Apollon oder Athlet?
Die Entscheidung der Frage, ob wir in Polyklets Diadumenos, wie man
seither für ausgemacht hielt, einen Athleten oder, wie ich folgern zu müssen
glaubte, vielmehr einen Apollon vor uns haben, geht in ihrer Bedeutung weit
über die Erklärung dieser einzelnen Statue hinaus; mein Schluß müßte, wenn
gesichert, die Vorstellung mindestens von Polyklets Idealbildnerei gründlich um-
gestalten. Es werden darum alle Fachgenossen ebenso wie ich es Emanuel Loewy
danken, daß er in diesen Jahresheften VIII 269 meine Argumente mit der ihm
eigenen Pünktlichkeit einer Kritik unterzog. Bei der Wichtigkeit des Themas
möchte ich indessen mit meinen Gegengründen nicht zurückhalten.
Das Fundament meiner Deductionen bildet der delische Diadumenos, den
ich durch das Attribut des Köchers und der Chlamys für zweifellos als Apollon
charakterisiert erachte. Was bringt nun Loewy gegen meinen Schluß vor, bei
welchem ich mich einfach einer seither allgemein anerkannten Methode der Exegese
bediene? Er sagt (S. 271), der Köcher gehöre zu den häufig als Beiwerk an Baum-
stämmen verwendeten Attributen und könne darum auch einmal gedankenlos
hinzugefügt sein. Und wenn der Köcher so häufig sich an Stützen findet, vermag
Loewy unter allen diesen Fällen nicht einen einzigen zu nennen, in welchem das
Attribut sinnlos verwendet wird? Gerade darum handelt es sich ja einzig und
allein. „Es kommt nicht sowohl auf die Möglichkeit a priori als auf den tatsäch-
lichen Gebrauch an"*), kann ich mit Loewys" eigenen Worten erwidern. Wenn
*) Mit diesen Worten begegnet Loewy meiner
allerdings nicht durch Belege getragenen Behauptung,
daß der Palmstamm ebensogut für Apollon wie für
Athleten passe. Beispiele von römischen Porträts,
loricati und palliati, mit dieser Stützenform sind so
zahlreich vorhanden, daß sie jeder selbst finden l:ann.
Durch diese Verwendung wird dem Palmstamm zu-
nächst die Bedeutung eines Hinweises auf athleti-
schen Sieg definitiv genommen. Bei Civilporträts
überhaupt eine Anspielung auf Sieg zu erwarten,
wäre schon eine erzwungene Voraussetzung und zu-
dem ließe sich die Stütze in diesem Sinn auch einem
Gott, der eo ipso siegreich, beigeben. Allein nicht
einmal die Bedeutung eines Siegeszeichens bleibt der
Palme, da sie als Stütze unter dem Pferdeleib des
von Eros gepeinigten alten Kentauren (Froehner,
Notice n. 29p; Winter, Kunstgeschichte in Bildern,
Taf. 69. 4), also sogar für einen Besiegten ver-
wertet wird. Danach läßt sich mit Sicherheit sagen,
der Palmbaum als Stütze will keinen Gedanken aus-
sprechen, so wenig als andere nicht näher charakteri-
sierte Stämme; er läßt sich demnach weder zugunsten
der athletischen, noch gegen die göttliche Deutung
des Diadumenos anführen, wenn nicht bestimmende
Attribute an ihm angebracht sind. Bevorzugt wird
die Palme offenbar nur aus dem Grund, weil sie
durch die Schatten ihrer reichen Gliederung sich
deutlich von den glatten nackten Körperteilen abhebt.
— Daß ich das Argument Petersens zugunsten der
Athletenbedeutung der fünf in Palazzo Mattei be-
findlichen Statuen überhaupt wiederholte (45), war
lediglich eine Unachtsamkeit von mir. Inzwischen
sah ich, daß bereits von Amelung (Vatican I 510)
Petersens „ausruhender Athlet" mit dem Apollon
Lykeios identificiert ist; die Replik des Salbers in
Dresden trägt, wie im Arch. Anz. 1899 S. 22
dargelegt wurde, Fußflügel; der „Athlet" mit
aufgestützter Hand wurde von Furtwängler, Meister-
36*
Die Entscheidung der Frage, ob wir in Polyklets Diadumenos, wie man
seither für ausgemacht hielt, einen Athleten oder, wie ich folgern zu müssen
glaubte, vielmehr einen Apollon vor uns haben, geht in ihrer Bedeutung weit
über die Erklärung dieser einzelnen Statue hinaus; mein Schluß müßte, wenn
gesichert, die Vorstellung mindestens von Polyklets Idealbildnerei gründlich um-
gestalten. Es werden darum alle Fachgenossen ebenso wie ich es Emanuel Loewy
danken, daß er in diesen Jahresheften VIII 269 meine Argumente mit der ihm
eigenen Pünktlichkeit einer Kritik unterzog. Bei der Wichtigkeit des Themas
möchte ich indessen mit meinen Gegengründen nicht zurückhalten.
Das Fundament meiner Deductionen bildet der delische Diadumenos, den
ich durch das Attribut des Köchers und der Chlamys für zweifellos als Apollon
charakterisiert erachte. Was bringt nun Loewy gegen meinen Schluß vor, bei
welchem ich mich einfach einer seither allgemein anerkannten Methode der Exegese
bediene? Er sagt (S. 271), der Köcher gehöre zu den häufig als Beiwerk an Baum-
stämmen verwendeten Attributen und könne darum auch einmal gedankenlos
hinzugefügt sein. Und wenn der Köcher so häufig sich an Stützen findet, vermag
Loewy unter allen diesen Fällen nicht einen einzigen zu nennen, in welchem das
Attribut sinnlos verwendet wird? Gerade darum handelt es sich ja einzig und
allein. „Es kommt nicht sowohl auf die Möglichkeit a priori als auf den tatsäch-
lichen Gebrauch an"*), kann ich mit Loewys" eigenen Worten erwidern. Wenn
*) Mit diesen Worten begegnet Loewy meiner
allerdings nicht durch Belege getragenen Behauptung,
daß der Palmstamm ebensogut für Apollon wie für
Athleten passe. Beispiele von römischen Porträts,
loricati und palliati, mit dieser Stützenform sind so
zahlreich vorhanden, daß sie jeder selbst finden l:ann.
Durch diese Verwendung wird dem Palmstamm zu-
nächst die Bedeutung eines Hinweises auf athleti-
schen Sieg definitiv genommen. Bei Civilporträts
überhaupt eine Anspielung auf Sieg zu erwarten,
wäre schon eine erzwungene Voraussetzung und zu-
dem ließe sich die Stütze in diesem Sinn auch einem
Gott, der eo ipso siegreich, beigeben. Allein nicht
einmal die Bedeutung eines Siegeszeichens bleibt der
Palme, da sie als Stütze unter dem Pferdeleib des
von Eros gepeinigten alten Kentauren (Froehner,
Notice n. 29p; Winter, Kunstgeschichte in Bildern,
Taf. 69. 4), also sogar für einen Besiegten ver-
wertet wird. Danach läßt sich mit Sicherheit sagen,
der Palmbaum als Stütze will keinen Gedanken aus-
sprechen, so wenig als andere nicht näher charakteri-
sierte Stämme; er läßt sich demnach weder zugunsten
der athletischen, noch gegen die göttliche Deutung
des Diadumenos anführen, wenn nicht bestimmende
Attribute an ihm angebracht sind. Bevorzugt wird
die Palme offenbar nur aus dem Grund, weil sie
durch die Schatten ihrer reichen Gliederung sich
deutlich von den glatten nackten Körperteilen abhebt.
— Daß ich das Argument Petersens zugunsten der
Athletenbedeutung der fünf in Palazzo Mattei be-
findlichen Statuen überhaupt wiederholte (45), war
lediglich eine Unachtsamkeit von mir. Inzwischen
sah ich, daß bereits von Amelung (Vatican I 510)
Petersens „ausruhender Athlet" mit dem Apollon
Lykeios identificiert ist; die Replik des Salbers in
Dresden trägt, wie im Arch. Anz. 1899 S. 22
dargelegt wurde, Fußflügel; der „Athlet" mit
aufgestützter Hand wurde von Furtwängler, Meister-
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