Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0027
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dei Saturn 7

renaissance zu einer neuen, und auch dann mehr literarisch-roman-
tischen als dämonisch-aktiven Lebendigkeit zu erwachen.

Nun ist aber diese spätantike Religiosität, wie sie in den Quellen
der arabischen Astrologie ihren Niederschlag gefunden hatte, schon
an und für sich eine höchst komplexe: in der Saturnvorstellung des
Späthellenismus fließen (ganz abgesehen von den babylonischen und
phönikisch - karthagischen Elementen, deren Bedeutung in unserem
Fall schwer abzuschätzen ist) die Wesenszüge des eigentlichen Sa-
turnus als des uralten lateinischen Flurgotts zusammen mit denen
des Kronos als des von Zeus gestürzten und entmannten Ura-
niden und denen des Chronos als der mit dem Kronos identifi-
zierten Zeitgottheit. Und wenn man nun weiter bedenkt, daß, wie
schon oben gesagt, innerhalb der Astrologie alle diese mytholo-
gischen Bestimmungen noch mit astronomisch-naturwissen-
schaftlichen zu einer seltsamen Einheit verwoben wurden, und daß
die analogisierende Begriffsbildung des magischen Denkens auf jedes
Prädikat eine Fülle von Zuordnungen gründete (so daß etwa das
hohe Alter des Saturn ihn ohne weiteres zum Herrscher über alle alten
Dinge und alten Menschen, ja über Großväter, Väter und ältere Brü-
der einsetzt) — so wird der scheinbar chaotische Charakter eines Abü
Mä'sar-Textes nur allzu verständlich.

Es läßt sich mit Sicherheit nachweisen, daß diebei Abü Ma'sar
überlieferten Angaben fast ausnahmslos auf antike Bestim-
mungen zuriickgehen, nämlich einerseits auf dieBegriffe der astrono_
mischen und kosmologischen Naturwissenschaft, andererseits auf die Vor-
stellungen der Kronos-, Chronos- und Saturn-Mythologie: wir sehen hier
einmal in die Entstehungsgeschichte eines jener Denkkomplexe hinein,
die Ernst Cassirer als „strukturale“ gekennzeichnet hat1): ein Himmels-
körper, beiPlato noch ganz unmythologisch„Phainon‘‘ genannt, wird iden-
tifiziert mit einer ihm an und für sich ganz wesensfremden Gottheit —
deren Vorstellung ihrerseits die heterogensten Motive der orientalischen,
griechischen und römischen Mythologie enthält. Es wird bei dieser
Gleichsetzung zwar angeknüpft an ziemlich naheliegende Analogien; so
hat z.B. die Zuordnung der ältesten, düstersten und — schon wegen
der Verbannung in den Tartaros — einsamsten Gottheit zu dem lang-
samsten, lichtschwächsten und erdfernsten Planeten etwas un-
mittelbar Einleuchtendes2), so daß Prädikate wie die der Trägheit,

1) Die Begriffsform im mythischen Denken (Studien der Bibl. Warburg I,
1922, passim).

2) Ebenso einleuchtend ist es, vvenn etvva der Planet ,,Mars“ seiner roten
Farbe vvegen dem Kriegsgott, der Planet ,,Merkur“ als der nächst Luna schnellste
 
Annotationen