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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1870

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Nr.14-25 (1.Februar - 26.Februar)
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! Donnerstag und Samſtag.

#2. 16.



:| . Samstag ven 5. Februar



Bote

Preis : vierteljährl. 40 kr. ohn

und Land. ürgqpst grigetites
| 1870.







Zum erſten Februar 18700.
. Mi..

22 Aus der Pfalz. Man erzählt von einem Rieſen, Antäus
genannt, dem nichts anzuhaben war, so lange er auf der Erde
seiner Mutter ~ stand, und den sein Gegner Herkules erſt dann
erwürgen konnte, nachdem er ihn vom Boden weg in die Lüfte ge-
hoben. Dieſe Erzählung der griechiſchen Mythologie gibt keinen
übeln Vergleich für die katholiſche Kirche ab. Wie jener Rieſe An-
täus iſt sie unüberwindlich, ſo lange sie auf ihrem ureignen Ge-
biete des Glaubens und der Sitte bleibt, und mit den Welthändeln
nur insofern in Berührung kommt, als sie gezwungen wird, ihren
Boden und ihre Gränzen mit dem Aufwande aller ihrer Kräfte zu
vertheidigen. Verläßt sie diesen Boden, dann geſchieht ihr wie dem
Riesen Antäus in der Luft: es geht ihr der Athem aus. Nolite
contktormari huie sœculo! Es hat im alchtzehnhundertjährigen.
Leben der Kirche nicht an unzähligen Herkuleſſen und Herkules'chen
gefehlt, die dem erſten Herkules die Liſt abgemerkt und dem alten
Rieſen das Lebenslicht ausblaſen zu können meinten. Zum ofsenen
Raufen, ſo oft es auch verſucht wurde, erwieſen sich die modernen
Herkuleſſe zu ſchwächlich, man verfiel darum immer wieder auf den
alien Kniss, den Riesen von seinem Boden wegzuheben und dann
zu erdroſſeln. Man verstrickte die Kirche und ihre Diener in Welt-
händel, gab ihnen Staatsdienſte, lehrte sie darin eine Ehre und
Auszeichnung ſuchen, lud ihnen das Gehäsſige der Ein- und Durch-
führung ſreiheitswidriger und volksbedrückender Maßregeln auf, die
ihnen den Spitznamen ,schwarze Gendarmen“ eintrugen, entfremdete
ſie ſo dem Volke und dem Boden, auf dem sie groß geworden und
wo die ſtarken Wurzeln ihrer Kraft lagen. Man gewöhnte ſie da-
ran, im Umgange mit den Staatsdienern, meiſt vom Volke ihrer
Untirchlichkeii wegen wenig geachtet oder verachtet, eine Ehre und
einen Vorzug zu ſuchen; un öffentlichen und geſellſchaftlichen Ver-
kehr mit ihnen, oft Knechten des Bauchs und der Sinnlichkeit, wurde
der Ernſt des geiſtlichen Berufes gefährdet, die Gesinnung zum
Aushorchen preisgegeben, Mißtrauen und Zweifel beim katholiſchen

Volke wach gerufen. Nicht ſelten ließen sich Geiſtliche zur offenen

Opposition gegen ihre Kirche und zu ihrer Verfolgung von der
Staatsgewalt mißhrauchen. ; i
_ Ms man nit dem Riesen so weit gekommen , daß es ſchien
ihm die Kehle zudrücken zu können, ging man daran, ihm die Zu-
fuhr abzuſchneiden, ihn auf seinem eigenen Boden auszuhungern
und hinzumachen. Man nahm der Kirche die Schule, auf daß ſie
keinen Nachwuchs erzielen könne; man machte für die Geistlichen
Ausnahmsgeſete, auf daß ihnen die Luſt vergehe, ihre Dränger und
Quäler zu kennzeichnen ; man unterließ die Anwendung der Gesetze
zu ihrem Schute, um ſie durch haßerfüllte Pöbelmaſſen zu verder-
ben; man gab das ihr geltiftete Armengut in weltliche Hände zur
Vertheilung, da nur Vermögen Macht gibt und die Maſſen ſich da-
hin wenden, von wo Vortheil zu erwarten; die Neuſtiftung von
Kirchenvermögen, deſſen Forthauer und Aufhebung wurde von der
Staatswillkühr abhängig gemacht ; man hinderte die Aufſtelung eines
Diöceſan-Oberhauptes, um eine wirkſame Regicrung unmöglich zu
machen Um endlich die lezten Fäden zu zerreißen, durch die, wie
man meinte, der Kirche und den Geiſtlichen Anjehen und Einfluß
durch den Staat zugeleitet würde, übertrug man den Abſchluß der
allein gültigen hürgerlichen Ehe von der Kirche auf den Staat,
ebenſo die Beurkundung der bürgerlichen Standesverhältniſſe und
hob die kirchliche Eidesbelehrung auf. Der Staatsautorität beraubt,
jeden Einfluſſes auf das bürgerliche Lehen baar, dem Volke ent-
fremdet, auf Kirche und Sacriſtei beſchränkt, mußte die „culturfeind-
liche Macht“ über kurz oder lang verfaulen und untergehen. Hoch
der erſte Februar 1870, der Todestag des lang gefürchteien Rieſen !
. Es wird anders kommen! Was zum Verderben der Kirche
attsſchlagen ſoll, es wird zu ihrem Heile führen. Cine verblendete
Büreaukratie mußte verweltlichte Geiſtliche auf ihr eigenes Lebensge-
biet zurückführen. Die todien Schreiber, die abgethanen Standes-
begmmten werden als friſche Glieder der Kirche, als freie Männer
des Voltes autetſtehen. Es iſt Pfingsten geworden für die Geiſt-
lichkeit unſeres Landes. Auch die gleichgültigen und ſervilſten un-
ter ihr miiſſen jett begreifen, daß man sie von Seiten der büreau-
kratiſchen und maureriſchen Sippſchaft nicht mehr will, daß man
ſie mit der äußerſten Geringſchäßung vor die Thiütre gewieſen hat.



Sonst wird auch die geringſte Gabe, der einfachſte Dienst von jedem
nicht ganz rohen Menſchen wenigstens mit einem Dankeswort ver-
golten; auch der Staat entläßt seine unbescholtenen Diener immer
unter „Anerkennung langjähriger, treugeleiſteter Dienste“ ; den äußer-
sten Ausläufern der Beamtenhierarchie, Wegwärtern, Flursſchüten,
Nachtwächtern und Todtengräbern wird für 25- oder 50jährige Dienst-
leiſtung eine Medaille oder ein sonstiges Kirchhofspflaster verliehen.
Die Kirche und ihre Geiſtlichen hat man für ihre 60jährigen treue
dem Staate und der Gemeinde unentgeltlich und aufopfernd geleiſte-
ten Dienste, nachdem man ſie rücksichtslos ausgebeutet, auch rücksichts-
los entlaſſen, ohne Dank, ohne Anerkennung, ſtatt deſſen folgt ihnen
Spott und Verläumdung. Noch mehr ; Angesichts aller dieser Un-
bilden zwingt man die Mißhandelten unter Androhung der härtesten
Strafen fortwährend ihre Bücher und ihre Person zu jeder beliebi-
gen Disposition der neuen Standesbeamten zu stellen und auf jeden
beſondern Befehl von Rechtswegen fernere Knechtsdienſte zu leisten.
Der Geistliche, dem dieſe Thatſachen die Augen nicht öffnen über
die fabelhafte Geringschätzung gegen ihn, gegen seinen Stand und
gegen seine Kirche und was man weiter vorhat, der verdient zum

immerwährenden Taglöhner auf irgend einer Amtsſtube verurtheilt

zu sein.

Die nächſte Folge der neugewonnenen Einsicht wird ein inni-
ger Anschluß der Geiſtlichen unter sich und an ihre Kirche ſein,
eine enge Verbindung mit dem Volke. Um die Achtung und das
Zutrauen des biedern katholiſchen Volkes nicht zu verlieren , wird

der Geiſtliche sich nicht herabwürdigen in die Geſellſchaft von Men-

ſchen sich zu drängen oder drängen zu laſſen, am wenigsten in öffent-
lichen Localen, wären es auch Museen oder Caſino's, wo man ſie
aushorcht, hänsſelt, Zoten reißt, die Religion verſpottet; wo Men-
ſchen mitreden, die Jahr aus Jahr ein kein religiöſes Lebenszeichen
von sich geben und dem chriſtlichen Volke zum ſchweren Aergerniß
ſind. In einer Zeit, wo man in den höhern Kreiſen mit ofsenkun-
digen Ehe- und Ehrenwortsbrechern zuſammensitzt und sie hoch leben
läßt, wo man unter geſetzlichen Formen das Kirchengut holt, wo
ein geſinnungsloſer Troß allen kirchlichfeindlithen Maßregeln zuju-
belt, iſt es für den Geiſtlichen Lebensbedingung und Ehrenpflicht
sich diesem verpeſteten Dunſtkreis ferne zu halten, um nicht mit
verpeſtet zu werden, Zeugniß dagegen zu geben und den lebhafſte-
ſten Abscheu des Volkes dagegen wachzurufen und zu erhalten. Er
braucht dabei Niemand zu ſcheuen; der katholiſche Prieſter, blos
auf sich angewiesen, allein stehend, von keinen irdiſchen Rücksichten
abhängig, steht an persönlicher Freiheit und Manneswürde unendlich
höher. als alle diezitteruden und kriechenden Büreaumenſchen, die Sclaven
ſind nach Oben und Tyrannen nach Unten. Wenn er ſeine Stel-
lung recht begreift und ausnutzt, iſt er ſo unabhäng wie der Unab-
hängigste. im Lande. Im Besit einer permanenten Tribüne und
zahlloſer anderer Sprechſtunden iſt er jedem Gegner gewachſen. In
Verbindung und an der Spitze ſeiner Gemeinde, deren Interessen
er ſich nun ganz und ungetheilt widmen kann, iſt er gegen die In-
ſulte, die ihm büreaukratiſche Ueberhebung und bornirte Gesinnungs-
tüchtigkeit ſeither bieten zu dürfen glaubte , geſichert, und kann nach
Umständen eine sehr wirkſame Offensive ergreifen. Vom Staate
verlaſſen und bei Seite geſchoben, werden die Prieſter die Interes-
sen der Religion, der Kirche, des chriſtlichen Volkes um so unge-
theiller wahrnehmen können, werden nach wie vor als die ein;igen
Freunde des Volkes dieſem in den wichtigſten Momenten des Lebens
wie im Tode rathend, helfend, tröſtend und verſöhnend zur Seite
ſtehen und die einflußreichſte Thätigkeit auf einem Gebiete üben,
wo ihnen die Staatsallmacht keine Concurrenz machen kann. Was
ein ſeeleneifriger untadelhafter Clerus vermag , sehen wir in Frank-
reich und Belgien, wo eine 30jährige Trennung der Kirche vom
Staate, der Kirche und ihren Dienern einen Einfluß geſchasfen wie
nie zuvor. Cin Theil der Feſſeln, die den Aufschwung der Kirche
hinderten, sind jett auch bei uns gebrochen, wenn auch nicht durch
unser Zuthun und nicht aus Gunſt gegen uns, sondern durch die
gottgewollte Verblendung unserer Todfeinde, die uns damit übel
zu thun gedachten; sparen wir keine Anstrengung, um die übrigen
Ketten, die noch um unſere Kirche klirren, abzuthun, auf daß die
bis jezt noch her: schende ſchamloſe Lüge von der Freiheit der katho-
liſchen Kirche zur segensvollen Wahrheit werde. Keine Gemeinſchaft
mehr mit Bureaukratie und Staatsregiment, keine Convention mehr
mit denſelben, keine Pfrüuvcubeſezung mehr durxch dieſelben; Ales
 
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