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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0505
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XIV. Die Antwerpifche Malerfchule im 19. Jahrhundert.

der »Eid Karl V,« die Vorlage für eine von den grofsen Wandmalereien die
er im Stadthaus zu Antwerpen malte.* Diefe Wandmalereien, das letzte und
hervorragendfte Werk von Leys, wurden 1864 bis 1868 ausgeführt, und von
dem Tode des Künftlers unterbrochen. Sie beftehen aus vier Gemälden; die
zwei grofsen ftellen das »Bürgerrecht« und die »Seibftvertheidigung« die zwei
kleinern die »Selbftändigkeit« und die »Selbftverwaltung« der Stadt Antwerpen
dar, durch Epifoden veranfchaulicht, die in die Epoche von 1514 bis 1567
fallen. Alle zeichnen fich durch ihr kräftiges Colorit und durch die Wahrheit
jeder Einzelheit aus. Wirfehen uns vor ihnen ganz in jene alten Zeiten zurlick-
verfetzt, in denen man noch kein Spiel von Helldunkel, kein Zurückdrängen des
Beiwerks zum Zwecke der Hebung der Hauptperfonen kannte; Alles hat viel-
mehr gleichen Werth und erlangt durch feine vollen feften Töne eine Schärfe
des Umriffes, welche die Perfonen etwas fteif und unbeweglich erfcheinen läfst.
Was fonft unangenehm berührt, ift die augenfcheinliche Beforgtheit des Künftlers
nicht in das Aufgeputzte zu verfallen und die Mühe welche er fich gab, um
feinen Menfchen alltägliche und welke Züge zu verleihen.

Nehmen wir eines von den Gemälden zu näherer Betrachtung heraus:
»Cornelis van Spanghen, als Anführer der Bürgerwehr durch Lanceloot van
Urfele im Namen der Königin von Ungarn in Pflicht genommen.« Die Scene
vergegenwärtigt den Alten grofsen Markt von Antwerpen mit feinen unbe-
worfenen Häuferfronten, an welchen Holz, Backftein und Hauftein mit malerifchen
Pförtchen und Fenfterchen abwechfeln. Vor der Treppe des Stadthaufes hat
fich Lanceloot, aufgeftellt, und fcheint mit einer fchönen Armbewegung Be-
fehl zum Auszuge gegen den Feind zu geben. In der Mitte des Bildes fleht
van Spanghen, in Büffelleder und Stahl gekleidet und mit dem entblöfsten
Degen in der Hand, eine ruhige, faft etwas fchwerfällig ausfehende Figur.
Hinter ihm trägt ein Knappe feinen Schild und Helm, dann folgt ein Banner-
träger , und in dichtem Haufen fchaaren fich die Mitglieder der Bürgerfchaft
im Halbkreis weiterhin über den ganzen Platz. Fünf von den vorderften ftrecken
ihre Schwerter mit mannhafter und lebhafter Geberde aus, ruhiger flehen die
Lanzenträger hinter ihnen, alle laufchen auf das Wort des Statthalters, bereit
ihre Stadt muthig zu vertheidigen.

Die Gruppirung der Figuren ift packend, und zwar fowohl die der
wenig zahlreichen Kriegsleute als die der unzählbaren Volksmenge. Unzählbar
aber erfcheint die letztere in der That, obwohl vielleicht keine hundert Menfchen
dargeftellt find: ihre dichten Schaaren fcheinen den geräumigen Platz zu füllen
und dort zufammengedrängt zu fein. Mit den gefenkten Degen, den erhobenen
Picken und den wehenden Bannern darüber, den lichten Pflafterfteinen vor und
den farbigen Giebeln hinter fich, macht die bunte Schaar einen ergreifenden
Eindruck. Sie ftellt fich als eine Genoffenfchaft bürgerlicher Helden dar , und
der Genremaler Leys, der hier ganz Hiftorienmaler geworden, entwickelt hier
aus feinem früheren Fache die Kunft, auf eine einfache faft gemüthliche Weife
erhabene Gefühle und ruhmvolle Thaten darzuftellen.

Die Kraft diefes Kolorits, wie deffen Weichheit und Harmonie find in
unterer Zeit unübertroffen. Man hat hier nicht mehr den Aufputz von Maffijs’
glänzendem Feftgewand, noch den Glanz und die triumphirende Breite von
Rubens’ Farbflächen, fondern eine Energie und Farbigkeit des Tones, wie in
einem Trompetenfchall, in welchem taufend verfchiedene Klänge alle gleich hell
zur vollften Harmonie verfchmelzen und nur den Eindruck von reichen und

* Die drei anderen Vorlagen zu dielen Wandgemälden befinden fich noch im Befitz des
Sohnes des Meilters, Baron Juliaan Leys.
 
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