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tiefsten nationalen Erniedrigung geboren, durch die Befreiungskriege
die Feuertaufe empfangen hat, schloß auch die Deutschen am Tiber-
strand enger und fester zusammen. Hatte der deutsche Reichsgedanke
während des 18. Jahrhunderts seinen Ausdruck nur in den höfisch-
amtlichen Kirchenfesten unter Führung der kaiserlichen Gesandt-
schaft in der Anima gefunden, so strebte er jetzt aus der Volksseele
heraus zu selbständiger feierlicher Bekundung ohne obrigkeitlichen
Zwang. Die Kunde von dem siegreichen Einzug der Verbündeten in
Paris erfüllte die Herzen aller Deutschen mit Jubel; am Geburtstag der
Stadt Rom, 21. April 1814, vereinigten sie sich mit den Angehörigen
der in Waffenbrüderschaft verbundenen anderen Völker zu einer
Siegesfeier in der Villa Borghese, woran anderthalbhundert Männer
teilnahmen; die Leitung aber lag in den Händen der deutschen Künst-
ler als der stärksten Gruppe in der Fremdenkolonie. Cornelius und
Overbeck sorgten für die malerische Ausstattung des Festplatzes, Rein-
hart für Feuerwerk und Freudenschießen. Den Gedenktag der Schlacht
bei Leipzig begingen unsere Landsleute in den nächsten Jahren regel-
mäßig mit einer Feier, die von starker und ernster vaterländischer
Gesinnung getragen war; der Dichter der Geharnischten Sonette ver-
herrlichte sie am 18. Oktober 1817 in der Villa Bolognetti mit dem
Vortrag eines Liedes zum Preis der Ideale des zu neuem Leben er-
wachten deutschen Volkes: Tugend, Gott und Vaterland! Rückert war
während seines fast zweijährigen Aufenthalts am Tiber einer der
Führer der hochgehenden patriotischen Bewegung; er legte auch im
Überschwang der Begeisterung mit vielen deutschen Künstlern die
,deutsche" Tracht an, die von manchen nüchternen Zeitgenossen ver-
spottet, aber selbst von dem Erben der bayerischen Krone nicht ver-
schmäht wurde. Zu keiner anderen Zeit hat das Nationalgefühl in den
Herzen unserer Volksgenossen auf den Sieben Hügeln so mächtig ge-
braust wie in den Jahren nach den Befreiungskriegen.

Die aPen Sh/sunpen
Das Erwachen der vaterländischen Begeisterung konnte auch nicht
ohne Wirkung auf die alten deutschen Stiftungen bleiben. Die Deut-
schen, die jetzt den Kern unserer Siedelung bildeten, waren schon
vermöge ihrer höheren geistigen Stellung weniger der Gefahr aus-
gesetzt, sich inmitten der italienischen Umgebung ihres angeborenen
Volkstums zu begeben, als die Gewerbetreibenden und an der Kurie
tätigen Priester deutscher Herkunft, auf welche die Nationalanstalten
vordem angewiesen waren. Ihr in den Kämpfen gegen die französische
Unterdrückung gestähltes deutsches Empfinden sah mit schmerzlicher
Beschämung, wie die altehrwürdigen Stiftungen ihres Volkes der ur-

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