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DIE GEBRAUCHSKUNST DER PRIMITIVEN

Vielleicht muß man diesen Ausdruck überhaupt verwerfen. Denn die
ganze primitive Kunst ist immer einigermaßen mit dem Zweckhaften, mit
der Gebtauchsabsicht verbunden. Das Atelier und die Samtjacke existieren
bei den „Wilden“ ja noch nicht, sondern die gesammelte Kraft des Lebens
wirkt sich ungebrochen in den Kunstdingen aus: nicht luxuriöse Hinweise
auf menschlich-subjektive Befähigungen, vereinzelte Funktionen stehen da,
sondern Gebilde, die getragen und durchflossen sind von der vielfältigen
Kraft auch der anderen menschlichen Triebe. So wird auch das rein Prak-
tische, Zweckmäßige nicht vom Ästhetischen als von einem übermächtigen
Instinkt beherrscht. Die kunsthafte Gestaltung des Nutzgegenstandes ist
durchweg der betonende Ausdruck seiner Gebrauchsfähigkeit. Nur selten
beginnt die „Kunstgewerblichkeit“ im unangenehmen europäischen Sinne des
Wortes sich anzudeuten und das Notwendige mit spielerischem Schmuck-
werk zu überwuchern; aber auch dann zeigt sich oft, daß das anscheinend
Überflüssige nicht bloßes ästhetisches Spiel, sondern Träger mystischer Be-
deutsamkeiten ist.
Es ist grundsätzlich beachtenswert, daß die freie Phantasie der Natur-
völker sich nur in Masken und Fetischen auslebt: hier schauen wir allerdings
Werke von manchmal erschreckender Kraft. Sobald es sich aber darum
handelt, Wirklichkeiten zu formen oder zu verzieren, fällt die ganze, faszi-
nierende Energie der Vorstellung übermenschlicher, geisterhafter Wesen
dahin. Mit straffer Gespanntheit erarbeitet sich ein festes, kraftvoll in sich
ruhendes Werk. Wir sahen das schon bei der Porträtplastik der bedeutenden
Bakubaherrscher. Noch mehr gilt es naturgemäß von der Gebrauchskunst.
Das Wirkliche des täglichen Nutzens ist der feste, gar nicht wankende
Boden, aus dem jedwedes Werk, das brauchbar sein soll, erwächst.
Der wichtigste Grundsatz des produzierenden Instinktes scheint in
Afrika die urwüchsige Stabilität zu sein. Dieser Zug trennt das afri-
kanische vom südseeinsulanischen Gewerbe. Nicht als ob hier der Gebrauch
erst als in zweiter Linie wirklich stünde, auch hier liegt das Nutzmäßige auf
der Hand. Aber es ist das Gewicht der Dinge so sehr aufgehoben in dem
elastischen Schwung der verzierenden Linien und vor allem in den ganzen,
unendlich feinfühligen Verhältnisfügungendereinzelnen Abschnitte und Teile
des Gegenstandes, daß eine innere dynamische Aktivität auch den schweren,
umfangreichen Schüsseln eine beflügelnde Schwungkraft zu verleihen scheint.
Dagegen haben die afrikanischen Arbeiten etwas Gewachseneres, in sich

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