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Die Umwandlung Roms in eine ,,moderne Mittelstadt", wie Kirchmann
sie 1864 fand, verscheuchte die Schar von Auserlesenen, die sich in
dem altertümlichen, romantischen Dunstkreis des vormärzlichen Roms
wohl gefühlt hatten, und die Künstler sehnten sich vergeblich nach
den schönen Zeiten zurück, da sie in der päpstlichen Hauptstadt wie
auf einem weltfernen Eiland einPhantasieleben führen konnten. Daher
die vorwiegend reaktionäre Gesinnung, welche Kirchmann unter den
deutschen Künstlern daselbst beobachtete. Der französische Akademie-
direktor Schnetz hat ähnlich wie einst Wilhelm von Humboldt sein
Verhältnis zur Ewigen Stadt einmal unverhohlen mit dem drastischen
Satz dargestellt, er werde davonziehen, wenn man verböte, Wäsche und
Lumpen aus den Fenstern zu hängen, denn dann werde die alte Stadt
der Künstler, Liebhaber und Mönche aufhören zu sein. Ein anderer
scharfsinniger Beobachter, der den fortschrittlichen Gegensatz zu dem
Romantiker Schnetz vertritt, der Demokrat und Naturforscher Karl
Vogt, hat am Vorabend der 1848er Umwälzung das Urteil gefällt: In
Rom sitze der Künstler auf einem Isolierschemel, und sein Ruhm werde
kaum über das Weichbild dringen, wenn er dessen Verbreitung einzig
den Touristen überlasse, die alljährlich in Scharen durch die Ewige
Stadt pilgern; in Rom könne der Künstler malen, aber nicht verkaufen;
Rom biete ihm die unendlichen Vorteile eines unbefangenen Volks-
lebens, das der Beobachtung überall zugänglich sei, einer herrlichen
Natur, eines prächtigen Menschenschlags, einer freien Bewegung des
Künstlers selbst, Vorteile, die nirgends sonst in gleicher Weise vereinigt
anzutretfen seien, jedoch den Ruf, der dem Namen eines Künstlers
vorangehe, der ihm Bestellungen und Käufer sichere, könne er sich
nicht in Rom schaffen, sondern müsse ihn jenseits der Alpen suchen.
Vogts Urteil hat bis in die neueste Zeit hinein im wesentlichen seine
Gültigkeit bewahrt. Auch die großen Veränderungen, die das Jahr 1870
südlich wie nördlich der Alpen herbeigeführt hat, konnten daran nichts
ändern, sondern haben die Lage nur entschiedener im obigen Sinne
weiter entwickelt. Die sozusagen natürlichen Vorzüge, die der römische
Boden dem Künstler bietet, bestehen in der Hauptsache unverändert
fort und bilden immer noch eine starke Anziehungskraft ebenso wie
die Fülle von Denkmälern älterer Kunst, aber doch nur für den Studien-
zweck als Mittel zur Ausbildung und Anregung. Rom ist für deutsche
Künstler ein Durchgangsplatz zu kurzen Wanderstudien geworden,
aber nicht mehr ein Aufenthaltsort für immer. Die Umwandlung der
Hauptstadt des Kirchenstaats zur Hauptstadt des Königreichs Italien
hat nicht allein das äußere Angesicht in einer dem deutschen Künstler-
gemüt unersreulichen Weise verändert, sondern auch die Stellung
unserer Künstlerkolonie zur römischen Umwelt ganz einschneidend
umgewandelt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die
Deutschen durch ihre Leistungen wie durch ihre Überzahl eine führende

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