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Monafsbläfter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
V. Jahrgang, 9. Heft, Juni 1913
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des Jahrgangs inkl. Frankozustellung M3.—

VON KÖLN ÜBER AACHEN
NACH TRIER

Von A. Blum-Erhard
Nach Jahrzehnten betrat ich das „billige“
Köln zum andernmale. Damals hatte
blühender Mai die prächtigen Ringstrassen, die
Flora und die Rheinufer umflattert. Jetzt suchte
Herbstsonne über den nahen Verfall des Laub-
werks hinwegzutäuschen. Vom D-Zug aus
kostete ich rheinabwärts die lieblichsten Spiege-
lungen bis zum Sonnenuntergang. Nacht war
es, als ich von Deutz über den Fluss fuhr.
Die grosse Brücke, neuerdings dem mächtigen
Verkehr entsprechend verbreitert und ausge-
baut, fügt sich in ihrem mittelalterlichen Cha-
rakter aufs schönste dem Gesamtbild der
Stadt ein; besonders die dunstigen Morgen-
stunden stimmen ihre Türme, Basteien und
Rampen auf jenen feinen grauen Ton, der dem
des Domes und der nah gelegenen Kunibert-
Kirche verschwistert ist. Doch sah ich von
alledem am Abend meiner Ankunft noch nichts.
Der Mond fehlte an der unendlichen Wölbung
des lichtlosen Nachthimmels und keine der
grellen Beleuchtungssensationen an der Trank-
gasse, die das echte „Kölsch“ und den Pilsener
Urquell anpreisen, keine vermochte über die
Untergeschosse des Riesendomes hinaufzu-
hellen. Die Nacht verschlang den Dachstuhl
von Chor und Langschiff und schnitt die ge-
waltigen Türme bei den ersten Stockwerken

ab. Was ich in der ersten Stunde meines Dort-
seins wiedersah, war ein ungeheurer Torso
einer unbekannten Grösse. Sie liess sich, wäh-
rend ich sie langsam umkreiste, nur von ferne
ahnen.
Der Morgen enthüllte sie. Irgendwo, zu den
Füssen des Kolosses verlor ich mich auf den
umgebenden Strassen und Plätzen.-
Er hat doch eine unglaubliche Höhe. Man
denkt ihn sich gross, hoch, mächtig und ist
doch stets von neuem von seiner Majestät ver-
blüfft. Nicht dass man ihn dadurch lieber ge-
wänne als die lieben, alten, minder umfang-
reichen romanischen Kirchen Kölns. Nein,
Majestäten flössen mehr Ehrfurcht als Zuneigung
ein. Überlebensgrosses bestürzt mehr als es
entzückt. Aber dass sein Ausbau ein Gebot
der Notwendigkeit werden musste, als Sinn
und Verständnis für die Gotik neu erwachten,
begreift man beim Betrachten der Abbildungen
des unvollendeten Domes. Das neunzehnte
Jahrhundert hat den Ruhm, dass es ihn, getreu
den alten Plänen, vollendete. Doch liegt in
der vollkommenen Regelmässigkeit etwas Er-
müdendes und Starres. Immer wieder flüchtet
beim Beschauen das Auge wie zu frischen
Quellen zu des Bauwerks köstlichen Einzel-
schönheiten : zu der Kühnheit der Strebebogen
und -Pfeiler, zum Filigranschmuck der Wim-
berge und Kreuzblumen. Denn jedes Stück ist ein
Kunstwerk für sich, jedes Portal eines Studiums
wert. Man tritt ein und die Kritik verstummt
 
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