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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Goethe und Sulpiz Boifferée
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0200

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Goethe und Sulpiz Boisseroe.

Manne einmal ganz ernftlich nur um die Sache und
nicht um die eigene Person zu tun sei.

Wirklich brachte der Jüngling, wie Goethe ihn
nennt, den Iweiundsechziger zu allem, wozu er ihn
haben wollte. Man höre: „Ebenso bereitwillig zeigte
er sich, als ich nach Tisch von meiner eigenen Unter-
nehmung sprach und ihm den lzweideutigen Ruf
ins Gedächtnis rief, worin er sich durch Unter-
drückung seiner Rede über den Straßburger Münster
gesetzt habe. Es ftehe ihm so gut an, daß er in seinem
Alter sür alleö von Bedeutung, sei es auch seiner
bisherigen Ansicht sremd, doch immer jugendlich
empfindlich geblieben, und es habe ohne Unterschied
aller Welt Freude gemacht, als das noch zuletzt so
schön bei den Dürerschen Randzeichnungen offenbar
geworden. Das gefiel ihm, wir kamen in ein längeres
Gespräch darüber und er versprach alles. Einige Tage
vorher hatte er mir schon einmal gesagt, bei den
Dürerschen Randzeichnungen habe er so recht erfahren,
daß es gut sei, wenn man alt würde, hätte er doch
sonft den Dürer gar nicht eigentlich kennen gelernt!
Die Anwendung aus die Baukunft sprach er nicht aus,
aber er hat mir in jedem Stück nur zu sehr gezeigt,
wie es ihm auch hier wieder lieb war, daß er alt
geworden, weil er sonst das altdeutsche Bauwesen nie
recht kennen gelernt haben würde."

So an Bertram. Jn sein Tagebuch schrieb Sulpiz:
,/Jch sühlte die uns im Leben so selten beschiedene
Freude, einen der ersten Geister von einem Jrrtum
zurückkehren zu sehen, wodurch er an sich selbft untreu
geworden war; es konnte keinen wohltätigeren wahren
Beifall sür mich geben. Ich sagte ihm, wie ich es
erkenne, wie hoch ich den Beisall schätze von ihm, der
diese Kunft gewiffermaßen ein sür allemal abgesertigt
gehabt, wie sehr mich eine so ernste wahrhafte Erkennt-
nis meines Strebens in der Sache entschädige sür den
oft schmerzhaften, nie aber das Herz erfreuenden, leider
unentbehrlichen Beifall der großen Welt, besonders der
Fürsten, die gewöhnlich jedem Hanswurst und Schau-
spieler denselben schenken."*

„Jch sprach, wie eben meine Stimmung mir es
eingab, ich weiß nicht, wie ich die Worte setzte, sie
mußten meine Bewegung kundgeben, denn der Alte
wurde ganz gerührt davon, drückte mir die Hand und
fiel mir um den Hals, daö Wasser stand ihm in den
Augen."

Trotz diesen Ergüffen verhält sich Bertram, der doch
zuerst das gläubigste Vertrauen aus Goethe ausgesprochen,
einstweilen noch recht skeptisch. Er möchte nach dem
allen eine Tat ... der Worte sind genug gewechselt.
„Wenn Du nur", antwortet er, „Schwarz auf Weiß
Dir herausreden kannst (aus Goethe), erst dann will ich
Dich nach allen Kräften rühmen und preisen."

Jnteressant ist der ganze Bries des mcrkwürdigen
Mannes, der sraglos das Ieug zu einem hochbedeutenden

* Auf sein großes Domwerk, das er mit ungeheuern Opfern
an Arbeit und Geld zustande gebracht — ein Werk, auf das ganz
allein der spätere Ausbau des Domes zurückzuführen ist — hat
der franz'ösische Schriftsteller Chateaubriand sechsfach subskribiert;
König Friedrich Wilhelm HI. ließ sich ein Exemplar schenken,
ein zweites geruhte er allergnädigst bestellen zu laffen.

Schriftsteller in sich hatte und doch — aus eigener Faul-
heit, wie Friedrich Schlegel meint — in der Dunkelheit
geblieben ift.

Ob Schlegel das Richtige getroffen hat? Wir
wissen nur, daß er selber saul war und es mit der Ieit
immer mehr wurde. Jch möchte eher vermuten, daß
die tiesgehende und doch spezifisch katholische Frömmig-
keit und Religiosität dem Manne ein Hindernis war,
obwohl man damals, wie Sulpiz Boisseröe an hundert
Stellen beweist, alö bekennender katholischer Schriftsteller
mit einer Freiheit reden durste, nach der man heute
bei Leuten derselben Richtung vergeblich suchen würde. Eö
war aber jedenfalls in Bertram eine religiöse Delikatesse,
die der parteipolitischen vergröberten Konsessionalität
unserer Tage eben auch längst sremd geworden ist.

Eine Stelle in Bertrams Bries entwirft ein so ties
innerliches Bild von dem Leben und Streben der Freunde
in Köln, daß ich mir nicht versagen kann, sie hierher-
zusetzen: „Wenn unö einmal etwaö in der Welt gelingen
sollte, liebes Kind — Bertram spricht zu Sulpiz — ohne
Mühe und Anftrengungen, in Lust und Freude haben
wir es nicht errungen; unter drückenden bürgerlichen
und häuslichen Verhältniffen, in Widerstreit gegen lang-
jähriges Vorurteil, gegen Apathie und Unempsänglichkeit
gegen das Höhere, von Leiden und Trübsalen aller Art
bedrängt, haben wir unsern Weg im stillen sortgesetzt,
ohne Ausmunterung und Unterstützung, als die des innern
beffern Bewußtseins und des treuen beharrlichen Sinnes,
der durch den Nebel der Ieiten wohl getrübt, aber
nicht erstickt und vernichtet werden kann. Wie denk
ich mit fteudiger Erhebung zurück an die erften Ieiten
unserer Bekanntschaft . . . usw.", „an jene einsamen
Spaziergänge auf St. Severins- und St. Gereons-Wall,
wo ehrfurchtgebietend in den Resten alter Herrlichkeit
die Vaterstadt so ftill und schweigend vor uns lag, in
deren öden Mauern ein in langjähriger Erschlaffung ent-
artetes und nun durch den Druck der Ieiten vollends
niedergebeugtes Geschlecht unö auch nicht ein Wesen
darbot, das an dem Iweck unsereö Strebenö mit Liebe
teilgenommen hätte."

Bertrams Iweifel an Goethe haben sich als unbe-
rechtigt erwiesen. Das „Schwarz aus Weiß", das Sulpiz
herauöreden sollte, blieb nicht aus; es erfolgte, im Iahr
1815, der ziemlich umsangreiche Auffatz: „Kunftschätze
am Rhein, Main und Neckar", womit Geethe der mit
der Romantik eng zusammenhängenden historisch-patrio-
tischen Empfindung der Ieit sreimütig seine Huldigung
entgegenbrachte und den persönlichen Trägern dieser
Tendenzen in den verschiedenen Städten der Rheinlande
das schönfte dauernde Denkmal setzte.

Die Glanzpunkte der Schrift bilden das Kapitel über
Köln, von dem man wirklich mit Sulpiz Boisseroe sagen
kann, daß es einen anmute, wie ein Kapitel auö ,Mch-
tung und Wahrheit", und dann der Abschnitt ,^Heidel-
berg", wo eigentlich, um einen Goetheschen Ausdruck
zu gebrauchen, der Spielmann begraben liegt, nämlich
die Besprechung der Boisseroe-Gemäldesammlung, eigent-
lich Goethes Iurecht- und Auseinandersetzung mit der
altdeutschen Malerei.

Als die Schrift in Sicht war, schrieb Friedrich
Schlegel: „Daß Goethe über Euere Bilder schreibt.. .

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