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nichts. Was er als Bauer nötig hatte, das wußte er schon,
und im übrigen konnte ihm ja die Lisbeth unter die Arme
greifen. Doch der Haupthaken lag eben an dieser. Würde sie
auch einwilligen? Die jungen Mädchen haben in betreff des
Heiratens und in Bezug aut die au den künftigen C'hegesponsten
zu stellenden Anforderungen gar eigentümliche Ansichten. Bei
dem gänzlichen Mangel an äußeren und inneren Vorzügen war
es sehr unwahrscheinlich, daß sich Nachbar Kunz die Neigung der
Lisbeth werde erringen können. Wenn ihr aber die Möglichkeit
der künftigen trostlosen Lage der Ihren vorgestellt werden würde,
und daß nur sie dieselbe fern zu halten im Stande wäre, dann
würde fie doch vielleicht einwilligen. Sollte er sie dazu zwingen?
Nein, das durste er wohl nicht. Aber sie darauf aufmerksam
zu machen und auf das von ihrem Verhalten abhängige Heil-
mittel hinzuweisen, dazu hatte er das Recht, ja im Hinblick auf
seine übrigen Kinder geradezu die Pflicht.
Unter solcherlei Gedanken und Erwägungen wandelte Röhn
heimwärts.
III.
Als der Schulmeister seine Behausung betrat, fand er
Lisbeth am Fenster sitzend und fleißig arbeitend. Auf seine
Frage nach der Mutter erhielt er die Antwort, daß sie damit
beschäftigt sei, das Abendessen zu bereiten. Er hielt darauf, daß
früh Zu Abend gegessen wurde. Darauf nahm er aus feiner
„Bibliothek" Maurers „Narrenbeschwörung" und vertiefte sich
in dieselbe, da diese Lektüre am meisten seiner augenblicklichen
Stimmung Zu entsprechen schien. Es dauerte aber nicht mehr
lange, da wurde von der Schulmeisterin das Abendbrod herein-
gebracht. Dasselbe wurde unter den nämlichen begleitenden Um-
stünden eingenommen wie die Mittagssuppe. Während des
Essens teilte der Schulmeister seiner Familie in seiner gewöhn-
lichen mürrischen und unvollkommenen Weise mit, was er beim
Oberschnltheißen gehört hatte, stellte aber alles als ungefährlich
hin. Doch in den Herzen der beiden Frauen, der Mutter
und Tochter, stiegen bange Ahnungen vor einer bösen Znkunit
auf. Als man die Schüssel so geleert hatte, daß auch nicht so
viel darin geblieben war, um eiuen Fingerhut zur Hälfte da-
mit zu fülleu, setzte sich der Schulmeister iu seiuen Sorgenstuhl
— es war eiu alter Sessel, eiu Erbstück von seinem Großvater
her —, um uoch ein wenig zu meditieren, die Mutter begab sich
in die Küche, um das wenige Geschirr zu reinigen, die Kleinen
mußten zu Bette gehen, Lisbeth nahm wieder ihre Arbeit auf,
um die Tageshelle, so lauge sie noch andauerte, vollständig aus'
zuuutzeu. Der Schulmeister war noch nicht tief in seine Medi'
tationen hineingekommen, und die Lisbeth hatte noch keine
hundert Stiche an dem neuen Kleide der Frau Waisenschreiberin
gemacht, da wurden schwere, unbeholfene Schritte vernehmbar,
und bald darauf trat Nachbar Kunz ein.
Es war eine hohe, knochige, infolge der angestrengten
Arbeit aber etwas vorüber gebeugte Erscheinung, um welche die
Leiuwandkleiduug lose schlotterte. Das Gesicht war länglich
und mager, und wurde durch einen großen Mnnd und eine
lange, geradeaus stehende Nase nichts weniger als verschönt.
Die Stirn war schmal, nach rückwärts geneigt, und wurde durch
die wirr darüber hängenden Kopfhaare fast verdeckt. Zu beiden
Seiten der tiefliegenden Augen Zeigten sich bedenkliche Falten,
welche darauf hinwiesen, daß besagter Nachbar Kunz entweder
in das fünfte Jahrzehnt bereits eingetreteu, oder demselben doch
nicht mehr gar ferne sei. So hatte denn dieser Freier nichts
aufzuweiseu, was ihn zu einer annehmbaren „Partie" gemacht
hätte, als — den ziemlich ansehnlichen Besitz, über welchen er
zu verfügen hatte. Doch dieses fällt bei einem jungen, unver-
dorbenen Mädchen, welches allein seinem liebenden Herzen die
Entscheidung überläßt, gar wenig in die Wagschale.
„Guten Abend beisammen!" Mit diesem Gruße trat Kunz
eiu. Das Wort „beisammen" war allerdings wenig gerecht-
fertigt, denn einmal traf er ja keine große Gesellschaft, dann
schien der Gruß, wenigstens nach dem Blicke zu schließen, welchen
er dabei auf Lisbeth warf, mehr der emsigen Näherin am Fenster,
als dem Herrn Papa im Sorgenstuhl zu gelten. Der Gegeugruß
fiel aber nicht dementsprechend aus: Lisbeth, welche doch nach
jener Aufmerksamkeit dem Eiutreteudeu eine mindestens an-
nähernde Gegeuaufmerksamkeit Hütte erweisen sollen, nickte nur
eiu wenig mit dem Kopfe und ließ ein kaum vernehmliches
„Guten Abend" hören, der Schulmeister hingegen, welcher in
der angegebenen Weise verkürzt worden zu sein schien, zu einem
Gegeugruß also eigentlich gar nicht verpflichtet war, schmetterte
ihm eiu lautes „Guten Abend" entgegen.
„Hier nehmt Platz, Herr Nachbar!" Mit diesen Worten
schob ihm Röhn einen Stuhl hin und lud ihn damit eiu, sich
iu seine Nähe zu setzen. Aber auf diese freundliche Einladung
achtete der Nachbar gar nicht, sondern setzte sich auf die Ofen-
bank, wahrscheinlich weil er da etwas näher an Lisbeth war
und sie so besser mit seinen Liebesblickeu beschießen konnte.
(Fortsetzung folgt.)
Die Keitigerl-Heist-Aesell'schasi.
Die Aufregung, die sich Zu Eude des füufzehuteu und zu
Anfang des sechszehuteu Jahrhunderts des deutschen Adels be-
mächtigte, machte sich auch im Wasgau bemerklich. Ueberall
wurden die Eingriffe der Fürsten in die Rechte des Adels un-
angenehm empfunden und der Adel suchte sich durch Bündnisse
dagegen zu schützen. Zn Schntz und Trutz verbunden, wollten
die Ritter ihre Ideen verwirklichen, unmittelbar nnter dem
Kaiser zu stehen und den Vergrößerungsgelüsten der Fürsten
dadurch einen festen Riegel in den Weg zu schieben. So edel
diese Ideen waren und so trefflich der Gedanke war, den Kaiser
von der Abhängigkeit den Fürsten gegenüber zu befreien, so ver-
folgten doch nicht alle so reine Pläne und Absichten wie Franz
von Sickingen, sondern diese Bündnisse dienten osr dazu, den
damaligen edlen Sport des Adels, den Straßenraub, zu befördern
und die Wegelagerer vor Galgen und Strang zu schützen.
Im Wasgau war der Centralpunkt für die Bündnisse des
Adels und zugleich der Ausgangspunkt der zahlreichen Raubereieu,
durch die Fürsten und Städte geschädigt wurden, wir erinnern
hier nur au den schwarzen Hertwig von Dürkheim, der Drachen-
fels. Ein rechtes Felsennest mitten im Wasgau, bot der
Dracheufels die beste Zuflucht den adligen Herren; und hier-
wurde der Plan gefaßt, die Gemeiner des Dracheufels und den
umwohnenden Adel zu einem festen Bündnis zu vereinigen.
Dieser Bund nun wurde die „Heiligen-Geist-Gesellschaft" ge-
nannt, und Freitag nach sxultkckionis eruei8 des Jahres 1463
wurde der Buudesbrief unterschrieben und zwar von folgenden
Herren: Friedrich, Graf von Zweibrücken, Herr zu Bitsch; Lud-
nichts. Was er als Bauer nötig hatte, das wußte er schon,
und im übrigen konnte ihm ja die Lisbeth unter die Arme
greifen. Doch der Haupthaken lag eben an dieser. Würde sie
auch einwilligen? Die jungen Mädchen haben in betreff des
Heiratens und in Bezug aut die au den künftigen C'hegesponsten
zu stellenden Anforderungen gar eigentümliche Ansichten. Bei
dem gänzlichen Mangel an äußeren und inneren Vorzügen war
es sehr unwahrscheinlich, daß sich Nachbar Kunz die Neigung der
Lisbeth werde erringen können. Wenn ihr aber die Möglichkeit
der künftigen trostlosen Lage der Ihren vorgestellt werden würde,
und daß nur sie dieselbe fern zu halten im Stande wäre, dann
würde fie doch vielleicht einwilligen. Sollte er sie dazu zwingen?
Nein, das durste er wohl nicht. Aber sie darauf aufmerksam
zu machen und auf das von ihrem Verhalten abhängige Heil-
mittel hinzuweisen, dazu hatte er das Recht, ja im Hinblick auf
seine übrigen Kinder geradezu die Pflicht.
Unter solcherlei Gedanken und Erwägungen wandelte Röhn
heimwärts.
III.
Als der Schulmeister seine Behausung betrat, fand er
Lisbeth am Fenster sitzend und fleißig arbeitend. Auf seine
Frage nach der Mutter erhielt er die Antwort, daß sie damit
beschäftigt sei, das Abendessen zu bereiten. Er hielt darauf, daß
früh Zu Abend gegessen wurde. Darauf nahm er aus feiner
„Bibliothek" Maurers „Narrenbeschwörung" und vertiefte sich
in dieselbe, da diese Lektüre am meisten seiner augenblicklichen
Stimmung Zu entsprechen schien. Es dauerte aber nicht mehr
lange, da wurde von der Schulmeisterin das Abendbrod herein-
gebracht. Dasselbe wurde unter den nämlichen begleitenden Um-
stünden eingenommen wie die Mittagssuppe. Während des
Essens teilte der Schulmeister seiner Familie in seiner gewöhn-
lichen mürrischen und unvollkommenen Weise mit, was er beim
Oberschnltheißen gehört hatte, stellte aber alles als ungefährlich
hin. Doch in den Herzen der beiden Frauen, der Mutter
und Tochter, stiegen bange Ahnungen vor einer bösen Znkunit
auf. Als man die Schüssel so geleert hatte, daß auch nicht so
viel darin geblieben war, um eiuen Fingerhut zur Hälfte da-
mit zu fülleu, setzte sich der Schulmeister iu seiuen Sorgenstuhl
— es war eiu alter Sessel, eiu Erbstück von seinem Großvater
her —, um uoch ein wenig zu meditieren, die Mutter begab sich
in die Küche, um das wenige Geschirr zu reinigen, die Kleinen
mußten zu Bette gehen, Lisbeth nahm wieder ihre Arbeit auf,
um die Tageshelle, so lauge sie noch andauerte, vollständig aus'
zuuutzeu. Der Schulmeister war noch nicht tief in seine Medi'
tationen hineingekommen, und die Lisbeth hatte noch keine
hundert Stiche an dem neuen Kleide der Frau Waisenschreiberin
gemacht, da wurden schwere, unbeholfene Schritte vernehmbar,
und bald darauf trat Nachbar Kunz ein.
Es war eine hohe, knochige, infolge der angestrengten
Arbeit aber etwas vorüber gebeugte Erscheinung, um welche die
Leiuwandkleiduug lose schlotterte. Das Gesicht war länglich
und mager, und wurde durch einen großen Mnnd und eine
lange, geradeaus stehende Nase nichts weniger als verschönt.
Die Stirn war schmal, nach rückwärts geneigt, und wurde durch
die wirr darüber hängenden Kopfhaare fast verdeckt. Zu beiden
Seiten der tiefliegenden Augen Zeigten sich bedenkliche Falten,
welche darauf hinwiesen, daß besagter Nachbar Kunz entweder
in das fünfte Jahrzehnt bereits eingetreteu, oder demselben doch
nicht mehr gar ferne sei. So hatte denn dieser Freier nichts
aufzuweiseu, was ihn zu einer annehmbaren „Partie" gemacht
hätte, als — den ziemlich ansehnlichen Besitz, über welchen er
zu verfügen hatte. Doch dieses fällt bei einem jungen, unver-
dorbenen Mädchen, welches allein seinem liebenden Herzen die
Entscheidung überläßt, gar wenig in die Wagschale.
„Guten Abend beisammen!" Mit diesem Gruße trat Kunz
eiu. Das Wort „beisammen" war allerdings wenig gerecht-
fertigt, denn einmal traf er ja keine große Gesellschaft, dann
schien der Gruß, wenigstens nach dem Blicke zu schließen, welchen
er dabei auf Lisbeth warf, mehr der emsigen Näherin am Fenster,
als dem Herrn Papa im Sorgenstuhl zu gelten. Der Gegeugruß
fiel aber nicht dementsprechend aus: Lisbeth, welche doch nach
jener Aufmerksamkeit dem Eiutreteudeu eine mindestens an-
nähernde Gegeuaufmerksamkeit Hütte erweisen sollen, nickte nur
eiu wenig mit dem Kopfe und ließ ein kaum vernehmliches
„Guten Abend" hören, der Schulmeister hingegen, welcher in
der angegebenen Weise verkürzt worden zu sein schien, zu einem
Gegeugruß also eigentlich gar nicht verpflichtet war, schmetterte
ihm eiu lautes „Guten Abend" entgegen.
„Hier nehmt Platz, Herr Nachbar!" Mit diesen Worten
schob ihm Röhn einen Stuhl hin und lud ihn damit eiu, sich
iu seine Nähe zu setzen. Aber auf diese freundliche Einladung
achtete der Nachbar gar nicht, sondern setzte sich auf die Ofen-
bank, wahrscheinlich weil er da etwas näher an Lisbeth war
und sie so besser mit seinen Liebesblickeu beschießen konnte.
(Fortsetzung folgt.)
Die Keitigerl-Heist-Aesell'schasi.
Die Aufregung, die sich Zu Eude des füufzehuteu und zu
Anfang des sechszehuteu Jahrhunderts des deutschen Adels be-
mächtigte, machte sich auch im Wasgau bemerklich. Ueberall
wurden die Eingriffe der Fürsten in die Rechte des Adels un-
angenehm empfunden und der Adel suchte sich durch Bündnisse
dagegen zu schützen. Zn Schntz und Trutz verbunden, wollten
die Ritter ihre Ideen verwirklichen, unmittelbar nnter dem
Kaiser zu stehen und den Vergrößerungsgelüsten der Fürsten
dadurch einen festen Riegel in den Weg zu schieben. So edel
diese Ideen waren und so trefflich der Gedanke war, den Kaiser
von der Abhängigkeit den Fürsten gegenüber zu befreien, so ver-
folgten doch nicht alle so reine Pläne und Absichten wie Franz
von Sickingen, sondern diese Bündnisse dienten osr dazu, den
damaligen edlen Sport des Adels, den Straßenraub, zu befördern
und die Wegelagerer vor Galgen und Strang zu schützen.
Im Wasgau war der Centralpunkt für die Bündnisse des
Adels und zugleich der Ausgangspunkt der zahlreichen Raubereieu,
durch die Fürsten und Städte geschädigt wurden, wir erinnern
hier nur au den schwarzen Hertwig von Dürkheim, der Drachen-
fels. Ein rechtes Felsennest mitten im Wasgau, bot der
Dracheufels die beste Zuflucht den adligen Herren; und hier-
wurde der Plan gefaßt, die Gemeiner des Dracheufels und den
umwohnenden Adel zu einem festen Bündnis zu vereinigen.
Dieser Bund nun wurde die „Heiligen-Geist-Gesellschaft" ge-
nannt, und Freitag nach sxultkckionis eruei8 des Jahres 1463
wurde der Buudesbrief unterschrieben und zwar von folgenden
Herren: Friedrich, Graf von Zweibrücken, Herr zu Bitsch; Lud-