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Monatsblätter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
V. Jahrgang, 4. Heft, Januar 1913
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des Jahrgangs inkl. Frankozustellung M3 —

GESCHMACKLOSIGKEITEN IN
KIRCHLICHER KUNST

Von Dr. Ilans Schmidkunz, Berlin-IIalensee
(Schluss)
Körperliches also nie flächenhaft, Flächen-
haftes nie körperlich! Gegen letzteres ver-
stossen auch Gitter, die man in der Barockzeit
häufig perspektivisch wirkend gemacht hat,
und die trotz ihres reizvollen Aussehens doch
den Mangel an Dimensional-Unterscheidung
merken lassen. Perspektivische Verjüngung
verlangt allerdings Achtsamkeit. „Ein grosses
Gitter, ein grosses Kirchenfenster oder einen
grossen Stoffbehang, die man schon auf weite
Entfernung sieht, wird man nicht aus klein-
lichen Motiven zusammenstellen, um die Fern-
wirkung nicht zu vernichten.“
Das Streben nach Originalität hat auch schon
in manchem auf Abwege geführt, so z. B.
wurden Kanzeln und Taufsteine in Gestalt von
Walfischen gebaut, oder in der eines Schiffes.
Die „Puppenspielereien“ sind bei Madonnen-
figuren häufig. Mittelalterliche oder Renais-
sancestatuetten, mitunter sogar nicht ohne
Kunstwert, erhielten übermässige Barockkronen
und den Faltenwurf des Gewandes verdeckt
ein kegelförmiges Mäntelchen aus Seide und
Samt mit Goldstickerei: eine echte Eigenheit
des prunkliebenden Barock!
Schlimmer sind Kleinlichkeiten in Technik
und Material, wie das Kopieren von Gemälden

in Straminstickerei oder in Nadelmalerei. Glas-
perlen-Grabkränze sind bei der ärmeren Be-
völkerung als dauerhaft so beliebt, dass es
dafür ausgedehnte Hausindustrien gibt. Die Spar-
samkeit führte wohl auch zu unglücklichem
Sparen, wie z. B. dem eisernen Opferstock,
der zugleich Kerzenhalter ist.
Manche Stoffe, die unser Autor mit Recht
als minderwertig erwähnt, brachten unter künst-
lerischen Händen trotzdem eine gute Wirkung
hervor. So die Kolibrifedern, deren Mosaik auf
einer Mitra den Stammbaum Christi darstellt,
oder die Strohhalmstickerei eines Messgewan-
des. Weniger bewährt sich eine aus Ton gefer-
tigte und polychromierte Renaissance-Kanzel,
und am wenigsten wohl die Dekoration eines
kirchlichen Innenraumes aus Menschenknochen.
Naivitäten hingegen sind wohl nicht das
schlimmste, wie z. B. spätgotische Epiphanias-
bilder, die unter den Gaben der drei Könige
auch ein respektables Trinkhorn zeigen. Die
Angleichung kirchlicher Motive an die eigene
Kultur ist eine immerhin sympathische Er-
scheinung und mag uns milde stimmen so-
wohl gegen ein solches Trinkhorn wie auch
gegen jene Puppenmadonnen, wie auch erst
recht gegen die Grönländer, die aus dem Lamm
Gottes einen jungen Seehund machen.
Gefährlicher ist es, wenn der mit Recht viel-
gerühmte Humor der Teufelsfratzen und Tiere
in der kirchlichen Ausstattungsplastik dahin
übergreift, dass direkte, wenn auch vielleicht
 
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