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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Goethe und Sulpiz Boifferée
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0201

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Goethe und Sulpiz Boisseräe.

usw." — „und noch heilsamer kann es werden, wenn er
bei dieser Gelegenheit, wie ich höre, daß er es im Sinn
hat, den Preußen etwas den Sinn öffnet, über den
hohen Wert und den altdeutschen Charakter der Rhein-
lande überhaupt. .

Merkwürdige Ausdrucksweise von einem, der so gern
um jeden Preis eine diplomatisch-politische Rolle ge-
spielt hätte. „Hoher Wert und altdeutscher Charakter".
Werte gibt es allerlei. Einer heißt z. B. Steuerkraft
und hat mit altdeutschem Charakter kaum etwas zu tun.
Es kann aber jemandem an dem einen sehr viel und
an dem andern verflucht wenig liegen!

Schlegel fährt fort: „Und selbst für die bildende
Kunst, wenngleich ich ihm verhältnismäßig sür diese
nicht sehr viel zutraue, wird sein Reden darüber nicht
ohne Nutzen bleiben, weil er doch von alters so an-
regender Art ist. . ."

Sehr gnädig, dieser Schlegel gegen Goethe, nicht wahr?

Als er dann in Goethes Schrift sich nicht genannt
fand, fühlte er sich in seiner Eitelkeit schwer verletzt,
und seine Frau äußert sich in einem Briefe an Sulpiz
(vom 21. Juli 1816) recht gehässig, muß aber doch
zuletzt „gestehen, daß Goethes seine Ärt (allerliebst weib-
lich-naiver Stil) doch ein gewaltiges Licht und einen
Aufschluß über seine ganze Ansicht von der Malerei der
Deutschen gibt; jetzt wird einem alles klar und zu-
sammenhängend".

Die bedeutende Frau konnte sich trotz ihrer Gereizt-
heit also doch nicht gegen die Macht des Goetheschen
Geistes verschließen.

Das ganze Büchlein war so recht eine Gelegenheits-
schrift und sür den Tag und sein Bedürfnis geschrieben,
man dars sich darum nicht wundern, wenn es heut von
Wenigen gelesen wird. Gleich das Kapitel über die
Boisseroesche Sammlung, vielleicht die schönste Perle
Goethescher Kunstäußerung, findet nicht gerade jeder
heraus, es mag deshalb ebenfalls wenig gekannt sein,
und das ist schade. Keiner, der sich mit Kunstfragen
beschäftigt, dürfte daran vorübergehen. Es ist, abgesehen
von einem ganzen Nest tieser Gedanken, ein Muster
kunstgeschichtlicher Betrachtung, wie es zuvor keins ge-
geben hat.

* *

*

Diese köstlichen zwanzig und einige Seiten wären
ohne Sulpiz Boifferse nicht geschrieben worden.

Aber auch noch anderes in bezug aus Goethe ver-
danken wir ihm. Er hat mit dem großen Manne
nicht nur auf seinen nächsten Aweck hin verkehrt,
sondern war sich der Bedeutung dieseö Verkehrs sür
seine allgemeine eigene Kultur in hohem Grade bewußt;
er schreibt an seinen Bruder Melchior (15. Mai 1811)
„ . . . . es geht mit ihm, wie nu't allen eigentümlichen
Menschen: so viel man auch von ihnen weiß und hört,
sieht man doch immer noch viel Neues, wenn man mit
ihnen selbst zusammenkommt, und deshalb allein ist
mir diese Bekanntschaft über alle Maßen schätzbar. Sie
giebt mir einen Beitrag zur Kenntnis der menschlichen
Natur und des Lebens überhaupt, den ein Dutzend
Bücher und Geschichten großer Männer nicht so ver-
schaffen können . . ."

In diesem Bewußtsein hat Sulpiz noch außer
seinen Briesen Auszeichnungen über Gespräche und Er-
lebnisse mit Goethe gemacht, die, so knapp und sum-
marisch sie im Ganzen gehalten sind, an einzelnen
Stellen zum Wertvollften und Jntimsten gehören, was
unsere Literatur dieser Art besitzt.

Sulpiz Boisserse war gleichweit entfernt von jener
absoluten Hingebung, die — siehe Eckermann — bis zur
Aushebung und Ausschaltung des eigenen Selbst geht,
wie von jenem ehrsurchtlos - kritischen Verhalten, das
seine «Ltärke allein im Negativen hat; er hielt sich in
der glücklichften Mitte zwischen beiden Extremen. Als
Goethe einmal, vielleicht etwas übertrieben, von seiner
Zusammenkunft mit Napoleon sprach, konnte sich Sulpiz
nicht enthalten, den Verdacht der Oftentation auszu-
sprechen und daran zu erinnern, wie Napoleon den
„armen Müller betört". Goethe verwars die Osten-
tation mit Müller, das sei ein andereö Verhältnis ge-
wesen, „weil er eben der arme Müller war". Ein
gutes Wort. Und Sulpiz mochte sich wohl hüten, vor
Goethe „der arme Müller" zu sein.

So mag folgende kritische Nußerung des Achtund-
zwanzigjährigen der Wahrheit ziemlich nahe konunen,
obwohl sie nur als Vermutung ausgesprochen wird.
Sulpiz meint, im Iusammenhang der oben angesührten
Stelle, daß jedenfalls Goethes eigene Lebensbeschreibung
den persönlichen Verkehr mit ihm in keiner Weise er-
setzen könne. „Er ist gerade jetzt", sährt Boisseroe fort,
„mit dieser Arbeit beschäftigt und hat schon einige Stücke,
ich glaube den Ansang davon, bei Hos vorgelesen; es
muß aus jeden Fall ein höchst künstlicheö und merk-
würdiges Buch werden; er hat da von einer Menge
Menschen und Dingen zu reden, wovon er durchaus
nicht alles mit klaren baren Worten sagen darf, das
wird dann allerlei wunderbare Tänze zwischen dem
verständigen Hosmann und dem tollen deutschen Burschen
hervorbringen, der besonders bei solchen Erinnerungen
alter Zeiten immer noch wieder auswacht."

Besonders die letzte Bemerkung ist intereffant genug,
um so mehr als sie doch auf direkter Erfahrung zu
beruhen scheint.

An einer andern Stelle werden Goethes Geständnisse
angeführt, wie er an Werken einer gehaßten Richtung
seine Wut ausgelassen „mit Ierschlagen der Bilder an
der Tischecke, Ierschießen der Bücher usw., er habe sich
da nicht erwehren können, mit einem Ingrimm zu
rufen: das soll nicht aufkommen, und so habe er
irgend eine Handlung daran üben müssen, um seinen
Mut zu kühlen".

Das mag sich nun freilich auf eine frühere Ieit
beziehen!

Ein anderes Bild von Goethe, neben das sich zu-
gleich das seines Herzogs stellt, ift von nicht übler
Kontrastwirkung: „Der Herzog gebärdete sich etwas
stallmeistermäßig, wie er auch aussah . . . sragte viel,
aber abgeriffen durcheinander . . . Man sieht in seinem
Wesen gleich die wohlbekannte preußische Militär-
Genialität, mit allerlei europäischem Bildungswerk
verbrämt; er äußerte in seiner unwiffenden Weisheit,
es sei doch jammerschade, daß der Dom den Petrus
von Rubens verloren, denn das sei so ganz und gar

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