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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1870

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Nr.65-76 (2.Juni - 30.Juni)
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® Inſs.-Geb. 2 kr. die Petitzeile.

und Lan



J 71.





Nationalliberale Consequenz.

Unter dieser Aufschrift bringt die „N. Fr. Pr.“ einen Leitar-

tikel über den Scheinconſtitutionalismus, wie er namentlich in Preu-
ßen herrſcht und über den Servilismus der Nationalliberalen gegen-
über der preußiſchen Regierung. Die „N. Fr. Presſe“ schreibt un-
ter anderm : |

„Im Norddeutschen Reichstag sind die Nationalliberalen zu
der Einsicht gekommen, daß es für sie volllommen unnütz und über-
flüſſig iſt, auf ihrer Ansicht zu beharren, wenn dieſe das Unglück
hat, der Regierung zu mißfallen. Sie wissen, daß sie keine andere
Bedeutung haben, als die, eine Rolle zu ſpielen, die mit einem ge-
wisſen Stichwort abſchließt. Die Rolle führen sie mit großem Eifer
durch ; sobald aber die Regierung das entscheidende Wort ſpricht, ver-
ſtummen sie in aller Ergebenheit. Daß ſsie sich dabei ſselbſt wider-
ſprechen, daß sie die ſchlimmſte aller politiſchen Sünden, die Incon-
sequenz und den Mangel an Prrincipientreue, auf sich laden, das
kümmert sie nicht.

„Das Schauſpiel hat sich in kurzer Friſt bereits zum dritten-
male wiederholt. Zweimal erlebten wir es schon früher, zuersſt bei
der Abstimmung über die Frage, ob die Abgeordneten für den nord-
deutſchen Reichstag Diäten erhalten ſollten, daun wieder bei der
Berathung über die Erhöhung des Kaffcezollese. Immer waren es
die Nationalliberglen, djese proteusartigen, jeder Verwandlung fähigen
Naturen, die bei der erſten nud zweiten Leſung der betreffenden
Geseßentwürfe gegen die Regierung stimmten, bei der dritten aber

in Folge einer perſönlichen Intervention Bismarck's plötzlich umſat-

telten und das beſchloſſen, was sie wenige Tage zuvor verworfen
hatten. Schließlich aher haben ſie bei dex entscheidenden Abſtim-
mung über die Todesſtrafe das überraſchende Kunſtſtück zum dritten-
male producirt. Die ganze Fraction war bekanntlich für die Ab-
ſchaffung der Todesstrafe, sie hatte bei der zweiten Leſung des neuen
Strafgeſeßbuches vie Beibehaliung derſelben verworfen. Da kommt
Bismarck, obwohl abgeſpannt und krank, aus Varzin herbeigeeill.
Er betritl die parlamentariſche Arena, um das koſtbarſte Hoheits-
recht des Königs, das Recht über Leben und Tod, zu retten. Es
bedarf nur eine Viertelſtunde, + und die Schaar der Naiionall-
beralen läuft über und mit ihrer Hilfe iſt in diesem Augenbiicke
die Todesstrafe für den ganzen norddeutſchen Bund gerettet, bezieh-
ungsweiſe in denjenigen Staaten desſelben, welche sie bereits abge-
ſchasst hatten, wiederhergeſtellt. ;

"" " „Wie dieſes Blatt (die „N. Fr. Preſſe‘) über die Frage der
Todesſtrafe denkt, iſt zur Genüge bekannt. Gleichwohl fällt es uns
nicht ein, das Verhalten eines Politikers zu derſelben als Merkmal
ſeines Liberalismus aufstellen zu wollen.*) Große Reactionäre haben
ſchon gegen die Todesstrafe geſprochen und echte Republikaner ſi
vertheidigt. Als der Abgeordnete Sepp in der bayeriſchen Kanmier

für die Beibehaltung dex Todesstrafe ſprach, konnte er ein ameri-

kaniſches Blatt zu seinen Gunsten citiren. Aber die erbärmliche
Haltung der Nationalliberalen iſt es, die unſeren Tadel herausfor-
dert. Wie können ernsthafte Männer das verwerfen, was ſie acht
Tage früher gebilligt haben, uder umgekehrt das annehmen, wo-
gegen sie vor einer Woche geſtimmi ? Wir urtheilen ohne
alle Heftigkeit, mit jener Ruhe, die uns die Entfernung gibt.
Trotdem scheint uns die Annahme der Todesstrafe durch die Na-
tionalliberalen ein großer Scandal, denn sie haben sie offenbar wi-
der ihre eigene Ueberzeugung, blos aus Nütlichkeitsgründen und
Liebedienerei gegen Bismarck angenommen. . . . Dieser norddeutſche
Reichstag iſt wirklich zu allen Dingen zu gebrauchen. Käme er
durch einen ſchlimmen Zufall einmal dem Grafen Bismaxck abhan-
den, der Bundeskanzler würde wie Doctor Bartolo wehtlagend über
Figaro's Muthwillen rufen: „O meine ſchönen Pagoden! Sie nicken,
nicken und nicken unaufhörlich.“

Süddeutſchland.

* Heidelberg, 15. Juni. Von den vereinigten Gegnern der
jeßzigen Abſolutistiſ
Demokraten und der kathol. Volkspartei + iſt, wie wir berichteten,

*) Gewiß nicht : der Bote iſt mit den Abgeordneten der kath. Volkspartei
völlig für die Beibehaltung der Todesstrafe, aber es würde ihm nicht einfallen
wie umgekehrt den Nationalliberalen aus Opportunitätsgründen für die Ab-
ſchaffung derselben ſich zu erklären.





Samſtag den 18. Juni

c<en Gemeindewirthſchaft in Consſtanz – denl|.

1870.



Herr Rathſchreiber Hu b er als Gegencandidat Stromeyer's bei der
neuen Bürgermeiſterwahl aufgestellt worden, und der Kampf hat
bereits große Dimensionen und einen sehr erbittecten Charakter an-

|) genommen. Welche Mittel aber die Anhänger Stromeyers gebrau-

chen, um dieſem wieder auf den Rathhausſeſſel zu verhelfen, davon
uur e in Beiſpiel der ſcandalöſeſten Art. Die Constanzer Zeitung
bringt nämlich die Angabe, die ihr sofort von der officiösen Karls-
ruher Zeitung nachgedruckt wird, daß Rathſchreiber Huber unter
ke inen Umständen eine auf ihn fallende Wahl als Bürger-
meiſter annehmen werde. Der demoktratiſche Conſstanzer Volksfreund
erklärt nun mit fetter Schrift, daß dieſe Angabe nichts iſt als
eine „tendenziöse Lü g e." In Constanz herrſcht große Auf-
regung.

* Heidelberg, 17. Juni. Die Katholiken erfechten Sieg auf
Sieg. Aus Belgien langt die Depeſche an: „Das Wahlreſultat iſt
der miniſteriell-liberalen Partei entſchieden ungünstig. Der Miniſter
des Aeußern Vanderſtichelen iſt in Gent unterlegen. Das Miniſte-
rium kann auf keine parlamentariſche Mehrheit mehr rechnen.“ In
Frankreich bei den Wahlen in die Generalräthe „ungeheure Mehrheit“
der kath. Richtung. In Deſterreich und im Nordbund Eingreifen
der Katholiken mit entſchiedenen Programmen in die Bewegung.
So lauten die Klagelieder der Frankfurter Juden in ihrer „Zeitung.“
Wann wird's in Baden beſſer werden ?

* Heidelberg, 17. Juni. Gestern Abend hielt Herr Jakob
Lindau einen längeren, mit ſtürmiſchem Applaus aufgenommenen
Vortrag vor einer dicht gedrängten Versammlung der Vereinsmit-
glieder und ihrer Angehörigen im hiesigen kath. Caſino über das
Concil und die kath. Zuſtände in und außerhalb Deutschlands

.. Karlsruhe, 14. Juni. Die Frau, welcher es beschieden
war, 94 Jahre alt zu werden, hat dadurch bei der bad. Versorgungs-
anſtalt ein seltenes Glück gemacht. Solche Fälle werden wie die
Gewinnſte der Lotterien gerne als lockende Beiſpiele bekannt gegeben ;
ſollte es deßhalb gerathen sein, ſein Geld in Lotterielooſe zu stecken ?
Wer bei der Rentenverſicherung alle ſeine Altersgenoſſen überlebt
und so lange Jahre den ganzen für jene geſammelten Fond ge-
nießt, der macht natürlich eine ganz außerordentliche Erbſchaft :
wer aber bald nach Eingehung der Versicherung stirbt, der hat ſein
Vermögen eingegeben, ohne etwas dafür zu erhalten. Die Beiſpiele
letzterer Art werden in der Regel nicht bekannt. Abgesehen von
dieser Hingabe an den Zufall ſpricht gegen die Rentenversicherung
überhaupt, daß sie gegen die richtigen Grundsätze, häufig ſelbſt gegen
die Pflicht verſtsöslk. Man macht Einlagen von Kapitalien, welche
nie wieder zurückgegeben werden , dagegen bezieht man größere Zin-
ſen als Renten, die mit dem Leben aufhören. Das kann nur ein
Menſch thun, der keine Kinder, keine näheren Verwandten beſitzt,
der Niemanden etwas hinterlaſſen, nur für sich ſelbſt sorgen und
all das Seine verbrauchen will. Man gibt freilich nicht immer
ſein ganzes Vermögen hin; beſjondere Verhältiniſſe können es auch
in einzelnen Fällen ganz zweckmäßig erſcheinen laſſen, auf ein ge-
wiſſes Alter beſtimmte größere Einnahmen machen zu können. Aber
für die Regel iſt es geradezu verkehrt Kapital einzugeben auf
Nimmerwiederſehen, nur um größere Einnahmen zum Berbrauche
zu haben ; wer sparen will, wer für Angehörige oder in deren Er-
mangelung für wohlthätige Institute sorgen will, der legt sorgfältig
jedes Jahr ein Scherflein zurück, um nach und nach zu einem
Kapitale zu kommen, das ihm in Nothfällen eine Hilfe, ſeinen Nach-
kommen eine Erbſchaft iſt. Dieſe Auffassung iſt eine so natürliche,
daß die Rentenversicherung, die nur in Folge der früheren unsinni-
gen und unwahren Versprechungen mancher Anstalten eine Zeit lang
im Schwange war, bis die Leute durch ihren Scharen klug wur-
den, — jetzt mit Recht beinahe keinen Anklang mehr findet. Wer
in der richtigen Weise ſparen will, legt seine jährlichen Ueberſchüsse,
seien sie auch noch so gering, in eine Lebens versicherung,
wo er entweder noch ſelhſt bei Lebzeiten mit ſogenannter alternativer
Versicherung die Versicherungsſumme bezieht, oder wo auf seinen
Tod die Angehörigen ein Kapital empfangen, das sie auf anderem
Wege nie ebenſo gewiß und ebenſo reichlich erhalten würden. Wählt
man eine deutſche, auf Gegenseitigkeit gegründete, durch ihre Leiſtun-
gen erprobte Anstalt, welche zugleich durch die größere Ausdehnung
ihres Betriebs und ihren Reservefond gegen die Einflüſſe von



Epidemieen die erforderliche Garantie gibt, so iſt eine beſſere Ver-
wendung der Ersparniſse nicht leicht denkbar.
 
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