkwürdiger für Sie ist,
als ganze Schocke sogenannter vornehmer Herren mit leeren Köpfen und zu nichts Gutem taugenden
Fingern. — Nicht nur Kaiser Franz, sondern auch der König von Württemberg und viele andere grosse
 
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