Die Genesis der Rcvolntion
1. Die Entwilkelimg des nationalen Bewnßtseins.
Das dumpfe Leiden des Volkes, die willkürlichen Thaten der Regie-
Dung bilden scheinbar den ausschließlichen Jnhalt der österreichischen Ge-
schichte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Das Schicksal des
Volkes ruht vollkommen in den Händen einer kleinen Gruppe Anserwähl-
ter, welche selbständig fnr dasselbe denken, wollen nnd handeln, das Herr-
schen und Verwalten als ihren unbestreitbaren Besitz behaupten, welche
keine Mitwirkung der Regierten an den öffentlichen Angelegenheiten dul-
den nnd es schon vom Uebel halten, daß die gebildeten Kreise sich um
politische Dinge kümmern und sorgen. Der Ausgang der in jedem Sinne
des Wortes unverantwortlichen Regierungsthätigkeit ist bekannt. Ohne
einen wohlthätigen Zwang, ohne jeden stärkeren Anreiz znr Kraftentwicke-
lnng, durch die lange ungestörte Dauer der Herrschaft sicher gemacht,
verfielen die Gewalthaber in eine gewohnheitsmäßige Trägheit und wur-
den zuletzt zu jedem Handeln unfähig. Die Zügel entfielen ihren zittern-
den Händen, alle leitenden politischen Gedanken gingen verloren. Auch der
Glauben an die Zukunft schwand; nur rohe mechanische Kräfte hielten noch
das Reich aufrecht. Wer es mit Oesterreich gut meinte, mußte mit ängst-
lichem Bangen den kommenden Tagen entgegensehen. Was sollte an die
Stelle des herrschenden Shstemes treten, wenn dieses, innerlich schon
längst haltlos, durch einen änßeren Stoß znsammenbrach? Wer sollte
die Macht erben, wenn die gegenwärtigen Staatslenker dnrch irgend ein
Ereigniß zur Seite geschoben wnrden?
Mit wachsender Aufmerksamkeit beobachteten die Freunde und Feinde
Oesterreichs das einzige Element der Bewegung, welches seit dem Jahre
1840 deutlicher an der Oberfläche sich zeigte und offenbar zu einer grö-
ßeren politischen Rolle in Oesterreich bestimmt schien. Eifrig wurden die
Springcr, Oesterreich. II. 1
1. Die Entwilkelimg des nationalen Bewnßtseins.
Das dumpfe Leiden des Volkes, die willkürlichen Thaten der Regie-
Dung bilden scheinbar den ausschließlichen Jnhalt der österreichischen Ge-
schichte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Das Schicksal des
Volkes ruht vollkommen in den Händen einer kleinen Gruppe Anserwähl-
ter, welche selbständig fnr dasselbe denken, wollen nnd handeln, das Herr-
schen und Verwalten als ihren unbestreitbaren Besitz behaupten, welche
keine Mitwirkung der Regierten an den öffentlichen Angelegenheiten dul-
den nnd es schon vom Uebel halten, daß die gebildeten Kreise sich um
politische Dinge kümmern und sorgen. Der Ausgang der in jedem Sinne
des Wortes unverantwortlichen Regierungsthätigkeit ist bekannt. Ohne
einen wohlthätigen Zwang, ohne jeden stärkeren Anreiz znr Kraftentwicke-
lnng, durch die lange ungestörte Dauer der Herrschaft sicher gemacht,
verfielen die Gewalthaber in eine gewohnheitsmäßige Trägheit und wur-
den zuletzt zu jedem Handeln unfähig. Die Zügel entfielen ihren zittern-
den Händen, alle leitenden politischen Gedanken gingen verloren. Auch der
Glauben an die Zukunft schwand; nur rohe mechanische Kräfte hielten noch
das Reich aufrecht. Wer es mit Oesterreich gut meinte, mußte mit ängst-
lichem Bangen den kommenden Tagen entgegensehen. Was sollte an die
Stelle des herrschenden Shstemes treten, wenn dieses, innerlich schon
längst haltlos, durch einen änßeren Stoß znsammenbrach? Wer sollte
die Macht erben, wenn die gegenwärtigen Staatslenker dnrch irgend ein
Ereigniß zur Seite geschoben wnrden?
Mit wachsender Aufmerksamkeit beobachteten die Freunde und Feinde
Oesterreichs das einzige Element der Bewegung, welches seit dem Jahre
1840 deutlicher an der Oberfläche sich zeigte und offenbar zu einer grö-
ßeren politischen Rolle in Oesterreich bestimmt schien. Eifrig wurden die
Springcr, Oesterreich. II. 1