Farbe und Metapher
schließlich empfand allgemein eine »geheimnisvolle Spannung zwischen ideellen
Mächten«, ja einen »Widerstreit von Ideal und Leben« 8.
Es fällt auf, daß keine dieser divergierenden Deutungen aus einer genauen
Analyse der anschaulichen Zusammenhänge als poetischer Struktur von Raphaels
Darstellung hervorgegangen ist, und unübersehbar schwanken die verschiedenen
symbolischen Zuordnungen und moralischen Bewertungen mit den weltanschauli-
chen Überzeugungen der Interpreten. So belegt z. 13. eine Diskussion über den
Vorrang männlicher oder weiblicher Tugendhaftigkeit im Cortegiano, daß man das
Tugendexemplum Scipios - abweichend von Panofskys Sicht - durchaus auch
kritisch betrachten konnte411. Die Widersprüchlichkeit und Fragilität der verschie-
denen Interpretationen zeigt auch, daß der Sinn von Raphaels Darstellung alles
andere als eindeutig aus konventionalisierten symbolischen Bedeutungszuordnun-
gen einzelner Motive abzuleiten ist, was umso bemerkenswerter ist, als es sich
immerhin um eine in Raphaels (Euvre ohnehin seltene Allegorie handelt, die in
ihrerBedeutungsstruktureigentlich einer ikonographisch-ikonologischen Interpre-
tation besonders entgegenkommen müßte. Überdies belegen die bisherigen Deu-
tungen eindrucksvoll, daß Raphael im Traum eines Ritters tatsächlich keinen Text
direkt illustriert hat, sondern daß der >Text< des Bildes vielmehr selbst aus seiner
anschaulichen Struktur zu erschließen ist. Es soll dabei gar nicht bestritten werden,
daß die bisher zusammengetragenen literarischen und bildlichen Quellen, u. a.
zum Thema von Herkules am Scheidewege, wichtige Aspekte aus dem geistesge-
schichtlichen Hintergrund von Raphaels Darstellung ausleuchten' , aber die Frage
ist, inwieweit dieses Hintergrundwissen für das konkrete Verständnis von Raphaels
Darstellung auch relevant ist. Jedenfalls bildet seine Darstellung diesen Hinter-
grund nicht einfach ab. Raphaels Traum eines Ritters ist in seiner poetischen
Struktur und seinem thematischen Gehalt nicht auf ein moralisches Motto aus
einzelnen Symbolen reduzierbar, sondern führt den Betrachter über die ästhetische
Rationalität ihrer poetischen inventio zu einem mit spezifisch visuellen Mitteln der
Malerei entfalteten Gehalt, der im folgenden auf der Basis der anschaulichen
Zusammenhänge zu analysieren ist ' :
49
50
0. Fischel, Raphael, 1962, S. I59f.
Castiglione, II Iibro del Cortegiano, 1987, S. 258, 245.
Vergleiche im übrigen hierzu schon K. Escher, Die Malerei des 14. bis 16. Jahrhun-
derts, 1922, S. 255.
Auch wenn 0. Fischel (Raphael, 1962, S. 191.) den poetischen Gehalt dieser Darstel-
lung nur frei paraphrasierend skizziert, so stellt er mit Recht allgemein fest: Raphael
»hängt nicht mehr am Text, erspielt den Gedanken neu belebt in seine eigene sinnliche
Welt hinüber«. Ebenso weist P. L. De Vecchi (Raffaello, 1981, S. 19) auf Raphaels »ca-
24
schließlich empfand allgemein eine »geheimnisvolle Spannung zwischen ideellen
Mächten«, ja einen »Widerstreit von Ideal und Leben« 8.
Es fällt auf, daß keine dieser divergierenden Deutungen aus einer genauen
Analyse der anschaulichen Zusammenhänge als poetischer Struktur von Raphaels
Darstellung hervorgegangen ist, und unübersehbar schwanken die verschiedenen
symbolischen Zuordnungen und moralischen Bewertungen mit den weltanschauli-
chen Überzeugungen der Interpreten. So belegt z. 13. eine Diskussion über den
Vorrang männlicher oder weiblicher Tugendhaftigkeit im Cortegiano, daß man das
Tugendexemplum Scipios - abweichend von Panofskys Sicht - durchaus auch
kritisch betrachten konnte411. Die Widersprüchlichkeit und Fragilität der verschie-
denen Interpretationen zeigt auch, daß der Sinn von Raphaels Darstellung alles
andere als eindeutig aus konventionalisierten symbolischen Bedeutungszuordnun-
gen einzelner Motive abzuleiten ist, was umso bemerkenswerter ist, als es sich
immerhin um eine in Raphaels (Euvre ohnehin seltene Allegorie handelt, die in
ihrerBedeutungsstruktureigentlich einer ikonographisch-ikonologischen Interpre-
tation besonders entgegenkommen müßte. Überdies belegen die bisherigen Deu-
tungen eindrucksvoll, daß Raphael im Traum eines Ritters tatsächlich keinen Text
direkt illustriert hat, sondern daß der >Text< des Bildes vielmehr selbst aus seiner
anschaulichen Struktur zu erschließen ist. Es soll dabei gar nicht bestritten werden,
daß die bisher zusammengetragenen literarischen und bildlichen Quellen, u. a.
zum Thema von Herkules am Scheidewege, wichtige Aspekte aus dem geistesge-
schichtlichen Hintergrund von Raphaels Darstellung ausleuchten' , aber die Frage
ist, inwieweit dieses Hintergrundwissen für das konkrete Verständnis von Raphaels
Darstellung auch relevant ist. Jedenfalls bildet seine Darstellung diesen Hinter-
grund nicht einfach ab. Raphaels Traum eines Ritters ist in seiner poetischen
Struktur und seinem thematischen Gehalt nicht auf ein moralisches Motto aus
einzelnen Symbolen reduzierbar, sondern führt den Betrachter über die ästhetische
Rationalität ihrer poetischen inventio zu einem mit spezifisch visuellen Mitteln der
Malerei entfalteten Gehalt, der im folgenden auf der Basis der anschaulichen
Zusammenhänge zu analysieren ist ' :
49
50
0. Fischel, Raphael, 1962, S. I59f.
Castiglione, II Iibro del Cortegiano, 1987, S. 258, 245.
Vergleiche im übrigen hierzu schon K. Escher, Die Malerei des 14. bis 16. Jahrhun-
derts, 1922, S. 255.
Auch wenn 0. Fischel (Raphael, 1962, S. 191.) den poetischen Gehalt dieser Darstel-
lung nur frei paraphrasierend skizziert, so stellt er mit Recht allgemein fest: Raphael
»hängt nicht mehr am Text, erspielt den Gedanken neu belebt in seine eigene sinnliche
Welt hinüber«. Ebenso weist P. L. De Vecchi (Raffaello, 1981, S. 19) auf Raphaels »ca-
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