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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1893

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Nr. 49 - Nr. 53 (3. Dezember - 31. Dezember)
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Lichtlein ſchwimmen und Flachshaare brennen, raffen Holz
uud ſchütteln den Zaun, ſchlagen im Dunkeln ein Buch auf
um die bezeichnetẽ Stelle am nächſten Morgen zu leſen
und Anderes mehr. Man achtek datauf, wie man beim
Mahle ſitzt weſſen Schatten an der Wand nicht ſichtbar iſt
ba der Schatteniofje aberglaubiſcher Auffaſſung zufolge im
nächſten Jahre ſterben ſoll! Während man an einigen
Orten den Sylveſterabend ſtill im Farırlienkreije begeht und
es faͤſt für Frevel hält, ihn in Saus und Braus zu ver-


„Syvelter geſchlagen“ ujm. Die Gebräuche ſind Jelbitver:
ſtändlich nicht aus der Feſtfeier des kirchlichen Gedenktages
entſtanden, ſondern recht weltliche Volksgebräuche.

Der erſte Tag des Monats Januar, der Neujahrstag,
wird in den Volksſprüchen, welche über die Witterung han-
deln oft genannt. In Deſterreich ſagt man: „Wie St.
Kathrein, wird's Neujahr ſein Vährend in Spaͤnien die
Meinung herrſcht: Das ſchlimme Jahr tritt ſchwimmend
ein“, fagt man in Deutſchland: *

„Morgenroth am erſten Lag
Unwetter bringt und große Plag

In der Altmark läßt Sonnenſchein am Nenjahrstag
auf gute Flachsernte, in Tirol auf ein fruchtbares Jahr
hoffen, eine Erwartung, die man auch in Flandern hegt.
In Portugal heißt es! Erſtet Tag vom Jahre, erſter
Tag vom Sommer.“ In Spanien gibt es über das neue
Jahr zwei beſondere Sprichwörter; ſie lauten? „Mehr
bringt das neue Jahr hervor als das beſtbeſtellte Feld“
und „Sage nichts Schlimmes vom Jahr, bevor es vorüber
iſt Auch die Beſtimmung der Tageszunahme iſt bei den
meiſten Völkern in ſprüchwoͤrtlichen Regeln ausgedrückt, oft
in farbigen und poetiſchen Formeln. In Frankreich ſagt
man: „Zu Neujahr wachſen die Tage um eine Ochſenmahl-
zeit“, und die Tſchechen verſichern: „Zu Neujahr um einen
Hahnenſchritt, zu den drei Königen um einen Sprung weiter
und zu Lichtmeß um eine Stunde mehr.“ In Deutſchland
und England wird bekanntlich ſowohl vom Neujahrstage als
auch an von dem Dreikönigstage behauptet, daß dann die
Tage um einen Hahueuſchrei länger geworden ſeien. In


verlaͤngert ſich der Tag um eine gute Stunde“ dder auch
um einen Teufelsſchritt', woraus man wohl ſcherzweiſe
den Schluß zieht, daß nach der Auſchauung der Mailänder
jeder Schritt dem Teufel eine Stunde koſte. In Betreff
des Januars findet ſich in den Wetterregeln faſt üb erall der
Wunſch ausgeſprochen, er möge kalt fein.
Gibts im Januar viel Regen
Bringl's den Früchten keinen Segen.“
„Im Jaͤnuar viel Segen, wenig Schnee,
Thut Bergen, Thälern und Bäumen weh.“
° „Sit der Januar naß,
Bleibt leer das Faß.“

Die Deutſchen haben mit den Polen den Spruch ge-
meinjam : Januar warm, daß Gott erbarm. In der
Schweiz gilt der Spruch: Tanzen im Januar die Mucken
— Muß der Bauer nach dem Futter gucken. Die Por-


wenn s nicht gut iſt für's Getreide iſt es auch nicht ſchlimm


Die kath Kirche ſtellt an die Spitze des neuen Jahres
Aerheiligſten Namen Jeſu Mit dieſem ihrem erſten
An neuen Jahr an die Chriſtenheit weiſt die Kirche
wigen Hin auf das große und hoffnungsreiche





Gnadenmittel in den vielen Kämpfen und Gefahren des
Lebens. In hoe signo vinees. „In dieſem Zeichen wirſt
Du fiegen.“ In den erſten chriſtlichen Jahrhuͤnderten wurde
der NeujahHrstag daher auch unter Faſten und anderen
VBußübuugen gefeiert. Das geſchah! wie ein Kauon des
Koutzils vbon Tours vom Jahte 567 ſagt: um unter den
Chriſten „die heidniſchen Gebräuche auszurotten“. Die
Heidnijchen Kömer feierten beim Beginn des neuen Jahres
am erſten Januar, ein Feſt zu Ehren des Gottes Janus,
Dı i Dder- Pförtner, der in die neue Zeit hineinweiſt und
ſchaut, zugieich aber auch einen Blick rückwärts wirft.
Jaͤnus haͤlte daher zwei Köpfe, er ſtand an der Grenze
eines Zeitabſchnittes und vor dem Beginn eines neuen Zeit-


Der Sabinerkönig Tatius, der mit Rauulus fünf Jahre
lang den Doppelftaat der Römer und Quiriten regierte,
erhielt am erſten Tage des Jahres Zweige aus einem der
Göttin Strenna geheiligten Walde und betrachtete dieſes
als eine gute Borbereitung, weßhalb es in Rom üdblich
wurde, am erſten Tage des Jahres einander Geſchenke
zu geben und an dem Tage auch die Göttin Strenna zu
feiern.

Dieſe zu Ehren des Janus und der Sttenna in Rom
gefeierten heidniſchen Feſte waren mit wüſten Gelagen und
Ilus ſchweifungen verdunden. Um nun die Ehriſten von
dieſen Aergerniſſen zu bewaͤhren, verſammelte die Kirche
ihre Kinder zum Goͤltesdienſte und hielt ſie zu Gebet und
Buße an. Schön drückt der h. Auguſtinus Ddieje Xoficht
der Kirche in einer Neujahrsanſprache aus: Wirſt Du
Neujahr feiern wie der Heide und Würfel ſpielen und Dich
berauſchen? Die Heiden gebeu ſich Neujah-Sgejhenke, gebet
Ihr Almoſen; Jene lauſchen unzüchtigen Geſaͤngen erguickt
SOr Euch an den Worten der h. Schrift; Jene eilen in die
Schauſpiele, eilet Ihr in die Kirche; Jene berauſchen ſich,
möget Ihr fajten.“ Mit dem Heidenthum verſchwand nach
und nach jene heidniſche Unſitte und die kirchlichen Maß-
nahnien daͤgegen wurden überflüſſig. So wurde denn gegen
Eude des Jahrhunderts der Neujahrstag als ein kirch-
licher Feſt⸗ und Freudentag gefeiert.

Das neue Jaͤhr liegt, wie alle Zukunſt, var uns als
ein Geheinniß, was wird es bringen? Die Ungewißheit
der Zutunft iſt für den Menſchen nicht ohne ernſte. Be-
trachtung; er fühlt ſich mit jedem Neujahrstage um einen
bedeutenden Schritt dem Ende ſeines Lebens näher. Pilger
und Fremdlinge auf Erden“ nennt uns der Apoftelfürft.
„Bilger und Fremdling das iſt ein Wort voll Wehmuth
und Schmerz, aber fir den glaͤubigen Chriften wird der
Ernſt dieſes Wortes übertönt und durchklungen von großen
feligen, ewigen Hoffnungen. Er kennt das glückliche Ziel
diefer Wanderſchaft und gedenkt der ewigen Heimath. Er
vertraut auf Goͤtt, deſſen Vorſehung Alles zu einem guten
Ausgange führt. Im Vertrauen auf den Hexrn von dem
alles Guͤte koͤmmt und deſſen ſegnende Hand Schutz und
Heil verleiht, betreten wir muthig und getroſten Herzens
die Brücke zum neuen Jahre.

— —

Allerlei.

Militar und Civil Ztalieniſchen Blättern zufolge
wird unter dem 5. Dez. aus Verona berichtet: Im Riſtori-
Theater kam geftern Abend vor einer zahlreichen Zuhbrerſchaft
die „Bagliacci“ und „Cavalleria ruſticana zur Aufführung.
Das Publilum hörte der Muſil andaͤchtig zu nur einige
Dffiziere, die in einer Loge ſaßen plauderten ruhis weiter
und zwaͤr ſo laut, daß fie das Mißfallen ſämmtlicher Nach-

arn erregten Ein alter, aber noch ſehr jugendfriſch aus-
ſehender Herr, der hinter ihnen ſaß, förderte ſie mehrere


Offiziere gaben ihm eine grobe Antwork und thaten ſehr
enfrüjtet ; der Herr erwiederte ihuen darauf, daß er ſein
Geld bezahlt haͤbe, um die Muſik zu hören und nicht, um
ſich etwaͤs vorſchwatzen zu laſſen Die Offiziere lachten
in aus und ſpraͤchen noch lauter ais zuvor und der alte
Herr ließ nun das ſcheinbar Unabänderliche über ſich er-


die Offiziere, um hinaus zugehen und farderten den Fremden
auf, ihnen zu folgen. In dem in der Vorhalle des Theaters
befindlichen Kaffethauſe überreichten die Offizere dem Herrn
ihre Karten und dieſer gab ihnen die feine. Kaum hatten
die Offiziere dieſe gelefen, als ſie erbleichten, ſich kerzenge-
rade aufrichtelen und militäriſch grüßten Dann ſtammelten
ſie: „Eutſchuldigen, Herr General!“ Der alſo Angeredete
grüßte kalt und gemeſſen, dann drehte er ſich kurz um und
ließ die verblüfften Offiziere mitten im Saale ſtehen. Der
Herr in Civil war der General Gerolamg Bezzoli, der
aͤus Padua kam und zur Inſpektion nach Modena fahren
wollte.

— Wandernde Briefe ſind auch in unſerem Zeit-
alter entwickelter Poſtverhaͤltniſſe keine Seltenheit: eine über-
raſchende, ja kaum glaubliche Erſcheinung iſt ein wandern-
der Arreſtant. Anton Kutſchurbajeff, ein Kirgiſe, welcher
der ſog. „inneren Hord“ angehört, Familienvater u. guter
Wirih wurde beſchuldigt, ein geſtohlenes Pferd gekauft zu
Haben. Zwer Woͤchen, ſo ſchreibt man der Voſſ. Zig. aus
Petersbutg — hielt man ihn im SGefängniß, entließ ihn
ſodann uud ſtellte ihn unter polizeiliche Aufſicht. Zur
Befbrderung an ſeinen Wohnort gelaugte er nun in die
Nowonfenſche Polizeiverwaltuug, die ihn nicht an ſeinen
80—90 Werft entfernten Wohnort, ſondern in das Gefäng-
niß zu Saratow ſchickte, von wo er in die Verwaltung der
Kirgiſenhorde befördert werden ſollte. Allein aus Saratow
mußte der Arme die Gefängniſſe in Koslow, Woroneſch,
Roſtow beſuchen, gelangte ſodann in den Kaukaſus, nach
Tiflis, ſchließiich nach Baku. Hier kam die Adminiſtration
auf den Gedanken, ihn eine Seereiſe machen zu laſſen und
ſo kam er naͤch Irans Kaspiegebiet, uach Aschabat und
Tſchardſhut, weiter nach Buchara und Samarkand Hier
fieß man ihn ein halbes Jahr „ausruhen“. Dann ging
es nach Taſchkent, wo die ruſſiſche Etappenſtraße endet.
Der arme Anton konnte abermals ſechs Monate „aus-
ruhen. Während der angebliche Verbrecher nun hinter
Schloß und Riegel fibt, wird er in ſeiner Heimath geſucht
ein Rapport des Unterſuchungs richters nach dem andern
geht an die Polizeibehörde und die Verwaltung der Kir-
giſenhorde; Anton Kutſchurbajeff iſt verſchwunden, als


veraulaßte den Chef des Gefaͤngniſſes in Taſchkent, Antons
Reiſedokumente durchzuſehen und das führte zur Ruͤckkehr


Wanderung per Etappe langte er wieder in ſeiner Heimath
an, wird freigeſprochen und findet ſeine Familie verarmt,
ſeine Wirthſchaft zu Grunde gegangen. Wenn der Vorgang
nicht verbürgt wäre, könnte man eine Anekdote glauben.
— fo. überrafcht er ſelbſt in Rußland, . wo belanntlich auf
dem Gebiete der amtlichen Gewaltthaͤtigkeit ſo Vieles mög-
lich iſt.

— Das Tiſchgebet Als der fromme König Alphons
von Aragonien ( 1458) zu ſeinem Leidweſen erfuhr, daß
ſeine Edelknaben das Tiſchgebet vernachläſſigten, lud er ſie
ſämmtlich zu Mittag ein. Als ſie verſammelt waren, gab





der König einen Wink, mit dem Eſſen den Anfang zu
machen. Niemanden fiel es ein, das Kreuz zu machen und
zu beten Während des Eſſens komuit unangemeldet ein
zerlumpter Bettler herein, er ſetzt ſich ohne alle Komplimente
mit an die große Taſel und ißt und trinkt nach Herzensluſt.
Die Edelknaben ſtaunten über dieſe / unverſchämte Grobheit
und blickten erwartungsvoll auf den König hin, ob er den
Bettler nicht hinausweiſen laſſen werde. Doch König
Alphons, der dieſen Auftritt ſelbſt veranlaßt hatte, verhielt
ſich ruhig und ſchwieg. Als der Bettler Hunger u. Durſt
geſtillt haͤtte, ſtand er auf und ging davon, ohne zu danken
oder auch nur vor dem Könige ſich zu verneigen „Ein
abſcheulicher Menſch murmelten die beiden Edelknaben. Da
erhob ſich der König und ſprach mit ernſten Worten: „So
frech und unverſchämt wie dieſer Bettler ſeid Ihr auch
bisher gemeſen. Alle Tage ſetzet Ihr Euch an den Tiſch
des hinunliſchen Vaters ohne zu bitten und Ihr geht hinweg
ohne zu danken. Schämt Euch von ganzer Seele.

Beobachtungsgabe der Zigeuner In eikem
Feuilleton des Neuen Peſter Journals wird folgende Epiſode
aus dem preußiſchöſterreichiſchen Kriege mitgethHeilt, die
Erzherzog Joſeph/ der jetzige Commandant der ungariſchen
Honveds, ſelbſt ein Mal in Geſellſchaft erzaͤhlte: Als wir
vor der vordringenden preußiſchen Armee retirirten, ſchlugen
wir unſer Lager in der Naͤhe einer böhmiſchen Ortſchaft
auf. Nach Einbruch der Nacht begaben ſich die Soldaten
zur Ruhe. Nur ich blieb noch wach in meinem Quartier,
einer Baͤuernuſtube da ich noch zır arbeiten hatte! Gegen
Mitternacht höre ich vor meiner Wohnung die Stimme des
Wachtpoſtens: „Halt! Wer da?“ Gleich darauf meldete
Adjutant, daß draußen ein Zigeuner ſei, der mit mir unter
vier Augen zu ſprechen wünſche. Der Zigeuner es war
ein Soldat — erhielt Einlaß und ich blieb mit ihm allein.
„Was gibls fragte ich ihn. ; Der Feind kommt heran-
gerückt, ‚er will uns überraſchen.Die Vorpoſten haben
doch bisher nichts verdächtiges wmahrgenommen.“ „Weil
der Feind noch weit iſt, Hoheit; aber bald wird er hier
ſein und dann wehe uns./da, woher weißt du denn
das?“ Wollen Hoheit nur ans Fenſter treten. Sehen
Sie dort die vielen Vögel, die aus dem Walde gegen
Süden fliegen?,Die ſehe ich; nun, und dann?” „Und
dann? Schlafen denn die Vögel nicht ebenſo, wie die
Menſchen? Sie würden gewiß nicht herumfliegen, wenn
ſie im Walde Ruhe hätten. Aber der Feind kommt durch
den Wald und die Vögel ſind aufgeſcheucht worden „Sut,
mein Sohn, jetzt kannſt dır gehen.“ Sofort ertheilte ich
die Ordre zur Verſtärkung der Vorpoſten und zur Alarmi-
rung des Lagers Eine Stunde ſpaͤter war das Vorpoſten-
gefecht mit dem heranrückenden Feind im Zuge So
wuͤrde unſer Lager durch die Beobachtungsgabe eines Zi-
— vor einer verhängnißvollen Ueberraſchung be-
wahrt.

— Der preußiſche Kronprinz hat vom Tage ſeiner
Geburt an jährlich 36 000 Thaler Einkünfte. Den Fonds
dazu ſtiftete König Friedrich Wilhelm 11. bei ſeinem Regie-
rungsaͤntritt. Friedrich der Große hatte den Prinzen ſehr
fnapp gehalten. In dieſe Lage ſollte fortan kein Thron-
folger kommen. Friedrich dem Großen ſelbſt war es nicht
beſſer ergangen. Bis zu ſeinem 17. Lebensjahre bekam er
nur ſelten elwas Geld in die Hände. Als der König erfuhr,
daß Fritz 1730 4000 Thaler Schulden hatte, erließ er ein
ſchaͤrfes Edict gegen das Geldleihen an Minderjährige Das
Geld zur Beſtreitung der kleinen Ausgaben erhielt der
Gouverneur des Kronprinzen und mußte darüber genau
Buch führen. Anfangs waͤren es jähzlich 360, {päter 600
Thaler. Die Beläge für die Ausgaben waren bis in’s


 
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