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wartete dem Freunde nickt mehr, Wohl aber drückte er ihm in
aufwallender Dankbarkeit die Hand, ihm dadurch bekundend/daß
er seine gute Absicht verstanden habe und seine Lehren sich zu
Herzen nehmen wollte. Dann traten beide Herren in die Ruine,
soweit sie menschlichem Fuß zugänglich. Scharfenstein besichtigte
sie flüchtig und wendete dann seine Aufmerksamkeit der herr-
lichen Aussicht zu. Seine Augen hingen an dem von den Bergen
eingeschlossenen Dors Hohenecken, dessen weißgetünchte Häuser
sich weit hinstreckten, gleichsam beschirmt von dem schmucken
Kirchlein, welches zu Fuß der Burg das ganze Dors überragte.
Währenddessen versuchte Lenthal in eine Höhle zu dringen,
die sich aus den Wölbungen der Keller und daneben ausge-
türmtem Mauerwerk in natürlicher Weise gebildet hatte. Es
schwebte ihm vor, als habe man ihn einst aufmerksam gemacht,
eine dort hausende Kartenschlägerin aufzusuchen, der man gegen
geringes Entgelt gestattete, bei den Fremden, sowie den Dorf-
bewohnern ihre Kunst zu üben. Lenthal faßte rasch den Ent-
schluß, die Fähigkeit der Alten, der man den phantastischen
Namen „Felsenkönigin" beigelegt, für sich und seinen Freund
in Anspruch zu nehmen. Ein Blick in die Höhle läßt ihn das
mattglimmende Feuer erkennen, an welchem zusammeugekaucrt
eine Gestalt saß und in mechanischer Weise die Karten durch
ihre Finger gleiten ließ.
Scharfenstein liebte zwar derartige Künste nicht, dennoch
fügte er sich dem Wunsche des Freundes, um diesen: die Freude
nicht zu verderben.
Sie traten durch den niedrigen Eingang in die Höhle,
wobei der Gras sich tief bücken mußte und blieben an der Thür
stehen, um ihre Augen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen
zu lassen. Nach und nach gelang es ihnen dann auch zu erkenuen,
daß ein schwerer, buntfarbiger Teppich die Höhle in zwei gleiche
Hälften teilte, wovon die vordere dem „Geschäfte," die Hintere
jedenfalls zum Aufenthalt und zürn Schlafen diente. Eine
Lampe, rosig verhüllt und jenseits des Teppichs angebracht, spendete
nur ein mattes Licht und hüllte sonst aber alles in magisches
Dunkel, dem die glimmenden Kohlen etwas gespenstisches verliehen.
„Wir sind gekommen, Deine Kunst für uns in Anspruch
zu nehmen, Felsenkönigin", sagte Lenthal in heiterem Tone.
„Ihr werdet mich bereit dazu finden", antwortete die
Kartenschlägerin, deren Gestalt nur in schwachen Umrissen er-
kennbar war, dgren Blick aber drohend auf dem Grasen ruhte
und schickte sich an, ihren Worten die That folgen zu lassen.
Sie legte die Karten ans, sah aus dieselben nieder so lange, als
wolle sie Zeit gewinnen zu überlegen und sagte dann halblaut,
jedes Wort betonend und mit eigentümlichem Aecent hervor-
stoßend :
„Du bist der letzte Deines Stammes, Gras Erich von
Scharfenstein, eines Stammes, der sich bis aus einen Zweig des
edlen Namens würdig erzeigte. — Weite Reisen schärften Deinen
Sinn, bereicherten Dein Wissen. — Dein Herz aber blieb unbe-
rührt von der Wunderblume „Liebe", bis Du den Fuß am
Bosporus niedersetzen und ausruhen ließest. — Dort ereilte Dich
Dein Schicksal in der Gestalt eines jungen Mädchens, für das
Du Dein Blut gelassen und das Dir dennoch entschwand."
„Weib — Weib, woher weißt Du dies alles?" schrie Erich
erregt, der nur mit Mühe sich bezwang, die Alte zu Ende reden
zu lassen.
„Aus den Karten!" gab sie hohl zurück. „Ich lese noch
mehr in den untrüglichen Zeichen: Du nimmst die Stelle ein,
die einem andern gebührt — Ich sehe ihn — wie er hoch zu
Roß das väterliche Schloß verläßt — seine blonden Locken wallen
— seine blauen Augen blitzten — Lebenslust sprüht aus jedem
seiner Züge, die denen der Scharfenstein so unähnlich. — Weiter
sehe^ich ihn in die Ferne ziehen — ein Mädchen tritt in seinen
Weg — schön wie die Abendröte — leichtfüßig wie die Gazelle
— aber ohne Rang — ohne Namen - eines Zigeunerstammes
junge Königin. — Er liebt sie — sie verläßt um ihn ihren
Stamm, ihre Würde — sie fliehen — werden Mann und Weib."
Die Alte schwieg und neigte den Kopf auf die Brust.
Erich und Franz verharrten ebenfalls im Schweigen, in atem-
loser Spannung das Weitere erwartend.
„Ein Mägdelein sehe ich erstehen", begann die Felsenkönigin
wieder in ihrem geisterhaften Tone, während sie unverwandt in
die glühenden Kohlen starrte, „des Paares einziges Kind — er
nimmt Frau und Kind mit aus das Schloß seines Vaters —
aber dieser Vater — Dein Großvater — haha! er wirft sie
mit einem Fußtritt hinaus. — Er hatte Dein Gesicht — Deine
Gestalt — war wie Du ein echter Scharfcnstein. — Sein Sohn
— mit einer Bettlerdirne vermählt? — Nimmermehr! —
„Gauklerkünste sind es, wie das Weib sie ja von Jugend aus
geübt", ruft er ihnen nach. — Sie gehen — der Mann mit
dem Tod im Herzen — die Frau voller Rachegelüste. — Nimm
Dich in Acht, Du bist auch ciu Scharsenstein, Du uimmst des
Mägdleins Stelle ein. — Einmal entgingst Du der Rache dort
am Bosporus — das zweite Mal wird sie Dich ereilen!"
„Wenn Dar so viel aus deinen Karten ersehen kannst, so
mußt Du auch wissen, was aus dem Mägdlein geworden", ries
Erich, der den Zusammenhang zu ahnen begann, laut und
drohend.
Tie Alte kicherte in sich hinein.
„Ich weiß es — ich weiß es, aber verraten werd' ich's
Dir nicht."
„Ich biete Dir die Hülste meines Vermögens, Felscn-
königin, wenn Du aus Deinen Karten ersehen kannst, wohin
das Kind gekommen."
„Was willst Du mit ihm? Bei Seite schassen?" srug sie
rauh und mißtrauisch.
„Es in seine Rechte einsetzen."
„Und Du?"
„Ich gehe weit ins Land und suche das Glück".
„Unnötige Mühe, denn es weilt in Deiner Nähe".
„Was sagst Du?"
Die Alte erhob sich, faßte Erich's Hand, die dieser unter
! dem Eindruck des eben Erlebten nicht zurückzuziehen wagte und
führte ihn an den Teppich, der die beiden Räume von einan-
der trennte. Hier stand sie still und sah ihm durchdringend in
das Antlitz, während Erich zum erfreu Male die Kartenschlügerin
in nächster Nähe sehend, sprachlos in deren wunderschöne, augen-
blicklich wehmütig überschatteten Züge schaute, die ihn ach! so
sehr an ein nie vergessenes holdes Mädchenantlitz erinnerten.
„Du meinst es ehrlich mit Deinen Vorsätzen?" srug sie
dringend und voll-er Angst.
„Ich schwöre Dir bei dem Gedanken an meine sanfte
Mutter!"
„Gut, so trete ein — dort ist das Glück, nachdem Du
verlangst" — sagte sie, „und das Ende meiner Rache, die in
der Liebe für mein Kind untergegangen", schloß sie in ihrem
Innern. Nur zögernd folgte Erich ihrer Weisung. Als aber
sein Auge auf ein Mädchen blickte, das auf einem mit Tiger-
fellen bedeckten Lager hingestreckt, sanft schlummerte, und in der
wartete dem Freunde nickt mehr, Wohl aber drückte er ihm in
aufwallender Dankbarkeit die Hand, ihm dadurch bekundend/daß
er seine gute Absicht verstanden habe und seine Lehren sich zu
Herzen nehmen wollte. Dann traten beide Herren in die Ruine,
soweit sie menschlichem Fuß zugänglich. Scharfenstein besichtigte
sie flüchtig und wendete dann seine Aufmerksamkeit der herr-
lichen Aussicht zu. Seine Augen hingen an dem von den Bergen
eingeschlossenen Dors Hohenecken, dessen weißgetünchte Häuser
sich weit hinstreckten, gleichsam beschirmt von dem schmucken
Kirchlein, welches zu Fuß der Burg das ganze Dors überragte.
Währenddessen versuchte Lenthal in eine Höhle zu dringen,
die sich aus den Wölbungen der Keller und daneben ausge-
türmtem Mauerwerk in natürlicher Weise gebildet hatte. Es
schwebte ihm vor, als habe man ihn einst aufmerksam gemacht,
eine dort hausende Kartenschlägerin aufzusuchen, der man gegen
geringes Entgelt gestattete, bei den Fremden, sowie den Dorf-
bewohnern ihre Kunst zu üben. Lenthal faßte rasch den Ent-
schluß, die Fähigkeit der Alten, der man den phantastischen
Namen „Felsenkönigin" beigelegt, für sich und seinen Freund
in Anspruch zu nehmen. Ein Blick in die Höhle läßt ihn das
mattglimmende Feuer erkennen, an welchem zusammeugekaucrt
eine Gestalt saß und in mechanischer Weise die Karten durch
ihre Finger gleiten ließ.
Scharfenstein liebte zwar derartige Künste nicht, dennoch
fügte er sich dem Wunsche des Freundes, um diesen: die Freude
nicht zu verderben.
Sie traten durch den niedrigen Eingang in die Höhle,
wobei der Gras sich tief bücken mußte und blieben an der Thür
stehen, um ihre Augen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen
zu lassen. Nach und nach gelang es ihnen dann auch zu erkenuen,
daß ein schwerer, buntfarbiger Teppich die Höhle in zwei gleiche
Hälften teilte, wovon die vordere dem „Geschäfte," die Hintere
jedenfalls zum Aufenthalt und zürn Schlafen diente. Eine
Lampe, rosig verhüllt und jenseits des Teppichs angebracht, spendete
nur ein mattes Licht und hüllte sonst aber alles in magisches
Dunkel, dem die glimmenden Kohlen etwas gespenstisches verliehen.
„Wir sind gekommen, Deine Kunst für uns in Anspruch
zu nehmen, Felsenkönigin", sagte Lenthal in heiterem Tone.
„Ihr werdet mich bereit dazu finden", antwortete die
Kartenschlägerin, deren Gestalt nur in schwachen Umrissen er-
kennbar war, dgren Blick aber drohend auf dem Grasen ruhte
und schickte sich an, ihren Worten die That folgen zu lassen.
Sie legte die Karten ans, sah aus dieselben nieder so lange, als
wolle sie Zeit gewinnen zu überlegen und sagte dann halblaut,
jedes Wort betonend und mit eigentümlichem Aecent hervor-
stoßend :
„Du bist der letzte Deines Stammes, Gras Erich von
Scharfenstein, eines Stammes, der sich bis aus einen Zweig des
edlen Namens würdig erzeigte. — Weite Reisen schärften Deinen
Sinn, bereicherten Dein Wissen. — Dein Herz aber blieb unbe-
rührt von der Wunderblume „Liebe", bis Du den Fuß am
Bosporus niedersetzen und ausruhen ließest. — Dort ereilte Dich
Dein Schicksal in der Gestalt eines jungen Mädchens, für das
Du Dein Blut gelassen und das Dir dennoch entschwand."
„Weib — Weib, woher weißt Du dies alles?" schrie Erich
erregt, der nur mit Mühe sich bezwang, die Alte zu Ende reden
zu lassen.
„Aus den Karten!" gab sie hohl zurück. „Ich lese noch
mehr in den untrüglichen Zeichen: Du nimmst die Stelle ein,
die einem andern gebührt — Ich sehe ihn — wie er hoch zu
Roß das väterliche Schloß verläßt — seine blonden Locken wallen
— seine blauen Augen blitzten — Lebenslust sprüht aus jedem
seiner Züge, die denen der Scharfenstein so unähnlich. — Weiter
sehe^ich ihn in die Ferne ziehen — ein Mädchen tritt in seinen
Weg — schön wie die Abendröte — leichtfüßig wie die Gazelle
— aber ohne Rang — ohne Namen - eines Zigeunerstammes
junge Königin. — Er liebt sie — sie verläßt um ihn ihren
Stamm, ihre Würde — sie fliehen — werden Mann und Weib."
Die Alte schwieg und neigte den Kopf auf die Brust.
Erich und Franz verharrten ebenfalls im Schweigen, in atem-
loser Spannung das Weitere erwartend.
„Ein Mägdelein sehe ich erstehen", begann die Felsenkönigin
wieder in ihrem geisterhaften Tone, während sie unverwandt in
die glühenden Kohlen starrte, „des Paares einziges Kind — er
nimmt Frau und Kind mit aus das Schloß seines Vaters —
aber dieser Vater — Dein Großvater — haha! er wirft sie
mit einem Fußtritt hinaus. — Er hatte Dein Gesicht — Deine
Gestalt — war wie Du ein echter Scharfcnstein. — Sein Sohn
— mit einer Bettlerdirne vermählt? — Nimmermehr! —
„Gauklerkünste sind es, wie das Weib sie ja von Jugend aus
geübt", ruft er ihnen nach. — Sie gehen — der Mann mit
dem Tod im Herzen — die Frau voller Rachegelüste. — Nimm
Dich in Acht, Du bist auch ciu Scharsenstein, Du uimmst des
Mägdleins Stelle ein. — Einmal entgingst Du der Rache dort
am Bosporus — das zweite Mal wird sie Dich ereilen!"
„Wenn Dar so viel aus deinen Karten ersehen kannst, so
mußt Du auch wissen, was aus dem Mägdlein geworden", ries
Erich, der den Zusammenhang zu ahnen begann, laut und
drohend.
Tie Alte kicherte in sich hinein.
„Ich weiß es — ich weiß es, aber verraten werd' ich's
Dir nicht."
„Ich biete Dir die Hülste meines Vermögens, Felscn-
königin, wenn Du aus Deinen Karten ersehen kannst, wohin
das Kind gekommen."
„Was willst Du mit ihm? Bei Seite schassen?" srug sie
rauh und mißtrauisch.
„Es in seine Rechte einsetzen."
„Und Du?"
„Ich gehe weit ins Land und suche das Glück".
„Unnötige Mühe, denn es weilt in Deiner Nähe".
„Was sagst Du?"
Die Alte erhob sich, faßte Erich's Hand, die dieser unter
! dem Eindruck des eben Erlebten nicht zurückzuziehen wagte und
führte ihn an den Teppich, der die beiden Räume von einan-
der trennte. Hier stand sie still und sah ihm durchdringend in
das Antlitz, während Erich zum erfreu Male die Kartenschlügerin
in nächster Nähe sehend, sprachlos in deren wunderschöne, augen-
blicklich wehmütig überschatteten Züge schaute, die ihn ach! so
sehr an ein nie vergessenes holdes Mädchenantlitz erinnerten.
„Du meinst es ehrlich mit Deinen Vorsätzen?" srug sie
dringend und voll-er Angst.
„Ich schwöre Dir bei dem Gedanken an meine sanfte
Mutter!"
„Gut, so trete ein — dort ist das Glück, nachdem Du
verlangst" — sagte sie, „und das Ende meiner Rache, die in
der Liebe für mein Kind untergegangen", schloß sie in ihrem
Innern. Nur zögernd folgte Erich ihrer Weisung. Als aber
sein Auge auf ein Mädchen blickte, das auf einem mit Tiger-
fellen bedeckten Lager hingestreckt, sanft schlummerte, und in der