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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Goethe und Sulpiz Boifferée
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0202

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Goethe und Sulpiz Boifferse.

dem Geift dieses großen Gebäudes angemessen, und
dasür beftimmt gewesen! Jch sah den alten Herrn
(Goethe) an, der fteinern, wie ein Medusenbild da-
neben ftand, und ließ die durchlauchtigfte Weisheit aus
sich beruhen."

Goethe selber schildert Weimar so: ,^)a ift es zu
nüchtern sür Euch; das Theater kein Ersatz sür das
schaureiche, manchfaltig bewegte Leben, welches Jhr von
Köln her gewohnt seid ... Jn Köln . . . im Dom. . .
da sei doch ein Leben; sie in Weimar müßten sich be-
helfen mit der Gelehrsamkeit, ftoppelten den Tempel
von Ephesus mit aller Mühe auf dem Papier zusammen
und den Wagen des Alexander, und am Ende sei es
doch nur sür wenig Einzelne."

Damit rät er Boisseroe ab, nach Weimar zu ziehen;
er hat bekanntlich auch Schiller immer davon abgeraten.

Einige Situationen von hohem allgemeinem Interesse
sind allein von Boisseroe aufgezeichnet worden und wären
ohne ihn der Welt verloren gegangen.

So der Besuch Goethes in Karlsruhe bei Iung-
Stilling. „Werden von der Frau nicht erkannt und von
ihm kalt aufgenommen . . . Goethe, der so herzlich und
jugendlich wie möglich, war tief gekränkt durch diesen
Empfang; am meisten aber durch die Außerung Jungs:
Ei, die Vorsehung führt uns schon wieder zusammen."

Man möchte dazu die Bemerkung machen, daß dem
tieferen und bedeutenderen Menschen alles naturgemäß
mehr Tiefe und Bedeutung hat, also auch die Freund-
schaft, und die andere: daß eben doch der Dichter
allein begnadet scheint, seine Iugend in gewiffem Sinne
ins Alter hinüber zu retten.

Auch über den Verkehr Goethes im Hause Willemer
und der berühmten Gerbermühle zur Zeit der Entstehung
des Weft-öftlichen Divans (1815) wird es wenig geben,
was den Aufzeichnungen Boifferoes an Farbentreue und
Intimität gleichkommt. Der Ton in dem interessanten,
faft möchte man sagen pikanten Hause, die ganze
poetisch-urbane Geselligkeit tritt uns in den Tage-
büchern sein und nuanciert vor Auge und Ohr. Ein
höchst bedeutsames Urteil Goethes über Willemer ist
notiert.

Alle hierher gehörigen Stellen anzuführen, brauchte
zu viel Raum, nur eine kleine sozusagen Moment-
photographie Goethes von Sulpiz: „Aus dem Heimweg
begegnete mir Goethe, in der Fahrftraße, maulaffend . . .
Wir wandern durch die Messe am Main; alle Land-
schaften werden bedacht, die ihre Produkte und Waren
hierher senden. Freude, daß die Welt, das Leben sür
Bedürfnisse sich immer gleich bleiben. Ein Trost für
die Seelenwanderer. Wir kommen endlich zum Krahnen.
Goethe sragt nach allen Kiften und Fässern, was
darin sei . . ."

Goethes Aussprüche über die Kunst wurden, so-
weit sie die Gotik betrasen, bereits angeführt; sie sind
aber noch weit intereffanter, soweit sie die Gotik nicht
betrasen.

Davon nur einiges Wenige, was entweder heute
besonders Jnteresse erregen muß, oder im allgemeinen
sehr ftark ift. Iedermann weiß, welche Schätzung der
Maler Friedrich aus der Berliner Jahrhundertausftellung
erfahren hat; Goethe meint, „die Bilder von Friedrich
können ebensogut aus den Kops gesehen werden!"

In anderer Weise kommt Runge zur Sprache, der
jetzt ebenfalls eine Art Auferstehung erlebt hat. „Jn
dem Musiksaal (bei Goethe) hingen Runges Arabesken
oder symbolisch-allegorische Darftellungen von Morgen,
Mittag, Abend und Nacht. Goethe merkte, daß ich sie
auftnerksam betrachtete, griff mich in den Arm und
sagte: ,Was, kennen Sie das noch nicht? Da sehen
Sie einmal, was das sür Zeug ist, zum Rasendwerden,
schön und toll zugleich/ Ich antwortete: ,Ia, ganz
wie die Beethovensche Musik . . . wie unsere ganze Ieit/
,Freilich/ sagte er, ,das will alles erfassen und verliert
sich darüber immer ins Elementarische, doch noch mit
unendlichen Schönheiten im Einzelnen. Da sehen Sie
nur, was sür Teuselszeug, und hier wieder, waö da
der Kerl sür Anmut und Herrlichkeit hervorgebracht,
aber der arme Teufel hats auch nicht ausgehalten, er
ift schon hin, es ift nicht anders möglich, was so auf
der Kippe steht, muß fterben oder verrückt werden, da
ist keine Gnade."

Den Kommentar dazu mag sich der Leser selber
machen.

Und nun noch ein Wort von prinzipieller Bedeutung.
Goethe gesteht, daß „er eine ganz andere Ansicht von
der Kunst habe (als die Brüder Boifferöe)". Diese
„hingen am Gegenftand, und müssen daran hängen,
das sei recht, das gehöre zur ganzen Ansicht, aber es
sei nicht das Höchste. Der Spielmann sei noch irgend
anderö begraben".

Und noch deutlicher: „In Hobbema, in Paul
Veronese, in Rubens erscheint die Selbständigkeit der
Kunst; wo der Kunst der Gegenftand ganz gleichgültig,
sie rein absolut wird, der Gegenstand nur der Träger
ift, da ist die höchste Höhe."

Man wird wenig deutlich-kräftigere Aussprüche über
Kunft bei Goethe finden als diesen.

* *

*

Wenn ich nun noch einige kräftige Auslassungen
Goethes über den neumodischen Mystizismus — er ift
in unsern Tagen erst wieder recht neumodisch - an-
sühren wollte (,^Oummes absurdes Volk, verstehen ja
nicht einmal, wie denn die Messe geworden ift . . .,
wollen nur einen Myftizismus machen"), so würde ich
damit zu dem Gedankengang meiner Einleitung zurück-
kehren. Aber ich muß hier abbrechen. Es ist auch
genug; wenn nur der Leser den Eindruck gewonnen
hat, daß nächft Eckermann kaum einer bedeutendere
Dokumente aus dem Umgang mit Goethe hinterlassen
hat, als dieser fromme Rheinländer Sulpiz Boisseröe.

Benno Rüttenauer.

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