104 Jltustrirtc Leitung. 2247. 24.3ult 1886.
Das neue Etablissement in Schwelm
der Königl. Preussischen Hofpianoforte-Fabrik
Rud. Ibach Sohn, Barmen-Köln.
um erwähnt zu werden. Ein eompletes System von Vor-
rathskammern dient zur Aufbewahrung aller im voraus
gefertigten einzelnen Theile, sodass selbst dem grössten
und plötzlichsten Bedarf prompt begegnet werden kann;
es muss eben für eilige Aufträge auf Hunderte von
Pianos, wie sie hier zuweilen einlaufen, genügend vor-
gesehen werden. In einem stillen Eckchen der Fabrik
sitzen die Zeichner und Architekten, mit den Entwürfen
der stilvollen Gehäuse beschäftigt, die eine hochent-
wickelte Specialität des Hauses bilden; in ihrer Nähe
die Bildhauer und Kunstschreiner, die diesen Ideen Ge-
stalt verleihen; da gibt es keinen Stil, welchen Zeit-
alters und welcher Nation er auch sei, der hier nicht in
jeder gewünschten Abstufung von Eleganz und Ton correct
reproducirt werden könnte.
Eine directe Telephonverbindung mit den eine Meile
entfernten Hauptbureaus in der Barmer Flügelfabrik der
Firma verzweigt sich in alle Hauptabtheilungen des riesigen
Etablissements und macht dasselbe zu einem vielgliedrigen,
aber bewussten und einheitlich gelenkten Organismus, dem
keine Aufgabe zu schwer. Das Princip der Arbeitstheilung
erreicht hier seine höchste Blüte; jeder Mann macht
nur eine ganz bestimmte Arbeit, in welcher er unfehl-
barer Meister wird; jeder controllirt die Arbeit seines
Vorgängers, für die er wie für die eigene einstehen muss,
und eine unerbittlich scharfe, sachkundige, kein Detail
übersehende Endrevision sorgt dafür, dass nur Voll-
kommenes die Ateliers verlässt, so weit wie überhaupt
Menschenwerk vollkommen werden kann.
Die skizzenhafte Kürze dieser Beschreibung ist des
Gegenstandes nicht würdig. Doch wird sie schon die
volle Erklärung liefern, wie es gekommen ist, dass die
deutsche Piano-Industrie, mit Rud. Ibach Sohn als „Flügel-
mann“ im ersten Gliede, in den letzten Jahren nicht nur
ganz Europa, sondern auch die andern Welttheile sich er-
obert hat und neuerdings selbst die schutzzollgepanzertsten
Länder zu bedrohen anfängt.
Die Welt dreht sich jetzt schneller als vor zweihundert
Jahren. Wer heute auf die letzten fünf Decennien und ihre
Errungenschaften in allen Feldern zurückblickt, der greift
ein Stück Geschichte, das sonst Jahrhunderte ausfüllte.
Der Fortschritt unserer Ahnen war so langsam und un-
merklich, dass selbst Achtzigjährige ihn oft nicht als solchen
erkannten; die Klage um die „Gute Alte Zeit“ auf den
Lippen der Greise war stereotyp. Heute aber gibt es selbst
zum Altwerden keine Zeit mehr; Greise werden seltener
und die wenigen noch erhaltenen Exemplare sind schwindlig
geworden durch das stürmende Tempo und begreisen nicht
mehr, wie sie als Kinder überhaupt existiren konnten,
ohne andere Elektricität als die, welche gelegentlich ihre
Scheuern in Brand steckte, ohne anderen Dampf als den
Sänger im Theekessel, mit der gelben Postkutsche als Sinn-
bild höchster Schnelligkeit, mit dem Wochenblättchen des
Landboten als Leuchte des Geistes!
Solche Betrachtung erfüllt unwillkürlich den Beschauer
der oben abgebildeten neuen Pianofortefabrik der alten
Firma Rud. Ibach Sohn, Barmen-Köln, in Schwelm
unweit Barmen belegen. Noch sind es nicht hundert Jahre,
seit der Grossvater des jetzigen Fabrikherrn und Gründer
des Hauses, Johannes Adolf Ibach, im Frühjahr 1794
selbständig sein erstes Piano baute; eigenhändig, ohne
Hülfe, von Anfang bis zu Ende, vom ersten Sägeschnitt
am Kastenholz bis zur letzten Drehung des primitiven
Stimmhammers; und zwar, wie aus seinem heilig ver-
wahrten Tagebuche ersichtlich, im Aufträge des Herrn
Kaplans, der geduldig seine drei oder vier Monate wartete
auf das Fertig werden, und von Zeit zu Zeit abends mit
der langen Pfeife hereinkam, nachzusehen, wie weit das
grosse Werk gediehen. Denn damals war der Pianobau
noch eine seltene, individuelle und nur wenigen Aus-
erlesenen offenbarte Kunst, ebenso wie das Piano selbst
nur einem Häuflein Eingeweihter zugänglich und dem
Bürgersmann noch ein Gegenstand frommer Scheu war.
Der Meister machte Alles selbst und nur auf Bestellung;
wurde sein Ruhm sür seiner eigenen Hände Werk zu
gross, so lernte er sich wol einen oder mehrere Gesellen
an; war aber gerade nichts zu thun, so arbeiteten Meister
und Gesellen friedlich nebeneinander als Ackerbauer
oder Schreiner, um nur, wenn ein neuer Kunde auftauchte,
mit verdoppeltem Eifer zu der lieben Kunst zurückzu-
kehren. Nicht ohne Stolz meldet aus den ersten Jahren
dieses Säculums das Tagebuch des Grossvaters, dass er trotz
der Wirren der Fremdherrschaft in diesem Jahre seine
— vierzehn Pianos gemacht und alle bezahlt erhalten hat.
Und heute? — Heute stehen wir hier vor einer muster-
gültigen Werkstätte dieser so wunderbar erblühten In-
dustrie; vor einer Fabrik, die an Grösse von wol
wenigen, an durchdachter Vollkommenheit der Aus-
stattung und Organisation von keiner zweiten übertroffen
wird, und die Tausende von Pianos im Jahre zu liefern
im Stande ist! Diese Fabrik, aus Stein, Eisen und Glas,
ist absolut feuersicher. Drei dampfgetriebene Fahrstühle
vermitteln den Verkehr schwerer Lasten zwischen allen
Etagen. Sämmtliche Arbeitsräume sind hell, geräumig,
mit Wasserleitung versehen, mit Dampf geheizt und
elektrisch erleuchtet mit Bogen- oder Glühlicht, je nach
Bedarf. Ein sinnreicher Luftsaugeapparat führt alleSpähne
und Abfälle fortwährend direct in’s Kesselhaus und sorgt
zugleich für Ventilation. Durch alle Etagen laufen Schienen-
geleise mit Rollwagen nach den Fahrstühlen und Lager-
plätzen; jedes Stockwerk hat seine eigenen Garderoben
und Waschzimmer für die Arbeiter. Grossartige Vorräthe
vom seinsten Holz, auf Jahre im voraus, trocknen in
langen Schuppen ihrer Bestimmung entgegen, bis sie vor
der schliesslichen Verwendung noch in dampfgeheizten
Trockenräumen gründlich ausgedörrt werden; denn altes
und trockenes Holz ist das tägliche Brot und das Evangelium
des Pianomachers. Dass die Fabrik ein höchst vollstän-
diges, mit den letzten Erfindungen ausgestattetes Contin-
gent aller einschlagenden Maschinen für Holz- und Metall-
bearbeitung ihr eigen nennt, ist fast zu selbstverständlich,
Das neue Etablissement in Schwelm
der Königl. Preussischen Hofpianoforte-Fabrik
Rud. Ibach Sohn, Barmen-Köln.
um erwähnt zu werden. Ein eompletes System von Vor-
rathskammern dient zur Aufbewahrung aller im voraus
gefertigten einzelnen Theile, sodass selbst dem grössten
und plötzlichsten Bedarf prompt begegnet werden kann;
es muss eben für eilige Aufträge auf Hunderte von
Pianos, wie sie hier zuweilen einlaufen, genügend vor-
gesehen werden. In einem stillen Eckchen der Fabrik
sitzen die Zeichner und Architekten, mit den Entwürfen
der stilvollen Gehäuse beschäftigt, die eine hochent-
wickelte Specialität des Hauses bilden; in ihrer Nähe
die Bildhauer und Kunstschreiner, die diesen Ideen Ge-
stalt verleihen; da gibt es keinen Stil, welchen Zeit-
alters und welcher Nation er auch sei, der hier nicht in
jeder gewünschten Abstufung von Eleganz und Ton correct
reproducirt werden könnte.
Eine directe Telephonverbindung mit den eine Meile
entfernten Hauptbureaus in der Barmer Flügelfabrik der
Firma verzweigt sich in alle Hauptabtheilungen des riesigen
Etablissements und macht dasselbe zu einem vielgliedrigen,
aber bewussten und einheitlich gelenkten Organismus, dem
keine Aufgabe zu schwer. Das Princip der Arbeitstheilung
erreicht hier seine höchste Blüte; jeder Mann macht
nur eine ganz bestimmte Arbeit, in welcher er unfehl-
barer Meister wird; jeder controllirt die Arbeit seines
Vorgängers, für die er wie für die eigene einstehen muss,
und eine unerbittlich scharfe, sachkundige, kein Detail
übersehende Endrevision sorgt dafür, dass nur Voll-
kommenes die Ateliers verlässt, so weit wie überhaupt
Menschenwerk vollkommen werden kann.
Die skizzenhafte Kürze dieser Beschreibung ist des
Gegenstandes nicht würdig. Doch wird sie schon die
volle Erklärung liefern, wie es gekommen ist, dass die
deutsche Piano-Industrie, mit Rud. Ibach Sohn als „Flügel-
mann“ im ersten Gliede, in den letzten Jahren nicht nur
ganz Europa, sondern auch die andern Welttheile sich er-
obert hat und neuerdings selbst die schutzzollgepanzertsten
Länder zu bedrohen anfängt.
Die Welt dreht sich jetzt schneller als vor zweihundert
Jahren. Wer heute auf die letzten fünf Decennien und ihre
Errungenschaften in allen Feldern zurückblickt, der greift
ein Stück Geschichte, das sonst Jahrhunderte ausfüllte.
Der Fortschritt unserer Ahnen war so langsam und un-
merklich, dass selbst Achtzigjährige ihn oft nicht als solchen
erkannten; die Klage um die „Gute Alte Zeit“ auf den
Lippen der Greise war stereotyp. Heute aber gibt es selbst
zum Altwerden keine Zeit mehr; Greise werden seltener
und die wenigen noch erhaltenen Exemplare sind schwindlig
geworden durch das stürmende Tempo und begreisen nicht
mehr, wie sie als Kinder überhaupt existiren konnten,
ohne andere Elektricität als die, welche gelegentlich ihre
Scheuern in Brand steckte, ohne anderen Dampf als den
Sänger im Theekessel, mit der gelben Postkutsche als Sinn-
bild höchster Schnelligkeit, mit dem Wochenblättchen des
Landboten als Leuchte des Geistes!
Solche Betrachtung erfüllt unwillkürlich den Beschauer
der oben abgebildeten neuen Pianofortefabrik der alten
Firma Rud. Ibach Sohn, Barmen-Köln, in Schwelm
unweit Barmen belegen. Noch sind es nicht hundert Jahre,
seit der Grossvater des jetzigen Fabrikherrn und Gründer
des Hauses, Johannes Adolf Ibach, im Frühjahr 1794
selbständig sein erstes Piano baute; eigenhändig, ohne
Hülfe, von Anfang bis zu Ende, vom ersten Sägeschnitt
am Kastenholz bis zur letzten Drehung des primitiven
Stimmhammers; und zwar, wie aus seinem heilig ver-
wahrten Tagebuche ersichtlich, im Aufträge des Herrn
Kaplans, der geduldig seine drei oder vier Monate wartete
auf das Fertig werden, und von Zeit zu Zeit abends mit
der langen Pfeife hereinkam, nachzusehen, wie weit das
grosse Werk gediehen. Denn damals war der Pianobau
noch eine seltene, individuelle und nur wenigen Aus-
erlesenen offenbarte Kunst, ebenso wie das Piano selbst
nur einem Häuflein Eingeweihter zugänglich und dem
Bürgersmann noch ein Gegenstand frommer Scheu war.
Der Meister machte Alles selbst und nur auf Bestellung;
wurde sein Ruhm sür seiner eigenen Hände Werk zu
gross, so lernte er sich wol einen oder mehrere Gesellen
an; war aber gerade nichts zu thun, so arbeiteten Meister
und Gesellen friedlich nebeneinander als Ackerbauer
oder Schreiner, um nur, wenn ein neuer Kunde auftauchte,
mit verdoppeltem Eifer zu der lieben Kunst zurückzu-
kehren. Nicht ohne Stolz meldet aus den ersten Jahren
dieses Säculums das Tagebuch des Grossvaters, dass er trotz
der Wirren der Fremdherrschaft in diesem Jahre seine
— vierzehn Pianos gemacht und alle bezahlt erhalten hat.
Und heute? — Heute stehen wir hier vor einer muster-
gültigen Werkstätte dieser so wunderbar erblühten In-
dustrie; vor einer Fabrik, die an Grösse von wol
wenigen, an durchdachter Vollkommenheit der Aus-
stattung und Organisation von keiner zweiten übertroffen
wird, und die Tausende von Pianos im Jahre zu liefern
im Stande ist! Diese Fabrik, aus Stein, Eisen und Glas,
ist absolut feuersicher. Drei dampfgetriebene Fahrstühle
vermitteln den Verkehr schwerer Lasten zwischen allen
Etagen. Sämmtliche Arbeitsräume sind hell, geräumig,
mit Wasserleitung versehen, mit Dampf geheizt und
elektrisch erleuchtet mit Bogen- oder Glühlicht, je nach
Bedarf. Ein sinnreicher Luftsaugeapparat führt alleSpähne
und Abfälle fortwährend direct in’s Kesselhaus und sorgt
zugleich für Ventilation. Durch alle Etagen laufen Schienen-
geleise mit Rollwagen nach den Fahrstühlen und Lager-
plätzen; jedes Stockwerk hat seine eigenen Garderoben
und Waschzimmer für die Arbeiter. Grossartige Vorräthe
vom seinsten Holz, auf Jahre im voraus, trocknen in
langen Schuppen ihrer Bestimmung entgegen, bis sie vor
der schliesslichen Verwendung noch in dampfgeheizten
Trockenräumen gründlich ausgedörrt werden; denn altes
und trockenes Holz ist das tägliche Brot und das Evangelium
des Pianomachers. Dass die Fabrik ein höchst vollstän-
diges, mit den letzten Erfindungen ausgestattetes Contin-
gent aller einschlagenden Maschinen für Holz- und Metall-
bearbeitung ihr eigen nennt, ist fast zu selbstverständlich,