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DIE GEBRAUCHSKUNST DER VORZEIT

Unendlich viel größer als die Zahl der baulichen, malerischen oder gar
plastischen Arbeiten der Urzeit ist die Fülle ihrer Gebrauchskunst. Dieses
Wort hat hier, wie bei den Naturvölkern, ein ungleich höheres Daseinsrecht
als der Ausdruck „Kunstgewerbe“. Denn auch in der Urzeit ist der un-
mittelbare Zweck etwa eines Gefäßes der eigentliche Ansporn zu seiner Ge-
staltung. Erst spät, in der Bronzezeit, erhebt sich das Schmuckbedürfnis
selbstherrlich über den Kreis der notwendigen Nutzbarkeit. Allerdings: die
Gebrauchskunst, die uns aus jener Ferne überkam, ist von keinem sehr hohen
ästhetischen Wert. Zumeist ist es Töpferei, und zwar eine Tonkunst
für den Hausgebrauch. Man darf aus dem Beispiel der Naturvölker folgern,
daß auch in unseren anfänglichsten Zeiten die Herstellung der Tonwaren in
den Händen der Frauen lag. So erklärt sich die anscheinende Belanglosigkeit
dieser Überbleibsel, — auch den naturvölkischen Frauen gelingt ja kaum
etwas Gutes! Vielleicht haben wir es auch diesem Umstande zuzuschreiben,
daß der Ton keine wertvollen Arbeiten aus der Urzeit überliefern ließ;
überall spürt man das Vorbild andersartiger Technik. Dies kann nicht am
Material selbst liegen, wie man so gern meint; denn die Kameruner Pfeifen-
töpferei, die von Männern gepflegt wurde, ergab ganz anders hochstehende
Leistungen wie die von dortigen Weibern gehandhabte Gefäßtöpferei. Der
Einfluß eines Vorbildes, das anderer Technik, etwa der Flechterei, entlehnt
wurde, beweist auch nicht sogleich das spätere Entstehen der Tonnach-
ahmung, — auch heute ist in Afrika noch das Kürbisgefäß der Nachbar des
kürbishaften Tongefäßes. Immerhin sind trotz ihrer ästhetischen Minder-
wertigkeit die Tongefäße der Urzeit doch infolge ihrer Volkstümlichkeit von
Bedeutung, da sie die Eigenarten und die Umkreise ihrer Ursprungsgebiete
so genau und mit so zahlreichen Beispielen belegen wie sonst keine andere
Gattung des Kunstgewerbes. Neben der Töpferei kommen dann noch die
Waffen und Werkzeuge in zweiter Reihe in Betracht.
Die historische Entwicklung der urzeitlichen europäischen Keramik
läßt sich kurz so umreißen. In der frühen Steinzeit scheint sie noch nicht
begonnen zu haben. Wahrscheinlich nutzte man damals die von der natür-
lichen Form des Kürbis gebotenen Möglichkeiten aus, da man so — je nach
der Schnittführung — flachgewölbte Schalen aus seinem unteren Ende oder
Schöpfkellen aus seiner senkrechten Halbierung gewinnen kann. In der
späten Steinzeit beginnt die südeuropäische Töpferei mit noch ornamentlosen
Gefäßen, die bald ganz einfach als tiefer Napf, bald als Becher mit breit-

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