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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 4 (15. April 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0027
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Erstere wieder. „Co 'ne Nischdwerdigkeet muß bestraft wcr'u,
und das dichdig! So was is doch mci Tage uichd erheert ge-
wüs'n, daß nich e mal so c unschuldiger Blechhandschuh, der
keen Meuscheu uischd zu leide gedau had, iu Ruhe bleibt. Scheeu'
kut'u Niorgen, Harr Schuackelmaier!"
„Scheeu' kut'u Morgen, Harr Hummel!"
Halb aufgerichtet satte Fritz Holm iu seinem Bette das
bausväterliche Racheduett mitaugehört, er wendete sich jetzt auf
die andere Seite und versank in Nachdenken. „Ei, ei Fritz, wie
weit ist's mit dir gekommen, einen Blechdiebstahl hast du verübt,
und ein Preis wird auf deinen Kopf gesetzt! Weh! weh!" Mit
diesen Worten sprang der Sünder vom Lager auf, schlüpfte in
feine Kleider, und zündete den Spiritns in seiner Kaffee-
maschine an.
Eine Viertelstunde später saß er beim würzigen Morgen-
trank im Erker, in der einen Hand die volle Tasse, iu der
anderen die lange Pfeife haltend. Da fiel sein Blick auf die
Straße. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Knude vou dem
frechen Handschuhranb in der Nachbarschaft verbreitet. Einer
erzählte es dem Andern, und Einer nach dem Andern lugte aus
feiner Hansthüre und lugte nach der Stelle, wo der Entwendete
gehangen. Das verwundertste Gesicht aber machte unser Srudio.
So ost er Jemand hinausstarren sah, bog er sich aus dem Fenster
und blickte nach der Stätte der Untat, als träne er seinen
Augen nicht.
Fritz Holm war beständig voll tollen Studenten-Uebermuts,
und nicht ohne Grund nannten ihn seine Commilitonen wegen
seiner neckischen Einfülle den „Schnnrreufritz".
Voll Ungeduld harrte er der cinbrcchendeu Abenddämmerung.
Kaum war cs drunten dunkel und still geworden, so öffnete er
verstohlen sein Fenster, und hing in einem günstigen Momente
den so schwer Vermißten, dem er zuvor noch mit Kreide ein
lachendes Vollmondsgcsicht anfgematl hatte, wieder an sein^
Stelle.
Inzwischen war die Abendnummer des städtischen Tage-
blattes erschienen. Sie hatte als neueste Neuigkeit der staunenden
Bürgerschaft den Diebstahl des roten Handschuhes beim Meister
Schuackelmaier, sowie die Erklärung des Bestohlenen gemeldet,
dem Wiederbringer des Verschwundenen eine angemessene Be-
lohnung zahlen zu wollen.
Am anderen Tage waren die Blicke aller Vorübergehenden
nach der betreffenden Stelle über dem Handschnhladen gerichtet.
Für die alte Musenstadt voll damals war ein solcher Vorgang
schon ein Ereignis. Wie staunte man nun aber, als man bereits
am frühen Morgen den steckbrieflich verfolgten Handschuh ganz
wohlbehalten an seiner Stange baumeln sah. Wie reimte sich
das mit der Zeitungsnachricht zusammen? Hatte diese so rasch
gewirkt? O segeubringendes Unglück! Den ganzen Tag wurde
Schnackelnmier's Ladeu nicht leer von neugierigen Besuchern.
Vater, Mutter und Tochter hatten alle Hände voll zu tun, nm
dem Andrang vou Käufern zu genügen, welche nur deshalb
etwas kauften, um dabei den Zusammenhang der wunderlichen
Handschuh-Affäre Zu erfahren Viele Tntzendmal mußte der
geplagte Handschuhmacher der neugierigen Menge Bescheid thun
nnd bekennen, daß er selbst nicht wisse, wie ihm geschehen; in
der ersten Nackt sei der Handschuh verschwuudeu, und iu der
darauffolgenden ebenso unbemerkt wiedergekommen.
„Ei Härr Jeses! Ne, so was läbt doch nich!" hieß es
allgemein, „das is also nischt wie e schlechter Witz gcwes'n?"

Dies wurde vollends znr Gewißheit, als man den Wiederge-
gekehrteu genau betrachtete, und auf feiner Rückseite das lachende
Vollmondsgesicht erblickte. Also kein Diebstahl, sondern ein
Schabernack!
Aber wer konnte diesen Streich auSgeführt haben? In
dieser belebten Straße, wo obendrein die Polizeiwache in nächster
Nähe lag? Wer anders, hieß es, als so ein nichtsnutziger
Student, der auf nächtlichem Heimweg sich vor liebermut nicht
zu lassen gewußt hat. Nein, einer allein konnte das nicht voll-
bringen, zwei mußten mindestens dazu gewesen sein, denn der
Handschuh hing zu hoch. So bildete das mysteriöse Verschwiuden
des roten Blechwahrzeicheus mehrere Tage laug den Gegenstand
scharfsinniger Debatten in Bierlokalen, Theekränzchen nnd
Kaffeezirkeln.
An den wahren Urheber der kleinen Posse aber dachte kein
Mensch, nnd Fritz Holm konnte seine Rolle unangefochten weiter-
spielen.
Als gefühlvoller Hausgenosse glaubte er zunächst nicht um-
hin zu könueu, dem Meister Schuackelmaier zu passender Stunde
seine Aufwartung zu machen, um seine herzliche Gratulation
anznbringen nnd seine Freude über die rasche Wiederkehr des
roten Stubennachbars auszudrücken, dessen melodiöser Gesang
auch ihm ein langgewohnter, zum Bedürfnis gewordener Ohren-
schmaus sei. Schuackelmaier war gerührt. Das war ihm ganz
aus der Seele gesprochen. Er freute sich außerordentlich, bei
dieser Gelegenheit die nähere Bekanntschaft des gelehrten Herrn
im Erkerstübchen zu machen, den er so charmant und liebens-
würdig fand, daß er ihn beim Abschied bat, ihm und seiner
Familie doch einmal für längere Zeit das Vergnügen zu macheu
u. s. w. u. s. w.
So unverdient eigentlich diese Einladung war, dem Studio
kam sie zu erwünscht, als daß er sie Hütte ansschlagen mögen,
denn Schuackelmaier besaß ein allerliebstes Töchterlein, Agnes
geheißen, deren dunkle Augen in dem jungen Stndentenherzen
gar zärtliche Regungen entfacht hatten. Mit dem Versprechen,
der freundlichen Einladung recht bald Folge zu leisten, verab-
schiedete sich Fritz daher, verfehlte aber nicht, zuvor noch der
Mama Schuackelmaier, sowie der schönen Agnes einige verbind-
liche Redensarten zu widmen, die auf beiden Seiten die huld-
vollste Ausnahme fanden, nnd namentlich von der Tochter trotz
aller jungfräulichen Schüchternheit doch mit unverkennbarer Be-
friedigung hingenommen wurden. Auch sie hatte, obwohl ganz
verstohlen, den schmucken Studenten längst ins Auge gefaßt
Ihr Herz pochte lauter, wenn ihr Blick dem seinen begegnete,
und tiefe Nöte überzog ihr hübsches Gesichtchen, wenn er sie ins
Gespräch zu ziehen suchte.
Allein so lebendig Fritz Holm eine Neigung zu dem hübschen
Mädchen in sich anfkeimcn fühlte, das leichte, zu Schelmereien
aufgelegte Stndentenblut überwallte vorläufig doch alle anderen
Regungen. So oft er zn seinem Fenster hinausblickte, stach ihm
der rote Handschuh in die Augen, vou dessen Vorhandensein
schon fast Niemand mehr Notiz nahm. Nur Schuackelmaier
selbst schien dem Deserteur nicht mehr recht zu trauen, nnd nie
öffnete er seine Ladenthüre, ohne sich durch einen Blick in die
Höhe von dessen Anwesenheit zu überzeugen. Wie Hütte dies
aber Bruder Studio im Erker mitansehen können, ohne daß der
Geist des Schabernacks aufs Nene in ihm erwacht wäre?
(Schluß folgt.)
 
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