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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Schäfer, Wilhelm: Schwere Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0251

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Schwere Fragen.

Trotz Darmstadt und Dresden denkt in Deutschland keine
Stadt- oder Staatsverwaltung im Ernst daran, ihre
Aufträge vertrauensvoll in so bewährte Hände zu legen.

Unsere neue Wobnungskunst kam vom Maler her und
bedrängt die Architekten. ^ An diesem schlimmen Iwiespalt
kann sie sich verblutcn. Sie wird ihre Energie in Battiks,
Schmiedeeisen und Bucheinbänden verplempern und in
Ausstellungsräumen und -Gebäuden Ersatz für das suchen,
was ihr das Leben verweigert: wirkliche Betätigung.

Wie einst das Rokoko in Frankreich an dem starren
Hochmut der Akademie-Architekten abprallte: so wird in
Deutschland auch von dieser reichen künstlerischen Be-
wegung nichts bleiben als einzelne Gebäude, manche
Jnnenräume, viele Möbel und unendliche Battiks,
Leuchter, Bucheinbände: weil die „Mutter der Künste" sich
weigert, dieses Kind, das nicht das ihre ist, anzuerkennen.

* *

*

Fast ein Jahrzehnt ist nun vergangen, seitdem der
Großherzog von Hessen den jungen künstlerischen Kräften
in Deutschland einen Frühling schenkte. Iwei Dinge
werde ich nie aufhören zu bewundern: die Gründung
des „Pan" und der Darmstädtcr Künstler-Kolonie; beides
Taten des deutschen Idealismus, der eines Tages,
unsere Volkseigentümlichkeit vergeffend und sie trotzdem
erfüllend, geradeaus in die Wolken will. Der „Pan"
ist eingegangen, aber er hat daö deutsche Prachtwerk
gründlich getötet, und was in Deutschland Schönes an
Büchern und Drucken gemacht wird, geht auf ihn
zurück. Auch die Künstler-Kolonie von damals ist aus-
einander: doch daß wir in St. Louis mit einem Zweig
der deutschen Kunst an erster Stelle standen, auch Dresden
wäre ohne Darmstadt nicht. Und darum unsere leise
Trauer, daß nun auch dort die Schule eingezogen ist,
wo ehemals der künstlerischen Arbeit durch einen fürst-
lichen Entschluß die Hände so herrlich freigemacht waren.

Denn bleiben wir besonnen: was hat die jugend-
mutige Darmstädter Anregung außer den genannten
Ausstellungen bei unserm schwerfälligen Volk anders
vermocht, als daß nun allerorten Kunstgewerbeschulen
gegründet werden. Weil dabei immer neue Lehrer und
Direktoren nötig sind, die immer wieder nur in Aus-
stellungen zu Wort kommen, merken wir die traurige
Iwecklosigkeit nicht. „Nicht für die Schule, für das
Leben" lautet der feine Pädagogenspruch. Das Leben
aber wilt diese Schüler gar nicht: der deutsche Bürger
wohnt nach wie vor in seiner historischen Behaglichkeit
und die Kunsthandwerker — ? Dies ist daö traurigste
Kapitel, sie wollen weder die neue Kunst noch deren
Jünger: sie haffen die Kunftgewerbeschulen, verweigern
die Annahme ihrer Schüler und protestieren wo sie
können. Eö könnte scheinen, mit sehr viel Recht: der
Künftlerhochmut paßt nicht zum Handwerk, nicht aus
dem Papier, sondern aus der treuen Arbeit im Material
entwickelt sich die Kunst darin.

Druur also Lehrwerkstätten, wie sie auch nun in
Darmftadt geründet sind: statt Papier die sachliche
Arbeit im Material, nicht zeichnend, sondern handwerk-
lich lernend, ein konsequenter Gang vom Einfachen zum
Feinen in jeder Technik; nran sollte meinen, nun müßten
die Kunstgewerbler jubeln, zum mindesten zufrieden sein.

Weit gefehlt: da hatten wir in Stuttgart seit Jahren
die königlichen Werkstätten durch Pankok trefflich ein-
gerichtet und geleitet und — argwöhnisch überwacht
von allen Meistern und Fabxikanten. Denn diese Werk-
stätten bleiben nicht beim Papier: sie machen Möbel,
Becher, Ketten, Porzellane, so wird der Staat zur
Konkurrenz. Hier Künstler, Lieblingökind deS Staates
— hier Fabrikant, geplagter Steuerzahler. Das ift in
Württemberg seit Dreöden zum wilden Feldgeschrei
geworden, schon muß sich Itt. Frank-Oberaspach, ein
Vorkämpfer der künftlerischen Richtung dort, mit einer
Broschüre gegen Verdächtigungen wehren, die nur aus
der Siedehitze der Konkurrenz so hämisch aufsteigen.
Dann lieber Kunstgewerbeschulen, dann nur Papier, das
schadet keinem. Und dann noch ein Verbot dazu, daß
weder Lehrer noch Schüler Aufträge annehmen darf,
weil er keine Gewerbefteuer zahlt.

Warum zahlt er keine Gewerbesteuer? Das ist zu-
letzt die Frage. Warum, wenn einer etwas beffer kann,
als andere, warum macht er es nicht? Jn Holland
sind die Kunstgewerbler längst eigne Handwerksmeister,
auch Fabrikaitten, wenn man will. Sie stellen aus,
um ihren Kram zu zeigen, doch arbeiten sie nur um
zu liefern. Es ist gelernt und gekonnt genug bei uns:
es wird nur nichts gemacht. Nicht Lehrwerkftätten
gründen: Werkstätten unterstützen muß die Losung des
Staates sein. Sind die alten kunstgewerblichen Werk-
stätten veraltet, so müffen sie erwarten, wie überall im
wirtschaftlichen Leben, daß neue gegründet werden.

Und hier ist wiederum der Großherzog von Heffen
vorangegangen: wie er selber der Bauherr wurde für die
Dreihäusergruppe, die er seinem Baumeister Olbrich in
festen Auftrag gab, so ist er auch — nicht der Staat,
der das nicht darf — der Fabrikherr geworden, der für
seine Manufaktur Scharvogel berief, um einen Betrieb
in Scharffeuer-Glasuren zu begründen. Die alte Gegen-
rede in Deutschland ist die, daß mit guten Sachen
allein kein Geschäft zu machen sei: um so wertvoller
und wahrhaft fürstlich wäre es, dies trotzdem mit
großen Mitteln zu versuchen. Wie man hört, ist in
Darmstadt schon eine zweite großherzogliche Werkstätte
in der Einrichtung. Es scheint mir eine konsequentere
Fortsetzung der Künstler-Kolonie als eine Lehrwerkstätte
mit noch so guten künstlerischen Kräften. Nichts ist
unserer Malerei so hinderlich gewesen, wie die staat-
lichen Abrichtungsanstalten: warum soll nun auch das
deutsche Kunftgewerbe daran verunglücken? An Schulen
und sonstiger Staatspflege geschieht allzuviel in Deutsch-
land: es fehlen die großen Auftraggeber, vor allem die
fürftlichen wie ehedem. Hierin, im ganzen JmpulS
einer rückhaltlos dem Künstlerischen zugewandten Per-
sönlichkeit, liegt die erlösende Wirkung des Darmstädter
Beispiels, das bis heute — an Weimar denkt wohl keiner
mehr — immer noch das einzige ist, auch noch von
keinem Staats- oder Gemeindewesen, man spricht so ftolz
vom Bürgersinn, bis heute ernsthaft nachgeahmt wurde.
Wenn hier der Schritt zum künstlerischen Unternehmer
großen Stils Erfolg hätte — warum sollte dies an-
gesichts der Riesenbetriebe, z. B. im Kayserzinn, nicht
möglich sein — so könnte es vielleicht noch möglich
werden, daß unsere reichen künstlerischen Begabungen,

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