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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Schäfer, Wilhelm: Schwere Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0252

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Schwere Fragen.

deren Namen wir mit Stolz auch vor dem Ausland
nennen, geschäftlich und im großen Stil „gegründet",
ftatt zum Schulmeistern berufen würden.

* *

*

Da bin ich arg vom Weg gekommen. Ich ftehe
noch immer vor den schlichten Schränken, darin die
Battiks ganz vergebens auf „Interessenten" warten. Da
gehe ich denn hinüber zum Kunstgewerbemuseum und
laufe die Gänge hin und her und sehe aufgestapelt -
wofür? sür wen? — waö die Jahrhunderte fürs Leben
machten, und wundere mich nicht mehr und steige die
Treppe — mit bronziertem Schmiedeeisen — hinunter,
wo im Erdgeschoß der Lesesaal der Stadtbibliothek von
Peter Behrens eingebaut ist, der in St. Louis auö-
gestellt war. Es ist sehr heimelig darin, die große Uhr
von Boffelt tickt, und fleißige Menschen sitzen da bei
ihren Büchern. Ich setze mich dazu und denke, wie
praktisch dies doch ist: wenn einmal dieser Saal fürs
Kunstgewerbemuseum angekauft werden wird, dann ist
er gleich im Haus. Nein, ich denke — und denke eö
mit Bitterkeit — daß einmal die Kunstgelehrten nach-
weisen werden, wie Behrenö zu gleicher Ieit in Düffel-
dorf war, während die Stadt in einem unerhörten
Aufschwung Bauten über Bauten erhielt, davon kein
Dutzend erträglich ist und keines, gar keines eine Spur
von seiner Tätigkeit aufweift, nur dieser eine Saal und
der vorsorglich gleich im Kunstgewerbemuseum! Ift
dies nicht traurig? Entweder taugt der Mann nichts
in seiner Arbeit, dann weg mit ihm; oder aber man
schätzt ihn: warum dann aber ftellt man ihn kalt?

Auch dies ist nicht persönlich. Er könnte wohl in
Hamburg, München, Berlin und Darmstadt sein. Im
Ernst: man ziehe einmal ab, was Olbrich seinem fürst-
lichen Auftraggeber verdankt, und nenne dann: was er
in Heffen bauen konnte. Darüber geht das Leben hin;
die Männer werden alt, wer weiß, was uns der Nach-
wuchs bringt? Und ob der Wohlstand nicht versagt,
noch schneller als er kam: was wird dann bleiben als
steinernes Aeugnis unserer Ieit: unsere Bahnhöfe, Rat-
häuser, Kirchen: ist die nicht schrecklich auszudenken?
Es gibt einen Entwurf von Meiffonniers zur Fassade
von St. Sulpice in Paris, der jeden melancholisch
ftimmen muß: ein Ding von toller Leichtigkeit, darin
das Rokoko in kühnem übermut die Außenarchitektur
überrumpeln wollte — es ift Entwurf geblieben, statt
dessen fteht die komisch übertürmte Doppelsäulenhalle
von Servandoni da.

So wird es heute — und hierin kann kein fürst-
licher Unternehmer helfen in unserer ftaatsbürgerlichen
Zeit - der modernen Baukunst wieder gehen. Die
Architekten sind der Künstler Feind: sie bauen und
jene bleiben im Entwurf. Wie manchen sah man schon?
Den schönen Bahnhofsentwurf von Olbrich für Basel -
der alles, was hierfür auf der Hand liegt, glänzend
erfüllte — und heute das langweilige Steingebäude dort!
Und Karlsruhe mit dem Billingschen Projekt? Am
ganzen Rhein hinunter kein Bahnhoföbau, der künst-
lerisches Ieugniö gibt von unserer Zeit. Und Kirchen
nur ein paar, und Rathäuser? Wo ist auö unserer
Zeit so etwas wie der alte Kölner Rathausturm? Und

dabei wissen: daß wir die Kräfte hätten wie jede andere
Zeit, daß sie nur deshalb, weil sie künstlerisch sind, nicht
an die Arbeit kommen neben gelehrtester Geschmack-
losigkeit. Oder wer kann uns freien Herzens eine
bürgerliche Körperschaft benennen, die von selber künst-
lerisch nicht stets daneben greift, wenn sie zu wählen hat?

Das ist die schwerste Kunstfrage unserer Ieit: der
Maler kann seine Bilder malen, auch wenn sie keiner
will, zum Noten- und Novellenschreiben bedarf es nur
der Tinte: der Baukünstler in Projekten aber ist ein
Bäcker ohne Mehl. So hungern wir nach Brot und
kriegen Steine und werden alt dabei, bis eines Tages
die Zeit mit ihren Projekten gestorben ist. Nur
Ingenieuren und Maschinenbauern konnte keine Kunst-
gelehrsamkeit Vorbilder zeigen, sie durften machen, was
sie wollten: aus ihren Brücken und Maschinen wird man
erkennen müffen, was die „moderne Zeit" gewesen ist.

* *

*

Soweit war dies geschrieben, als der bekannte
Skandalversuch gegen Muthesius den Berliner Fabri-
kanten eine wohlverdiente und gründliche Niederlage
brachte. Sollten die schweren Fragen dennoch der
Lösung näher sein, als wir glauben? Jn Mannheim
hat Billing seine schöne Kunfthalle bauen dürfen. In
Darmstadt wird der neue Bahnhof jedenfalls - dies
ist der ausdrückliche Wunsch deö Großherzogs - von
einem modernen Baumeister, nicht von einem Stil-
architekten gebaut werden.

Und nun ift in Düffeldorf etwas Überraschendes ge-
schehen: Olbrich ist mit seinem Entwurf eines großen
Warenhauses durchgedrungen, das nach seiner riesigen
Auödehnung sowohl wie nach seinem Platz inmitten der
Stadt das bedeutendste Bauwerk für Düffeldorf auf
lange Ieit werden wird. Es war ein Platz der Stadt,
der da bebaut werden soll; sie hatte von Anfang an
mit rückhaltlosem Ernst — der nicht genug zu rühmen
ist — darauf gedrungen, daß nur ein künftlerisches Bau-
werk hier stehen dürfe. In letzter engerer Entscheidung
ift Olbrich gegen Kreis und den Düffeldorfer Architekten
Engler durchgedrungen mit einem Entwurf, der, soviel
ein großes Modell urteilen läßt, das berühmte Waren-
haus von Meffel als einheitliche und ganz moderne
Lösung übertreffen wird: ein elegantes, kühnes Bauwerk,
darin Olbrich, der bewegliche, graziöse, wieder wie in
seinem Bahnhofs-Entwurf für Basel zur monumentalen
Ruhe kommt. Die Berater der Stadt, vor allem der
Architekt vom Endt, dem Düsseldorf seinen bislang
beften modernen Bau, die Handelskammer, und das
neue Geschäftsgebäude für den General-Anzeiger ver-
dankt, haben einsichtig und klug geurteilt; und die Stadt
hat treu zu ihrem Urteil gehalten und anscheinend
anderen Wünschen der Firma Tietz einen prachtvollen
Widerftand gezeigt. So viel auch auf dem Exerzierplatz
und mit den neuen Brücken über den Stadtgraben ver-
schuldet worden ift: hier wird es glänzend wettgemacht.
Das moderne Düffeldorf setzt sich sein ersteö monu-
mentaleö Denkmal.

Nun weiß ich nicht, ob ich nicht doch mit meinen
schweren Fragen altfränkisch geworden bin? Ich wüßte
wenig, waö mich mehr freuen könnte. W. Schäfer.
 
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