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DIE MALEREI DER VORZEIT

Anders als die Baukunst und die Plastik beginnt die Malerei. Denn in
ihrem urzeitlichen Anfänge liegt all das enthalten, was noch als einigermaßen
lebendige Ganzheit jener Epochen übrig blieb. Von der Baukunst der Woh-
nungen und Gräber haben wir ja nur fragmentarische Überbleibsel, und
nicht viel anders verhält es sich mit den wenigen plastischen Arbeiten, die
uns erhalten sind: wir kennen nicht ihre Stätte und das Verhältnis ihrer Zeit-
genossen zu ihnen. Die Gemälde jedoch sind in großer Zahl an ihrem alten
Platze erhalten: in Südfrankreich und Nordspanien erfüllen ihre Wunder-
werke die Höhlen von Altamira (nahe Santander), Font-de-Gaume (in der
Dordogne) usw., etwa dreißig an der Zahl. Schwarze und rote und mehr-
farbige Tiergestalten — zumeist Auerochsen, seltener Rehe, Pferde, Wölfe
u. a. — sind hier in überreicher Fülle dargestellt.
Es bleibt eine offene Frage, welche Epoche der Farbengebung (schwarz,
rötlich, vielfarbig) die frühere ist; ob wirklich die schwarze, — wie
Cartailhac und Breuil, die höchst verdienstvollen Veröffentlicher der
schönsten Bilderzyklen, meinen. Es bleibt auch unentschieden, ob die viel-
fachen Skizzenhaftigkeiten wirklich eine vorbereitende, noch sich übende
Epoche innerhalb der Gesamtentwicklung bedeuten, oder ob sie nicht viel-
mehr unvollendete Anfänge sind. So ist das eigentlich Geschichtliche ihrer
Zusammenhänge noch fragwürdig.
Aber freilich auch in einem sehr hohen Maße würdig solcher Nachfor-
schung. Denn nirgends sonst hat jemals die menschliche Kunstgeschichte
eine so hingebende und zugleich monumentale Darstellung der Tiere ihrer
Gegenwart hervorwachsen sehen. Es liegt uns, den Zeitgenossen des Ex-
pressionismus und der Abstraktion, gewiß fern, dem übertreibenden Jubelrufe
zuzustimmen, der den Angehörigen des naturalistischen Zeitalters früherer
Impressionisten bei der Entdeckung jener Freskenreihen aus dem Herzen
kam. Und doch kann auch der grundsätzlich anders Gerichtete seine hohe
Achtung dem großen Wurfe nicht versagen, der in den Darstellungen jener
Wände liegt. Es ist eben doch nicht bloß die Lebendigkeit der Bewegung,
die letztlich überzeugt, sondern das große Lebensgefühl, mit dem sich eine
eminente Elastizität verbündet. Es ist gewiß so, daß die mächtigen Auer-
ochsen schwer wuchtend dastehen, mit riesiger Fülle am Boden liegen, mit
plumper Energie den Kopf herumdrehen. Und dennoch vereint sich mit dieser
überstarken Massenhaftigkeit ein solcher Sinn für glücklich abgewogene
Verhältnisfügungen und Spannungen, vereint sich vor allem ein solcher

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