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Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben [Hrsg.]
Ulm, Oberschwaben: Korrespondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben — 2.1877

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Nr. 6
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Ofterdinger, Ludwig Felix: Ein Gedicht von C. M. Wieland aus seiner Knabenzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.52609#0048

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— 46
Ein Gedicht von C. M. Wieland aus seiner
Knabenzeit
C. M. Wieland fieng schon in seinem siebten
Jahre an in lateinischer und deutscher Sprache
zu dichten. Bei den Versuchen in der lateini-
schen Sprache hatte der junge Dichter viele
Vorbilder, wesswegen in diesen Gedichten es
an Abwechslung nicht wohl fehlen mochte;
aber in der deutschen Sprache kannte er äusser
den Liedern im Gesangbuch nur noch die
Werke von Brokes,1) wesswegen alle Ver-
suche in der deutschen Sprache etwas einseitig
ausgefallen sein mochten.
Wieland sammelte alle diese Gedichte, welche
er auf schönes holländisches Papier zierlich
schrieb. Im Jahr 1747 kam er nach Kloster
Bergen bei Magdeburg und übergab vor seiner
Abreise in mehreren Schachteln verpackt diese
Sammlung zur Aufbewahrung seiner Mutter.
Als der Sohn von Erfurt (1750) nach Biberach
zurück kam, brachte die Mutter mit grossem
Triumph diese Jugendgedichte, welche aber
zum Leidwesen derselben vom Sohn dem Feuer
sogleich übergeben wurden. 2) Desswegen sind
Gedichte von Wieland aus seiner Knabenzeit
sehr selten, nur war zu vermuthen, dass von
denen einige übrig geblieben sind, welche an
einzelne Personen in Biberach gerichtet waren
und desswegen von dem Autodafe verschont
blieben. Wirklich fand schon vor Jahren Herr
Oberamtmann Sprandel in Biberach ein Ge-
dicht von Wieland auf das fünfzigjährige Amts-
jubiläum des Seniors Gutermann. Dieses
Jubiläum fand im J. 1746 statt, also zu der
Zeit, als Wieland 13 Jahre alt war. Dieses
Manuscript befindet sich jetzt im Archiv in
Biberach. 3)
Vor Kurzem erwarb der Verein für
Kunst und A11 e r t h u m in Ulm und
Ob er sch waben mehrere ältere Manuscripte,
unter denen ein Gedicht Wielands ebenfalls
aus dem J. 1746 sich befindet. Dasselbe ent-

0 C. M. Wielands Leben und WTirken in Schwaben
und der Schweiz von Ofterdinger. Heilbronn 1877. S. 20.
2) a. a. 0. S. 21. •
3) Dieses Gedicht ist abgedruckt a. a. 0. S. 22.

hält eine Gratulation zum Namenstaff (24. Juli
1746) seiner Grossmutter Maria Christina Kik
| (Mutter seiner Mutter).4 5) Dasselbe gibt eine
sehr feine Anwendung über den Text Math. VII,
24—27 und zeigt die grosse Anhänglichkeit,
weiche der junge Dichtei’ an seine Familie hatte.
Dieses sowie das erste Gedicht zeigen bei
aller Unreife doch die Anfänge in der Leich-
tigkeit und Freiheit der Formgebung, wodurch
sich die spätem Gedichte Wielands auszeich-
neten, man kann von dieser zweiten Jugend-
dichtung dasselbe sagen, was A. Wohlwill3)
über die erste sagte: „der 13jährige-Knabe
beurkundet darin schon eine ziemliche Ge-
wandtheit in der Beim- und Versbildung, bc-
achtenswerth ist insbesondere das schon hier
hervortretende Bestreben, die Sprache auch in
der Poesie durch regelmässige Wortfolge und
wohlgegliederten Periodenbau der Prosa ähn-
lich zu machen: bekanntlich ein charakteristi-
scher Unterschied der spätem Wieland’schen
Dichtung im Vergleich mit der Klopstockischen.“
Und so möchte wohl das nachfolgende Ge-
dicht in den Blättern unseres Vereins einen
Platz finden.
L. F. Ofterdinger.
Als
’S. T
Frau Maria Christina Kikhin
gebohrne Kauchin
ihren Nahmens Tag
, d. 24 Julj, 1746
höchst erfreut beging
wollte mit diesen geringen
Zeilen
seine ergebenste Freude an den Tag legen
Dero
Gehorsamster Enkel-Sohn
Ch. Mart. Wieland.
Gleichwie ein kluger Mann sein Haus auf Felsen baut,
wo er vor Blitz und Sturm und starker Windesbraut
will recht gesichert seyn ; so machens fromme Seelen
die sich ein felsicht Land zu ihrem Bau erwählen.
4) Über die Verwandtschaft Wielands vergl. a. a. 0.
S. 4 und ff.
5) Hamb. Corresp. 31. Dez. 1876, Nr. 310.
 
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