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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1867

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No. 90-103 (1. August - 31. August)
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und Land.



Preußisch - Ruſſiſches Bündniß.

Es kommt immer beſsſer, ſchreibt die „N. Bad. Ldsztg.“, nur
konnte es nicht anders kommen. Die geniale Gewaltspolitik muß
ihren Verlauf haben, an der Seine wie an der Spree, und mitge-
gangen, heißt es da, mitgefangen, mitgehangen — dafür ſorgt
schon die reimreiche deutſche Sprache.

Die Spayen pfeifen es auf den Dächern, die Kreuzzeitungen
jubiliren damit, die ehrlichen Patrioten erſchrecken bis ins tiefſte
Herz hinein; aber alle Anzeichen deuten darauf hin, es liegt in der
Nothwendigkeit der Dinge: der Berliner Militarismus, die Hohen-
zollern'sche Vergrößerungsſucht wirft den letzten Anker aus , den Ar-
ker des ruſſiſchen Bündnisses, die letzte Spitze Cäſars iſt der Czar.
Zwischen den geilen lieſt man durch, das habe Herr v. Bismarck
nicht gewollt, dahin ſei seine Absicht nicht gegangen, aber ſein letter
Auſsenthalt in Paris habe ihn von der abſoluten Unmöglichkeit über-
zeugt, den Drohungen und Gefahren, welchen sein künſtlicher Neu-
bau ausgesetzt iſt, anders entgegenzutreten, als durch ein Bündniß
mit Moskau, mit dem heißhungerigen Panſlavismus, mit den Fein-
den und Verächtern aller Deutſchen. Herr v. Bismarck sorgt dafür,
daß der Chrentitel, den wir ihm beigelegt: „Der wendiſche Braf an
der Spree“ bis in die Kleinkinderſchule verstanden werde.

Weiß der Leſer auch, was das heißt : ein preußiſch - rusſiſches
Bündniß? Das heißt ein Bündniß Norddeutſchlands und, kraft der
geheimen Verträge, von ganz Deutſchland mit dem gekrönten Cäſar-
Papſt an der Newa, mit dem furchtbarſten Einheitsſtaate der Welt,
mit den Mördern Polens,, mit den unverſöhnlichen Todfeinden des
germaniſchen Stammes, mit den präſumtiven Erben des ,kranken
Mannes“ am Bosporus, mit den Horden, die sich über Galizien,
die Karpathen, das Donauthal und das illyriſche Dreieck herzuſtürzen
bereit ſind, mit dem Racenfanatismus, der ganz Mitteleuropa vom

Einiges aus Riehl's „bürgerl. Gesellſchaft.“

ag. 63.
dazu “ot daß er in den Gränzen eines ſtetigen und festen Erwerbens ver-
harre. Aus dieſem Grunde iſt es auch ein großer Ruin für die Dörfer, daß
ſich ſo viele verdorbene kleine Gewerbsleute in denselben niederlassen , die nicht
Capital und Geſchicklichkeit genug haben, um in den Städten fortkommen zu
können. Sie treiben dann ein Stückchen Ackerbau und ein Stückchen Gewerbe
und man weiß nicht recht, ob man sie handwerkernde Bauern oder verbauerte
Handwerker nennen ſoll. Jedenfalls pfuſchen sie nach beiden Seiten gleich
stark, machen den Bauer von ſeiner Sitte abwendig, da sie es selber doch nie-
mals dahin bringen können ordentliche Bauern zu werden, und mehren gleich-
zeitig den Ruin des kleinen Gewerbeſtandes. Durch sie hat sich gleichſam eine
Colonie bäuerlicher Dilettanten im Schooße der Dörfer eingenſ stet, ein Aus-
wuchs, der den ganzen Fluch der Verktommenheit in sich trägt und krebsartig
um ſich frißt. Sie ſpielen oft die Rolle der „verdorbenen Genies“ und locken
lutzs! verdorbenen Genies und verkannten Größen unter den Bauernburſchen
zur Nachfolge.“ ;

Pag. 188. „Frei Mann, frei Gut“ hieß es nun, wenn der Edelmann,
an den ein bis dahin mit Abgaben belastetes Gut überging, seinen Siß im
Lande hatie oder nahm. Und diese ſolchergeſtalt sehr nachdrücklich betonte
Seſßhaſtigkeit des Adels war es, die der allzuſchroffen Scheidung der Stände
wehrte, die dem Adel die Uebung ſeines ſocialen Berufes erſt möglich machte.
(tin Ä trstee iſt eine Solidarität der Intereſſen mit dem Bauernstande
vorhanden.

Pag. 145. Der Adel hatte ſich aus eigenen Mitteln dem Kriegsdienste

zu widmen, er ſtellte ſo von vornherein den polit. Beruf des Adels neben den
jociaien. „Dem Rechte und der Pflicht, das Vaterland zu ſchirmen , stand
die Abgabenfreiheit zur Seite." Der Adelige zahlte somit seine Steuern in
natura, nämlich in der Hingabe seiner eigenen Perſon.
Ö Pag. 177. nDurch seine Landwirthſchaft im Großen soll der Adelige da-
rauf bedacht ſein, die umwohnenden Bauern aus ihrer Hülfsloſigkeit und
techniſchen Ungeſchicklichkeit herauszuziehen. Ein Rittergut muß für die um-
liegende Gegend einen ganzen landwirthſch. Hülfsverein ersetzen."

Pag. 217. „Die deutſchen Kleinstaaten sind es vorzugsweise, welche fich
durch den Ueberfluß an kleinen und den Mangel an großen Städten auszeich-
nen. Darum kennt man in vielen dieſer Ländchen kaum ein Bürgerthum im
vollen, stolzen Sinne des Wortes, desto beſſer aber das Philiſterthum. Nament-
lich iſt es hier eine der verkehrteſten Maßregeln geweſen, durch Gründung
recht zahlreicher Site von Staatsbehörden in den bauernmäßigen kleinen
Städten vieſen einen gewissen polit. Character und dadurch eine erkünſtelte
Bedeutung zu ſchafſen. Nirgends wächst dec Zopf des Philiſierthums länger
als in solchen Beamtenſtädten, nirgends iſt der Büreaukratie, der ‘geſchworenen
Gegnerin eines ſvrien, großen und ſelbſtändigen Bürgerthums ,, eine wärmere
Hegungsſtätte bereitet worden. Dieser Decentraliſirung des Städtewesens in
êleinen Ländern mag wohl oft die Eitelkeit zu Grund geiegen. haben, durch
die möglichſt große Zahl ſelbſtändig. individualiſirter Städte dem Lande den
Schein eines größeren Siaates zu geben, wie etwa, wenn man Quadratmeilcn
immer Ueiner annahm, damit allmählig in ſriedticher Eroberung der Flächen-
raum des Landes zu einer größeren Quadratmeilenzahl sich ausrecken möge.





„Wer den Bauer gediegen und ehrenfeſt erhalten will, der muß

uss vet 20: Auge .





Donaudelta, von den Dardanellen, vom schwarzen Meere auszu-
ſchließen gewillt iſt, der, wenn er sich als ſtarre Mauer zwiſchen
uns und den Orient aufgepflanzt hat , keinen Augenblick zögern wird,
die Frage der „Nationalität“ wie brennenden Zunder nach Deutſch-
öſterreich und nach Preußen hineinzuwerfen. |

Mit dieſem Erz- und Erbfeinde der westlichen Cultur und Frei-
heit will sich Großpreußen verbünden, dasſelbe Großpreußen , wel-
ches beständig überfließt vom ,national-deutſchen Interesſe“, von
„deutſcher Geschichte, deutſcher Beſtimmung, vom Traum der Jahr-
hunderte“! Und es muß sich mit diesem Erb- und Erzfeinde ver-
bünden, weil es sich durch seine namenlose Politik förmlich feſtge-
fahren, weil es durch ſein diktatoriſches Auftreten alle Intereſſen
und Sympathien verlettt hat, weil es nur noch „Feinde ringsum“
erblickt und keinen Enthuſiasmus in den eroberten Provinzen, ja
nicht einmal in Altpreußen geſchweige denn im augßerpreußiſchen
Deutichland, weil es lediglich auf der Spitze ſeiner Bajonette ruht,
die Bajonette aber gezählt und nicht gewogen werden.

Als Preußen und Österreich vereint, zwar in unſauberen Ab-
sichten, aber geſtütt auf das Deutſchland des alten Bundes , nach
Schleswig vordrangen, die Königsau überschritten, Jütland besetzten,
da wagte das geſammte Europa keinen Einſpruch zu erheben; als
die den Dänen auf der Londoner Conferenz gestellten Bedingungen
nicht angenommen wurden, nicht einmal da bildete ſich eine Coali-
tion wider das waffenmächtige Siebzig -- Millionenreic.. Kaum iſt
Oesterreich aus Deutſchland ausgeſchloſſen, kaum steht Preußen allein,
so wird die nordſchleswig'ſche Frage von allen Seiten aufgerührt,
Frankreich meldet ſich, England biegt der Schwiegertochter den
Daumen ein, die Noten fliegen wie die Sturmvögel hin und her,
und der europäiſche Krieg ſteht auf dem Theaterzettel.

Man glaubt positiv zu wiſſen, Frankreich habe Deſterreich ein
Bündniß auf ganz bestimmten Grundlagen angetragen, desſen Ten-

Aber solche Eitelkeit strafte ſich hart, denn in der Stunde der Gefahr zeigte
es sich, daß nur noch die auseinanderfallenden äußerſten Stände vorhanden
waren und nicht mehr der verbindende Mittelstand."

Pag. 233. „Wir gelangen zu der Fiction eines eigenen Beamtenstandes.
Es liegt in der Natur der Sache, daß Männer jedes bürgerlichen Standes
berufen und befähigt sein können, ein öffentl. Amt zu bekleiden. Man ſpricht
von der Gefährlichkeit eines Staates im Staate. Wohl. Der ,Beamtenſtand“
iſt ein Stand in den Ständen und darin liegt wohl noch eine weit größere
Gefahr. Bei den natürlichen Ständen ſchließt ein Stand den andern aus.
Es kann Niemand Edelmann, Bürger, Bauer und Proletariar zur gleicher
Zeit sein. Bei den gemachten, unächten Ständen ist das keineswegs der Fall.
Der Gelehrte, Beamte , Geiſtliche, Soldat tc. 2c. läßt sich recht gut gleichzeitig
in derſelben Perſon vereinigt denken. Ja eine dieſer Verufsarten setzt wohl
gar ausdrücklich das Vorhandensein der andern voraus.“

Pag. 324. „Aus Rachedurſt gegen den Staat, der ihm eine Exiſtenz
verſagt, gegen die Polizei, die ihn für eine verdächtige Perſon erklärt, wird
der literarische Proletarier zur Rache gegen die Geſellſchaft getrieben, der Pro-
letarier des Gewerbes, des Tagelohns kommt dagegen umgekehrt erſt durch
den Groll gegen die Geſellſcha ft zum Groll gegen den Staat. Nur bei der
originellen Gruppe des prononcirt jüdiſchen Geisſtesproletariats finden wir, daß
der völlig gleichzeitige, übermäßige und glenhbegründete Haß gegen die Ge-
ſellſchasft wie gegen den Staat den verneinenden Literaten geſchaffen hat. Diese
jüdiſchen Literaten par excellence, wie wir sie in den letzten Revolutions-
jahren immer da in der Vorderreihe fanden, wo es galt die Lichter auszu-
löſchen und die Feuer anzuzünden , ſind gleich sehr Ausgeſtoßene der Geſell-
ſchaft wie des Staates. Das ſpecifiſche Judenthum haben sie verlassen und
dem Chriſtenthum haben sie sich nicht zugewandt, von germaniſchem Staat
wollen sie nichts wiſſen und von hebräiſcher Theokratie auch nichts. Sie
sind ſo plötlich einer überſtrengen Schule des religiöſen, politiſchen und bür-
gerl. Zwanges und der Beſchränkung entlaufen, daß sie überhaupt keine hiſto-
riſche Schranke , keine beſchloſſene Form weder in staatlichen noch in socialen
oder kirchlichen Dingen mehr anerkennen mögen. Sie sind daher die ächten
Literatenköpfe, in Holzſchnittmanier gezeichnet, die wahren Vorbilder der mo-
dernen Literatenwirthſchafst, sie repräſentiren das Literatenthum in allen Conſe-
quenzen des vierten Standes.

Pag. 373. „Das Proletariat fühlte sich troß seiner fruchtbaren Aus-
dehnung (früher) durch keine gemeinſame Idee verknüpft. Dieses Gemeinbe-
wußtſein des Pro'etariats als eines vierten Standes iſt vorerſt in der Oppoſi-
tion gegen den Müßiggang. des Besſitzeenden, gegen die Selbſtüberhebung des
Reichthums, gegen den sùtdekhen Göthendienſt des Mammons. In den Wäl-
dern Nordamerikas mögen auth viele Tauſende der elendeſten Proletarier um-
herſchweisen, dennoch wird man dort jetzt noch eben ſo wenig von den Ge-
sahren des Proletariats, von dem Pauperismus, von einem vierten Stand re-
den können als ehedem in Deutschland. Erſt da, wo die Armuth durch die
Colliſion mit dem Uebermuth des Beſites wie durch die Verkümmerung des .
Raumes in die Enge getrieben, zu einem corporativen Bewugßtſein
gelangt, gewinnt sie eine sociale Bedeutung.“

Pag. 375. „Nicht die Maſsſenverarmung als ſolche bildet das Geſpenſt



des Pauperismus, ſondern das täglich zunehmende Vewußtſein der Maſsſen von
ihrer Armuth."
 
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