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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 5.1888

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Nr. 6 (1. Juni 1888)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29790#0043
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ledigte ihren Kauf mit sichtlicher Hast, zahlte und eilte, gefolgt
von einer Dienerin, dem Ausgange zu. Noch war ich zu be-
täubt, um ihr zu folgen und festzustellen, wer sie war, und als
ich dann einige Minuten später den Bazar verließ, war natür-
lich von meiner Schönen weit und breit keine Spur. Ich suchte
sie tagelang, verzögerte meine Abreise, und hatte mich schon
ganz darein ergeben, ohne sie wiederzusehen, abreisen zu müssen,
als ich eines Abends die Holde zu entdecken glaubte, wie sie
unter dem Schutze derselben alten Dienerin einen Spaziergang
unternahm. Ich folgte ihr und hatte das Glück, einen Zudring-
lichen, der weniger zurückhaltend wie ich, ihrer Schönheit huldigte,
zur Rede zu stellen und dann zu Züchtigen."
„Daher Wohl die breite Narbe?" warf Franz ein.
„Ja. Ich kann mich von den Erlebnissen jenes Abends
nur erinnern, daß der Fremde, ein heißblütiger Mexikaner,
feine Hände nach dem Mädcheu ausstrcckte, das bei mir, der ich
rasch näher trat, Schutz vor dem Frechen suchte, dann empfand
ich einen heftigen Schmerz und fühlte daS heiße Blut mir über
die Wange rinnen. — Als ich erwachte, befand ich mich in
einem fremden, sehr eleganten Raum. Meine Wärterin ent-
deckte mir auf mein mehrfaches Befragen, daß das Mädchen,
welches sich unter meinen Schutz begeben, mich in ihrer Mutter
Haus bringen und dort verpflegen ließ. Wochenlang lag ich
bewußtlos im Wundsieber, aber von der entschwundenen Zeit
sind mir nur vage Erinnerungen geblieben, von denen die eine,
da eine leichte Gestalt, die mit weicher, ungemein sanfter Hand
meine Kiffen glättete, oder mit scheuer Ehrfurcht den Verband
berührte, sich hauptsächlich mir aufprägte, da ihre Nähe mir so
ungemein Wohl that. — Eines Abends, — ich war bereits im-
stande, einige Stunden des Tages außer Bett zuzubringen —
trat, scheu wie ein Reh, das Mädchen, dessen wunderbare Schön-
heit mich gefesselt, von der Wärterin begleitet, in mein Zimmer
und kam, meine Brieftasche in ihren Händen haltend, aus mich
zu. „Hier mein Herr, empfangen Sie Ihr Eigentum zurück,
das ich an mich genommen, damit es nicht in unberufene Hände
fallen sollte", sprach sie mit ihrer melodischen Stimme, indes
Purpurglut ihre Waugen unter meinem Blick höher färbte, und
sie sich hilflos nach der Alten umsah. „Bitte, überzeugen Sie
sich, daß diese Brieftasche noch in dem gleichen Zustande ist,
wie vor Ihrem Unfall. Sie haben nur das Leben, nein, mehr
noch, Sie haben meine Ehre gerettet, dennoch — merken Sie
genau auf meine Worte und bedenken Sie, daß nicht Undank,
nicht Verletzung des Gastrechts, sondern die dringende Gefahr,
in der Sie fchweben, mir dieselben in den Mund legt: „Kehren
Sie heute in Ihr Hotel zurück, Graf Scharfenstein, Sie sind
— im Hause meiner Mutter — Ihres Lebens nicht sicher!" —
Überrascht schaute ich empor uud nahm des Mädchens Hände
m die meinigen. „Edith" — ich hatte längst ihren Namen er-
fahren — „vertrauen Sie mir," bat ich. „Was foll mir ge-
schehen, wenn Sie und Ihre Blutter sür mich sind? Sind Sie
nicht auch Ausländer, so wie ich? Stehe ich nicht unter dem
Schutze Ihres Hauses?" — Das arme Mädchen litt so sichtlich
bei meinen Worten, ihr Antlitz verriet so viel Angst und Qual,
daß ich leise, hastig frug: „Kommt die Gesahr von Ihrer
Mutter, Edith? Gönnt sie mir nicht, Ihr Mitleid geweckt,
mein Blut sür Sie vergossen zu haben, obwohl ich zu jeder
Stunde sterben möchte, könnte ich Ihnen damit beweisen, daß
ich Sie — liebe!" Edith unterbrach mich mit einem ängstlichen
Blick: „Fliehen Sie, heute — jetzt, Graf Scharfenstein, man

will Rache an Ihnen nehmen für die That eines Andern. Sie
werden, Sie müssen vergessen, daß ich in Ihren Weg getreten
bin. Wenn Sie glauben, mir Dankbarkeit schuldig zu sein, so
müssen Sie meine Bitte erfüllen!" — „Ich werde Ihnen ge-
horchen, Edith; Sie aber müssen mir ein Wiedersehen in Aus-
sicht stellen," sagte ich, wobei sie traurig das Köpfchen schüttelte,
und den Finger auf den Mund legend, hastig durch die Thür
entschlüpfte. — „Das war das letzte Mal, daß ich Edith gesehen
und gesprochen habe," schloß der junge Gras seinen kurzen Bericht.
Franz Lenthal hatte ihm lautlos zugehört. Jetzt begriff
er, daß sein Freund, dessen warmes Herz zum ersten Male
Merklich geliebt und sich hingegeben, an der Sehnsucht nach der
unerreichbaren Fremden krankte, und dennoch schien diese Weiche
Stimmung dem ehemaligen, flotten Husarenofsizier so unähnlich,
daß er sich dem heimlichen Zweifel überließ, ob Erich auch
alles gesagt habe.
„Und das ist alles?" srug er deshalb nicht ohne Spott.
„Ist es nicht genug, um einen Mann zur Verzweiflung
zu bringen?" fuhr Scharfenstein auf. „Genügt es Dir nicht,
daß mit Edith all mein Lebensmut gegangen, daß ich sie wie-
derfinden muß, soll ich überhaupt einst glücklich werden?"
„Ist Dir bei diesem Pflegen Deiner Sehnsucht nie der
Gedanke gekommen, Du möchtest Dich an Dir und denen ver-
sündigen, die Dir nach ihrem Tode soweit ausgedehnte Besitz-
tümer hinterließen?" sagte der Förster ernst und eindringlich.
„Du bist der letzte Deines Stammes, Erich, und hast die Ver-
pflichtung, Deinen Namen fortzupflanzen, stillschweigend über-
nommen, als Du in Dein Schloß einzogst. Aber nicht so er-
füllst Tu die Pflichten, nicht durch unmännliches Hangen und
Bangen nach einen: Weib, das sich selbst Deinen Nachforschun-
gen entzog, nicht durch die Vernachlässigung Deiner Güter,
nicht durch stetes Jammern nach einem imaginären Glück, nicht
durch gewaltsame Aufrechterhaltung eines Schmerzes, der be-
greiflich ist, wenn die Liebe echt gewesen, der aber mit der Zeit
verblassen muß. Nur charakterschwache Menschen gehen an
solchem Schmerze zu Grunde, verlieren sich selbst dabei, Naturen
aber wie die Deinige richten sich auf nach solchem Schlage, wie
eine niedergetretene Blume: langsam, aber stetig erreicht sie ihre
volle Höhe, ihre vorherige, ungeschwüchte Kraft und Biegsam-
keit. Edith ist aus Deinem Gesichtskreis geschwunden, freiwillig,
weil sie mit dem jeder Frau eigenen Herzenstakt empfand, daß
zwischen ihr und dem Majoratsherrn, Grafen von Scharfenstein
eine unüberbrückbare Kluft liegt. Ihre Blutter trachtete Dir
nach dem Leben, das liegt außer allem Zweifel, und der Tochter
aus solchem Haufe zollst Du mehr denu einen wehmütigen Ge-
danken, Du bist bereit, ihr Deine Zukunft, Dein Leben, Deinen
Frohsinn zu opfern? Schau Dich um im deutschen Lande, Erich,
auf seinem fruchtbaren Erdreich wächst manch holdes Blümlein,
dessen zarter Dust Dich die fremdländische Blume vergessen
kaffen wird. Nimm das duftige, zarte und holde Kind der ein-
heimischen Erde an Deine Brust, hege und Pflege es und Du
wirst wahrhaft glücklich werden, Du wirst in seinem Besitze
alles vergessen, was Dich bewegte, Dich quälte."
Franz hatte sich warm gesprochen und war so stürmisch,
von seinen Gedanken getrieben, vorwärts geeilt, daß sie, ohne
es zu bemerken, den Berg bereits erstiegen hatten und nach
kurzer Wendung des sich zwischen dichten Tannen und Fichten
hinziehenden Weges, unerwartet vor den letzten Resten der ehe-
mals so stolzen Burg Hohenecken standen. Scharfenstein ant-
 
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