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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Ammann, K.: Bildnis und Zeitcharakter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0152

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ildnis und Zeitcharakter.

Die Betrachtung von Kunstwcrken aus ver-
schiedenen Epochen fübrt unwitlkürlich zunr
Vergleich und diescr zu eiirer gewissen Auswabl. Denn
scbon nrit dein stillscbweigendcn Enrpfinden, daß uns
dieö oder jenes Werk nrebr anspreche als irgend ein
beliebigeö anderes, bat unser Geschnrack ein Urteil ge-
sprochen, freilich ein Urteis das individuell gefärbt ist,
mögen wir nocb so sebr gencigt sein zu glauben, es
nrüßte auch vor eincnr objektiven Richter bestcben
können. In denr Ge-
scbnrack an Kunst-
werken spricht sich
nänrlich unser ganzes
Wesen, so konrpliziert
es auch ijst alö eine
gescblossene Einbeit
auö und zwar so
sicher, aber eben auch
so rein persönlicb, wie
etwa unsere Nase,
iveirn rvir Blunren
nach der besonderen
Vorliebe für einen
bestinrnrten Gerrrcb
auswäblen. Nacb
dieser Seite bin wird
weder der Laic noch
der Kunstkenner je
völlig objektiv wcrden.

Man kann freilich sa-
gen, daß eine gewisse
Dbjektivität erreichbar
isst aber doch nur in-
soweit, als wir in
unsernr Urteil über
Gut oder Mindcrgut
eines Kunstwerks die
Größe und Freibeit
der Aufsassung, die
Krast deö Gebalts und
die Beberrscbung der
diesen beiden ange-
rrressenen Technik als
Nornr aufstellen mö-
gen. An diesenr Maß-
stab nänrlich wird
beute die Kunst inr
allgemcinen abgelesen
und er scheint stichbaltig zu sein; wenigstens ist er eö sür
die Werke der unö bckannten Kunstepocben gewesen. Für
unsern Geschinack spricht jedocb noch ein andereö Monrent
nrist daö allerdingö nrit der objektiv-kritischen Würdigung
weniger zu tun bat und sich nicht nur aus daö ein-
zelne Kunstwerk erstreckst sondern alle einer ganzen
Zeit gleichnräßig unrsaßt; eö ist dieö sozusagen die
geistige Lust, in der sie geschaffen wurden; in der sie
geatmet und gelebt haben; in der sie auch als in einer
ibnen immersort zugebörigen Atmospbäre weiterleben
und die unö als das ibnen durchaus Besondere erscbeint,

wäbrend sie ibnen allen doch zugleich für eine bestimmte
Epocbe cin Genreinsanres gegeben bat: den klaren und
unverwischbaren Ausdruck ibres Zeitcbarakterö. Denn
von diesem sind, wennscbon in vcrscbicdenenr Grade, alle
Künstler abbängig, urrd so nruß er denn auch in jedenr
ibrcr Werke mcbr odcr nrindcr deutlicb sichtbar werden.
Am klarsten nnd zugleich aucb ain leichtesten erkcnn-
bar ist er abcr auf jenenr Gcbiet, wo der Mensch selber
alö Gegenstand dcs KunstwerkS und zugleich alö daö
einzige Modell biersür benutzt wird: inr Porträt. Und
bier weisen unö denn die verschiedenen Epocben einiges

Intercssante ans und
es nrag sicb wobl ver-
lohnen, nacb kurzenr
Verweilen beinr Bild-
nis ciniger vergarrge-
ner Zeiten einen ein-
gebenderen Blick auch
aus daö der gegen-
wärtigen zu werscn.

Die älteren Deut-
scben, berauf von van
Enck — um diesen aucb
bierber zu recbnen! —
bis zu Holbein, Cra-
»acb und Dürer, be-
zeicbnen eine durch
rbre Iabrbundcrte sich
annäbernd gleichblei-
bende Zeit. Bei ibnen
erscbeint der Menscb

— und zivar durcb
alle Stände bindurch

— inr Bildnis über-
wiegcnd inr Cbarakter
eineö scblichten Bür-
gers von bandwcrk-
lich-rubigcm und stcti-
genr sowie baushälte-
rischenr Erwerbögeist,
kaum anderö denkbar
dcnn alö ein errrster
und sorgender Fa-
nrilienvater, der sich
ein Besondereö zu
leisten glaubt, wenn
er seincn Kindern ein
Ebenbild seiner selbst
sertigen läßt und der
nun auch daraus be-

dacht ist, ibnerr danrit cin Gedenkstück, ein ansprechendeö
und zusprechendes Erinnerungöobjekt zu geben, woran sie
sich sür alle Zciten ein Vorbild stiller, einfacher und enrsiger,
strenger Tücbtigkeit nehnren mögen. Denn nran recb-
nete — als gläubiger Mcnsch — danrals noch nrit langen
Zeiten und glaubtc sür die Nacbkonrnren in irgend einer
Weise etbisch oder religiöö fortwirken zu nrüssen. Da
die Dffentlicbkeit des Wirkenö danralö noch kaunr alö
ein besondereö Verdienst, ja schon eher alö cine bloße
Mannespflicht erscheint wie die Tärigkeit in und für
die engere Fanrilie aucb, so bleiben Haltung und

Nichard Seel: Oberbürgermeister Brüning (aus der Erinnernng gemalt).

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