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Freudenberger zu mir kommen und tete ä tete den Abend bei mir zubringen, um mir den Ä Heiri und
dä Vikar i vorzulesen. Er liest den Zürich-Dialekt ganz vortrefflich und mit Mimen und Lippen-Werfungen,
welche das Ding äusserst national machen
Bern, Montag den 12. Dezember 1831.
Der kleine Pictor Versifex Freudenberger hat schon mehrere Abende bei mir zugebracht, mir und
sich selbst aus diesem spass- und ernstvollen Buch vorzulesen. Das kleine Männchen weiss ganz vor-
trefflich zürcherisch zu lesen; ich schliesse dann von Zeit zu Zeit die Augen und glaube dann ganz
illusionsvoll bald den lieben seligen Usteri oder die seit langem in Abrahams-Schooss sitzende Frau Raths-
herrin Gessner zu hören. Der Herr Heiri und der Vicari haben uns schon ein paar Mal herzlich lachen
gemacht. Der bis in’s Kleinste getriebene Detail ist für uns zwei köstlich und wir geniessen den faul-
ärtigen1) Autor bis in die feinsten Nuancen. Ein paar trockene, frostige Berner-Eiszapfen-Seelen finden
diese Geschichten ein wenig lang und zu breit erzählt, aber das sind keine Maler oder Malereiliebhaber,
für Ostaden- und Mierisbilder zu kosten und zu küsten. Solchen Leutchen ist es nur um’s Vorwärts-
Rücken, am liebsten um’s Galoppiren zu tliun. Ein Schilderer verliert bei ihnen seine Nuancen, seine
Halbtöne, seine Lasuren etc. etc. Nur rohe Palettenfarben muss man dergleichen Alltags-Seelen auftischen!
Alle Sonntage Abends von 5 bis 9 und wohl gar bis 10 kommt der kleine Minstrel zu mir, um den
Dichter vom Thaleck recht zu apotheosiren oder wie das närrische Wort sonst geschrieben werden soll,
und die Stunden verfliegen uns dabei wie Minuten.
Bern, den 27. Dezember 1831.
(Bei einsamer Abend-Lampe, wie ich alle meine Briefe an Sie schreibe.)
0, wie interessant war doch Ihr letzter Brief, theuerster Freund, und aller Ihr Detail über Usteri’s
hinterlassene Arbeiten! und wie Schade, dass er diese Alle nicht hat fertig machen können, oder dass man
dieselben nicht selbst so unvollendet, als sie sind, herausgeben kann. Hätten Sie, bester Hess, doch eine
Gesundheit, -wie ehemals der ehrliche Mechel, der in seinem 85jährigen Leben niemals eine Stunde lang
krank gewesen ist, und hätten Sie so viele Hände, wie weiland der fabelhafte Centimanus, so würde ich
Sie beschwören, die nicht fertig gewordenen Kindlein des verstorbenen Dichters und Künstlers in den
dermaligen langen Winterabenden, ein’s nach dem andern auf Ihre Drechselbank zu nehmen; denn Niemand
anders als Sie, würde den Geist und das Gernüth und die feine faulärtige (wie wir das Ding hier in Bern
nennen), luzianische Laune unsers Freundes sei. begreifen, auffassen und geben können, wie Sie. Der
Aufsatz über das Kloster Bärenberg bei Winterthur interessirt mich besonders, weil ich zwei hübsche Skizzen
nach der Natur vom alten Conrad Meyer sei. von der äusserst malerischen Ruine dieses, ich glaubte ganz
vergessenen Klosters besitze. Wäre ich dreissig Jahre jünger, ich würde mit der ersten Schwalbe, oder
dem ersten Storch wieder auf Zürich kommen, um alle diese kostbaren Sachen zu sehen, zu lesen, zu
copieren, bis ich sie auswendig könnte. Was für einen Gewinn für historische Künstler würde die Heraus-
gabe seiner Kostümen, Waffen, Mobilien etc. etc. des Mittelalters nicht sein ! Denn selbst geschickte Zeichner
und Maler in diesem Fach werden abgehalten, Bilder der Vorzeit, wozu jedoch unsere Schweizergeschichte
durch eine lange Reihe von Jahrhunderten unzählbare Motive liefert, zu unternehmen, weil ihnen die Trachten
!) Faulärtig — schalkhaft. Schw. Idiot., Bd. I., S. 477. Diese Bedeutung des Wortes scheint heute in Bern ganz
äusser Gebrauch gekommen zu sein.
 
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